Mittwoch, 24. September 2014

Love is all around! Herzlich Willkommen!

Im Sommer 2014 wurde in fast allen evangelischen Kirchen auf dem Stadtgebiet Nürtingen über die Liebe gepredigt - genauer: über Liebesgeschichten aus der Bibel.
Hier sind nun beinahe alle diese Predigten gesammelt zum Nachlesen. Außerdem gibts dazwischen immer wieder Bilder, Videos und Musik zum Thema.
Am Ende dieser Seite einfach auf "ältere Beiträge" klicken - dort gehts weiter.

Und nun viel Vergnügen beim Lesen, Schauen und Hören!

Achja: Wenn Sie mehr von uns Prediger_innen hören wollen: über diesen Link finden Sie uns:
http://www.ev-kirchenbezirk-nuertingen.de/kirchengemeinden/

Montag, 15. September 2014

Karl-Heinz Graf: Verbotene Liebe? Jesus und Maria Magdalena

Liebe Gemeinde,
heute soll es n der Sommerpredigtreihe „Liebesgeschichten“ um eine Beziehung gehen, die wie keine andere im Neuen Testament seit jeher zu geheimnisvollen Spekulationen und raunenden Vermutungen Anlass gegeben hat: Es geht um die Beziehung zwischen Maria Magdalena und Jesus.
Wer war diese Frau, die in den Evangelien im Neuen Testament mehrmals erwähnt wird und ganz offensichtlich zum engeren Umfeld um Jesus gehört hat?
War Maria vielleicht nicht nur eine von vielen Jüngerinnen, sondern Jesu besondere Vertraute, vielleicht sogar die Geliebte Jesu? Hatte Jesus ein Verhältnis mit einer ehemaligen Prostituierten? War Maria Magdalena womöglich eine von den männlichen Aposteln später verdrängte Apostelin, die Jesus als Leiterin der Jüngerschaft eingesetzt hatte?
Oder war sie gar die Frau von Jesus und die Mutter von gemeinsamen Kindern mit Jesus? Der Film „Sakrileg“, der gerade in den Kinos läuft nach dem Buch „Der Da Vinci-Code“ treibt die Vermutungen sogar so weit auf die Spitze, dass darin nahe gelegt wird, über die ganze Kirchengeschichte hinweg seien die leiblichen Nachfahren Jesu von der Kirche totgeschwiegen und verfolgt worden, um auf keinen Fall die Göttlichkeit Jesu zu gefährden.
Viele solcher sensationellen und abenteuerlichen Vermutungen haben zurzeit Konjunktur im Kielwasser dieses Bestsellers von Dan Brown. Ich habe allein 18 neue deutschsprachige Romane und Populärsachbücher gezählt, die zwischen 2004 und 2006 zum Thema Jesus und Maria Magdalena erschienen sind.
Warum bietet gerade die Beziehung zwischen Jesus und Maria Magdalena so viel Anlass für geheimnisumwitterte Verschwörungstheorien?
Ich möchte versuchen, mich mit ihnen auf eine Spurensuche zu begeben, die uns helfen soll, das Wichtige vom Unwichtigen und das Wahrscheinliche vom Unwahrscheinlichen zu trennen.

Eine erste wichtige Wurzel für die Spekulationen um Maria Magdalena ist die Gleichsetzung von Maria Magdalena mit der „großen Sünderin“. Im Lukasevangelium wird von einer Frau berichtet, die Jesu Füße mit ihren Tränen benetzt und seine Füße salbt - und dass die Anwesenden sich darüber ärgern, weil sie als stadtbekannte Sünderin gilt. Man vermutet, dass diese „Sünderin“ vielleicht eine Ehebrecherin oder eine Prostituierte gewesen ist.
Es gibt allerdings in der Bibel keinen Namen von dieser Frau. Und es gibt erst recht  keinerlei Hinweis, dass diese Frau und Maria Magdalena ein und dieselbe Person gewesen wäre.
Erst relativ spät - im Jahr 519 - hatte Papst Gregor der Erste in einer Predigt Maria von Magdala mit dieser anonymen Prostituierten gleichgesetzt - und seitdem hielt sich diese legendäre Verbindung hartnäckig bis heute, obwohl es dafür keinerlei biblischen Beleg gibt. Diese legendäre Sicht von Maria als ehemaliger Dirne hat in gewisser Weise die Beziehung zwischen Jesus und Maria Magdalena erotisch aufgeladen. Jesus und eine Liebesverhältnis - das war spannend für alle, denen sowieso die oft enge moralistische Haltung der Kirche ein Dorn im Auge war. Bestärkt werden konnte das durch eine späte gnostische Schrift, das so genannten Philippus-Evangelium von etwa 150 nach Christus: Dort wird erzählt, dass Jesus Maria wiederholt auf den Mund geküsst habe und sie als seine Gefährtin bezeichnet wurde. Geprägt ist diese spätchristliche Schrift von einer deutlichen sektiererischen Kritik am Hauptkurs der damaligen Christenheit - und da hat man dann eben auch  das traditionelle Verständnis von Jesus kräftig umgedeutet!  
Jesus und Maria Magdalena als seine Geliebte! Eine solche Vorstellung von einer Liebesbeziehung Jesu mit einer Frau, noch dazu mit einer „gefallenen“ Frau, war für die etablierte Kirche immer ein Provokation ersten Ranges.
Hier konnte sich alle Kirchenkritik, alle Kritik am Männerklerus und der Leibfeindlichkeit der Kirche besonders gut anlagern und ausdrücken. Und so ist es bis heute geblieben! Die behauptete verbotene Liebe zwischen Maria Magdalena und Jesus wurde zum Symbol für den Verdacht, dass die Macht und die Lehre der Kirche die Wahrheit immer wieder unterdrückt und verbogen habe.

Was aber wissen wir nun eigentlich wirklich über diese Maria?
Die ältesten und ersten Quellen sind die Evangelien. Aus den Stellen, wo Maria namentlich erwähnt wird, können wir entnehmen:  Maria stammte aus Magdala beim See Genezareth - richtig übersetzt ist ihr Name also eigentlich
„Maria aus Magdala“. Im Lukasevangelium wird erwähnt, dass ihr durch Jesus sieben Dämonen ausgetrieben wurden. Zusammen mit anderen von Jesus geheilten Frauen hat sie Jesus und die 12 Jünger begleitet und mit ihrem Besitz für den Unterhalt Jesu gesorgt. Dabei wird Maria aber in keiner Weise den anderen namentlich genannten Frauen gegenüber - Johanna und Susanna - irgendwie besonders herausgehoben. Sowohl Markus wie Lukas berichten, dass Maria zusammen mit anderen Frauen bei der Kreuzigung Jesu zuschaute und die Frauen auch mitverfolgten, wohin sein Leichnam gelegt wurde. Maria aus Magdala war dann zusammen mit zwei anderen Frauen die erste Osterzeugin, nachdem sie frühmorgens zum Grab gingen, um den toten Jesus zu salben.
Im Johannesevangelium Kapitel 20 wird dann ausführlicher die Begegnung von Maria mit dem auferstandenen Jesus geschildert: Das leere Grab lässt die tief traurige Maria von Magdala zuerst - ganz natürlich - daran denken, dass der Leichnam Jesu irgendwie weggetragen worden sei. Sie erkennt den Auferstandenen nicht, hält ihn für den Gärtner und erst als Jesus sie beim Namen ruft, begreift sie, wer vor ihr steht. Als sie ihn erkennt, ruft sie voll Freude aus: „Rabbuni“ - das heißt übersetzt: „Mein Lehrer!“. Diese Bezeichnung beschreibt im Grunde das Verhältnis Marias zu Jesus: Er ist der von ihr hoch verehrte, vertraute Lehrer, der sie geheilt hat. 
Dafür war sie ihm dankbar und sie hat ihren Dank als Fürsorge für Jesus zurückzugeben versucht. Entgegen aller damaligen Hintansetzung der Frauen ließ Jesus sie zusammen mit anderen Frauen seine Schülerinnen sein, die zusammen mit den männlichen Jüngern ihm nachfolgten.
Dass Maria und Jesus ein durchaus herzliches Verhältnis zueinander hatten, könnte man dem Hinweis entnehmen, dass sie ihn nach dem Bericht des Johannesevangelium gleich umarmen wollte, als sie ihn dann am Ostermorgen erkannte. Es mag wohl auch möglich sein, dass sie für diesen Mann als Frau liebevolle Gefühle empfunden hat. Und es ist nicht einmal völlig auszuschließen, dass auch Jesus zu ihr eine besondere Zuneigung gehabt hat. Immerhin redet das Johannesevangelium auch von dem Jünger, den er besonders lieb gehabt hatte und gibt damit der Möglichkeit Raum, dass es auch bei dem Menschen Jesus Gefühle schwächerer und stärkerer persönlicher Zuneigung gab. Aber - wir wissen es nicht!
Nichts aber deutet darauf hin, dass Maria von Magdala zu Jesus eine intime Liebesbeziehung gehabt hätte.
Jesu Worte zur Ehe, die in allen Evangelien gleich lautend überliefert sind, zeigen, dass er das Gebot: „Du sollst nicht ehebrechen!“ sehr ernst genommen hat. „Jeder, der eine Ehefrau ansieht, um sie zu begehren, hat ihr gegenüber in seinem Herzen schon Ehebruch begangen“, sagt Jesus radikal in der Bergpredigt. Und das schließt nach damaligem Verständnis natürlich selbstverständlich jede außereheliche intime Beziehung sowieso aus. Dass Jesus diesem hohen Ehe-Ideal mit einer intimen Liebesbeziehung mit Maria Magdalena öffentlich völlig selbst widersprochen hätte, das ist einfach ganz unwahrscheinlich und es finden sich dafür in der biblischen Überlieferung tatsächlich auch keinerlei Spuren.

Ist es denn dann überhaupt gar keine Liebesgeschichte - diese Beziehung zwischen Jesus und Maria von Magdala?
Es kommt darauf an, was man unter Liebe versteht!
Dass Liebe sehr viel mehr umfasst, als die erotische Liebe, das macht gerade das biblische Zeugnis klar.
Gerade die griechisch Sprache, in der das Neue Testament verfasst ist, hat für die Liebe nicht nur ein Wort, sondern mehrere Worte. Wenn von der väterlich-mütterlichen Liebe Gottes geredet wird, dann geht es um die fürsorgende, elterliche Liebe, die agape. Die Nächstenliebe, von der Jesus redet und erst recht die Feindesliebe hat nichts mit Sympathie zu tun, sondern mit der christlichen Verantwortung, den anderen als Geschöpf Gottes zu achten. Und wenn Jesus insbesondere seine Jünger und Jüngerinnen aufruft: „Liebet einander, wie ich euch geliebt habe!“, dann geht es um die Hingabe und Treue, die Jesus vorgelebt hat und  mit der allerengste Freunde füreinander einstehen. Wenn der auferstandene Christus dann am Schluss des Johannesevangeliums Petrus dreimal fragt: „Hast du mich lieb?“, dann geht es da um den vertrauenden Glauben, der in Jesus das freundliche Angesicht Gottes erkannt hat.
Es gibt eben nicht nur die Liebe als leidenschaftliches erotisches Gefühl zwischen zwei Verliebten, sondern es gibt auch die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind, die tiefe Zuneigung unter Freunden und die barmherzige Liebe Gottes zu den Menschen.
Von dieser Erkenntnis aus - meine ich - ist die Geschichte von Maria von Magdala und Jesus tatsächlich eine ganz eigene Liebesgeschichte! Auch wenn das menschliche Sensationsbedürfnis durch Marias Liebesgeschichte zu Jesus nicht bedient werden kann, so spielen doch darin Dinge eine Rolle, die wesentliche Bestandteile wirklicher Liebe sind.

Das erste wichtige Element der Liebe bei Maria ist die Dankbarkeit. Sie wurde durch Jesus von irgendeiner wahrscheinlich seelischen Gefangenheit und Qual befreit und geheilt. Geheilt zu sein war für sie nicht irgendeine Selbstverständlichkeit, sondern sie war Jesus dafür offensichtlich tief dankbar - so dankbar, dass sich ihre Dankbarkeit in der Hingabe für seine Sache ausdrückte. Sie hat ihn materiell unterstützt und wollte mehr wissen von diesem Lehrer. Dass Jesus sie mit anderen Frauen mitziehen ließ durch Galiläa war eine für uns heute kaum mehr nachvollziehbare Besonderheit, eine ungeheure Aufwertung und Gleichstellung dieser Frauen. So geachtet und respektiert zu werden hat Marias Zuneigung zu Jesus sicher noch besonders gestärkt. Als dann nach der Gefangennahme Jesu fast alle Jünger flohen und ein Petrus gar Jesus dreimal verleugnete, hat sie den Mut, nicht zu fliehen, sondern Jesus auf seinem Weg in die Isolation treu zu begleiten, so gut es möglich war. Sie steht am Kreuz. Sie folgt zum Grab. Sie möchte ihm auch nach dem Tod einen letzten Liebesdienst erweisen und wird am Ostermorgen dann zur Auferstehungszeugin, die nur allmählich begreift, dass ihre Liebe keine verlorene Liebe ist. Jesus ist für sie da - allerdings nun nicht mehr als der bewunderte Lehrer, sondern als der Gesalbte Gottes, der endzeitliche Messias, in dem Gottes Liebe zu ihr und zu allen Menschen Gestalt geworden ist.
Dankbarkeit, Hingabe, respektiert werden, Mut und Treue - all das sind ganz wesentliche Bestandteile wirklicher Liebe. Solche Liebe hat Maria von Magdala gelebt in der Nachfolge Jesu - und mir scheint, sie wäre darin ein gutes Modell für unser Verständnis von Nachfolge Jesu, für unsere Liebe zu Gott im Glauben:
Dankbarkeit für von Gott geschenkte Heilungen und  Befreiungen im Leben.
Fürsorgliche Hingabe im Tun des Guten.
Freude darüber, von Christus als eigener Mensch gewürdigt und geliebt zu werden.
Mut, sich zu Christus zu bekennen.
Treue im Festhalten an ihm.
Nachfolgen in diesem Sinn, liebe Gemeinde, heißt:
Jesus lieben! - und Maria von Magdala hat diese Liebe in der Nachfolge Jesu vorgemacht!

War es also eine Liebesgeschichte zwischen Jesus und Maria von Magdala? Ja, es war eine Liebesgeschichte, die viel, wenn auch nicht alles von der Bandbreite menschlicher Liebe umfasste.
Vielleicht könnte man Maria am ehesten als eine Freundin Jesu bezeichnen - und zwar in dem Sinn, in dem Jesus seine Jünger im Johannesevangelium „Freunde“ genannt hat.
Jesus unterscheidet dort den Freund vom Knecht, der bloßer Befehlsempfänger ist. Der Freund aber ist ein Eingeweihter.
Er hat Anteil an dem, was den anderen ausmacht. In diesem Sinn ist Maria Jesus in einer freundschaftlichen Liebe verbunden gewesen, die sie zu einer befreiten, selbstbewussten, mutigen und erwartungsvollen Frau gemacht hat. Und vielleicht könnte man - im Blick auf Maria - Glauben im christlichen Sinn ziemlich treffend genau so beschreiben: Das Leben im Bewusstsein der freundschaftlichen Liebe Jesu, in der ich mich als befreit und geachtet erlebe und zu einem dankbaren und hingebungsvollen Menschen verwandelt werde - wie Maria von Magdala!
Amen

Fräulein Jesus? Mehr zu Maria Magdalena und Jesus: siehe oben!

Samstag, 13. September 2014

Barbara Brückner-Walter: Komm her, meine Schöne! (Hoheslied)

„Siehe, mein Freund, du bist schön und lieblich!“ Sagt sie. Und er:  „Siehe, meine Freundin, du bist schön; schön bist du, deine Augen sind wie Taubenaugen.“
Liebe Gemeinde, hätten Sie gedacht, dass dieses Liebesgeflüster in der Bibel steht? Im Lied der Lieder – schir haschirim – im Hohelied, das Salomo zugeeignet wird, aber nicht wirklich von ihm stammt. Ja, da kann man, kann frau es lesen und sich daran freuen. In wunderschönen Bildern wenden sich zwei Liebende einander zu, beschwören ihre Liebe, besingen sie und geben so viel davon weiter: von ihrer Freude, ihrem Überschwang, ihrer Erfüllung! Heute dürfen sie zu Wort kommen, wenn ich das überhaupt mit Worten beschreiben kann, was da passiert. Ich möchte Sie einladen, Sie dürfen ruhig zuschauen und zuhören bei dem Liebesspiel der beiden. Nicht umsonst ist dieses Liebeslied ja in der Bibel aufgeschrieben, nicht umsonst. Nein, gewiss nicht! Aber warum eigentlich? Warum dürfen wir Bibel Lesenden teilhaben an dem Liebesgeflüster dieser beiden?
Früher haben die Bibelausleger – und das waren ausschließlich Männer – sie haben versucht, das Hohelied anders zu lesen und zu verstehen: als Allegorie, im übertragenen Sinn, als Bild für die Liebe zwischen Gott und den Menschen. Den strengen Kirchenvätern der alten Kirche mag es peinlich gewesen sein, diese Texte überhaupt zu lesen, für alles menschlich Körperliche und erst recht für Sexualität  hatten sie keinen Sinn oder durften zumindest keinen Sinn – keine Sinne - dafür haben.   
Inzwischen sind sich fast alle Theologinnen und Theologen darin einig, dass es im Hohelied um eine leidenschaftliche, erotische Liebe zwischen zwei Menschen geht. Und gerade deshalb ist es gut, dass dieses Lied in der Bibel steht. Denn ist es nicht eines der schönsten Gaben göttlicher Schöpfung, wenn sich Menschen in gegenseitiger Liebe aneinander und miteinander erfreuen können? Und diese Schöpfergabe darf, ja sie soll besungen werden, zum Lobe Gottes und der Menschen als Gottes Geschöpfe! Von Gott in diese Welt gestellt mit ihren vielen Möglichkeiten und Gefährdungen, mit der Gabe zu lieben - so erlebe ich mich, so mögen auch Sie sich erleben - als Mann oder als Frau: zur Liebe fähig; und doch will sie mir immer wieder entgleiten, die Liebe, die große. Im Hohelied kommt sie mir wirklich groß entgegen - und nimmt mich mit auf einen wunderbaren Liebespfad. Lassen auch Sie sich einladen, versuchen Sie einfach, sich zu öffnen für diese außergewöhnliche Liebeslyrik der hebräischen Bibel, die weder Scheu noch Scham kennt!
Wie schön werden die beiden Liebenden! Wie schön in den Augen des geliebten Partners, der geliebten Partnerin! „Mein Freund ist weiß und rot, auserkoren unter vielen Tausenden. Sein Haupt ist das feinste Gold. Seine Locken sind kraus, schwarz wie ein Rabe. Seine Augen sind wie tauben an den Wasserbächen, sie baden in Milch und sitzen an reichen Wassern. Seine Wangen sind wie Balsambeete, in denen Gewürzkräuter wachsen. Seine Lippen sind wie Lilien, die von fließender Myrrhe triefen. Seine Finger sind wie goldene Stäbe, voller Türkise. Sein Leib ist wie reines Elfenbein, mit Saphiren geschmückt. Seine Beine sind wie Marmorsäulen, gegründet auf goldenen Füßen. Seine Gestalt ist wie der Libanon, auserwählt wie Zedern. Sein Mund ist süß, und alles an ihm ist lieblich. – So ist mein Freund, ihr Töchter Jerusalems!“ (Hld 5,10-16) Stolz spricht sie von ihrem Geliebten, in diesen von orientalischer Natur und Kultur geprägten Bildern! Ganz unverblümt beschreibt sie ihn so, wie sie sich von ihm angezogen fühlt. Das ist das besondere an ihm, das für sie so besondere: nur er hat, was sie begehrt. Er allein ist es, der sie mit Liebe erfüllt.
Und er steht ihr in nichts nach, auch sie wird unter seinem liebenden Blick wunderschön. So redet er sie an: „Siehe, meine Freundin, du bist schön! Siehe, schön bist du! Deine Augen sind wie Taubenaugen hinter deinem Schleier. Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die herabsteigen vom Gebirge Gilead. Deine Zähne sind wie eine Herde geschorener Schafe, die aus der Schwemme kommen; alle haben sie Zwillinge, und keines unter ihnen ist unfruchtbar. Deine Lippen sind wie eine scharlachrote Schnur, und dein Mund ist lieblich. Deine Schläfen sind hinter deinem Schleier wie eine Scheibe vom Granatapfel. Dein Hals ist wie der Turm Davids…deine beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen, die unter den Lilien weiden. Bis der Tag kühl wird und die Schatten schwinden, will ich zum Myrrhenberge gehen und zum Weihrauchhügel. Du bist wunderschön, meine Freundin, und kein Makel ist an dir.“ (Hld 4,1-7).
Und so verzehren sie sich in Sehnsucht und lassen sich rufen. Er lockt sie zum Liebesspiel: „Steh auf, meine Freundin! Komm mit mir, meine Braut!“ Sie wird für ihn zur Lilie unter den Dornen, und er für sie wie ein Apfelbaum unter den wilden Bäumen.  „…unter seinem Schatten zu sitzen begehre ich, und seine Frucht ist meinem Gaumen süß…Seine Linke liegt unter meinem Haupte, und seine Rechte herzt mich….Mein Freund gleicht einer Gazelle oder einem jungen Hirsch.“ -
„Du hast mir das Herz genommen, meine Schwester, liebe Braut“ -seine Worte verraten ein bisschen davon, um wie viel es geht: um alles! Das Körperliche steht im Mittelpunkt dieser Liebeslyrik, aber ihre Liebe erschöpft sich nicht darin. Ihre Sexualität ist vielmehr Ausdruck einer großen Liebe, die den und die andere ganz meint, als Person, nicht als Objekt der eigenen Begierde. Als größtes Geschenk vielmehr, das Menschen einander machen können. So singt sie: „Mein Freund ist mein, und ich bin sein“. „Meinem Freund gehöre ich, und nach mir steht sein Verlangen.“ Beide finden sie ihr Glück und ihre Erfüllung nicht in sich selbst, sondern im andern. Beide werden für den anderen, für die andere zur Quelle der Lust!
Und so bleibt auch offen, wer führt und wer geführt wird. Es ist ein Spiel auf Augenhöhe – welch revolutionäre Liebe in jener biblischen  Zeit der Männerherrschaft! Es ist die Frau, die begehrend das Lied eröffnet: „Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes…!“ Das Spiel geht hin und her, ein Geben und Nehmen, es wechseln aktiv und passiv, es wechselt, wer oben ist und wer unten. Alles bewegt sich, die Dinge sind im Fluss. Natürlich gibt es männliches und weibliches, aber die Zuteilung fließt: das Männliche ist nicht nur des Mannes, das Weibliche nicht nur der Frau. In dieser Liebe verschwimmen die Grenzen, und die Liebenden verlieren sich, aneinander und ineinander.
Wie berührend schön diese Liebe besungen wird, so kennt sie doch eben auch das andere, gefährdende. Aber vielleicht ist sie gerade deshalb so stark, die Liebe, weil sie sich wehren muss. Gegen das dunkle, gewalttätige, und dagegen, verloren zu gehen und zu verlieren. Da will sie ihm öffnen – „mein Innerstes wallte ihm entgegen“. „Aber als ich meinem Freund aufgetan hatte, war er weg und fortgegangen. Meine Seele war außer sich, dass er sich abgewandt hatte. Ich suchte ihn, aber ich fand ihn nicht; ich rief, aber er antwortete mir nicht.“ Der dunkle Untergrund, der die Liebe zerstört. Das Spiel kann auch misslingen, die Liebe kann scheitern. Das kennen die Menschen zu biblischer Zeit, auch davon wurde und wird gepredigt in diesem Sommer. Und das kennen wir alle bis in unsere Tage. Wo Menschen einander ausnutzen, unter Druck setzen, belügen, wo Gewalt im Spiel ist, wo die Würde des Partners, der Partnerin mit Füßen getreten wird, wo Liebe mit Besitzenwollen oder mit der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse verwechselt wird, wo das Umfeld der Liebenden einen störenden, ja zerstörerischen Einfluss ausübt, da ist die Liebe in Gefahr. „Es fanden mich die Wächter, die in der Stadt umhergehen; die schlugen mich wund.“ Gewalt muss sie erleiden, schlimme Gewalt. „Die Wächter auf der Mauer nahmen mir meinen Überwurf.“ Eine Andeutung oder Anspielung auf jene wohl schrecklichste, entwürdigendste Form der Gewalt – vor schwarzen Abgründen also entfaltet sich der helle Liebeszauber des Hohelieds. „Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, findet ihr meinen Freund, so sagt ihm, dass ich vor Liebe krank bin!“
Sie finden sich. Gegen alles, was sich zwischen die Liebenden drängen will, über alles, was ihre Liebe gefährdet, scheint sie erhaben, die Liebe: das Spiel geht weiter. Aber am Ende dieser Liebeslyrik schwingt noch ein anderer, ein neuer Ton mit hinein. „Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, sodass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so könnte das alles nicht genügen.“   Er führt über die beiden Liebenden hinaus, dieser neue Ton. Weil diese Liebe alles überbietet. Es gibt nichts stärkeres – „Liebe ist stark wie der Tod…ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn…“ In dieser so alles überbordenden Liebe ist Gott selbst! Es ist das erste und einzige Mal, ganz am Schluss des Hohelieds, dass sich Göttliches hinein mischt. Und mit welcher Kraft, mit welchem Gewicht! Nichts könnte dies aufwiegen! Und auch nicht die dunkelsten Gefährdungen der Liebe, die ja so menschlich sind, können dem trotzen. Denn Göttliches ist ja immer schon da – in der Liebe, die beiden Liebenden haben’s längst schon gespürt, auch wenn’s nicht so direkt ausgesprochen wurde. Aber was ist’s denn anderes, wenn wir lieben, als dem entgegen zu leben, wofür uns Gott geschaffen und befähigt hat! Und so darf diese Liebeslyrik am Ende – und eigentlich schon von Anfang an – sich viel weiter gefasst und verstanden wissen: als Weg der Liebe, der so verlockend besungen wird, auf dem ich Gott begegnen und erspüren darf. Als Weg der Erotik – mit all den Schattierungen, die weit über das liebende Miteinander zweier Menschen hinaus weisen. Und auf diesem Weg darf ich mich immer wieder als Anfängerin bewegen – als Anfängerin der Liebe, die auch Fehler macht, die anderen vieles schuldig bleibt und doch immer wieder neu auf die Suche geht: auf die Suche nach der Liebe mit ihrer feurigen Glut und ihrer unwiderstehlichen Leidenschaft! Amen.

Gott, du Melodie meines Lebens,
du Klang und Musik –
sanft und zart
kraftvoll und stark –
geheimnisvoll mich liebkosend
berührend umfassend
oft so fern – und dann wieder
in mir, Gott.
Öffne meine Ohren –
damit ich deinen Klang höre
streichle meine Haut –
damit ich deine Berührung spüre
nimm mich in den Arm –
damit mein Herz Ruhe findet in dir
damit mein Körper Antwort ist
meine Lippen Worte formen
geborgen in dir, du mein Gott,
kann ich zur Antwort werden
und zögernd erklingt mein Lied
in der Welt für dich
und die Menschen:
für alle, die sich geliebt wissen und Liebe weiterschenken
für alle, die leiden und sich nach Liebe sehnen –
für die Opfer von Hass und Gewalt in der Ukraine, im nahen und mittleren Osten und überall auf der Welt, wo Krieg und Unfrieden herrschen.
Gott – du Melodie allen Lebens,
lass deine Menschen das Lied des Lebens und der Liebe singen.
Vaterunser im Himmel...

Sonntag, 31. August 2014

Martin Schultheiß: Die Liebe in furchtbaren Zeiten: Moses Eltern (2. Mose 1ff)

Liebe Gemeinde,
im Rahmen dieser Sommer-Predigtreihe haben Sie nun schon einige Aspekte zum Thema Liebe hören können.
Heute möchte ich Sie gerne mitnehmen auf einen Weg zu Menschen, die den Glauben an die Liebe und an Gott verloren haben, weil ihnen furchtbares Leid geschah.
Vom Nahen Osten hören wir grausige Berichte von Massakern an Jesiden und Kurden, Christen und Muslimen.
Gaza versank in Trümmern, israelische Mütter beklagen ebenfalls ihre Kinder usw.
In Afrika und vielen anderen Regionen der Erde ist es nicht anders.
…. Ebola, 12 Bürgerkriege (!) allein in Afrika derzeit  … und …

Wie denkt wohl ein Mädchen in Indien, das vergewaltigt wurde, schwanger wurde - und-  damit niemand im Dorf solche Schande sehen sollte, weit entfernt auf einer christlichen Missionsstation ihr Kind zur Welt brachte??? –
 Es dann dort ließ, dem Versprechen der Christen dort trauend, dass diese für ein geordnetes Aufwachsen ihrer kleinen Tochter sorgen würden.

Wie hat es das Herz einer Witwe in Kambodscha zerrissen, als sie das letzte ihrer Kinder, welche die Häscher der roten Khmer nicht getötet  hatten, eine Tochter, ins Ausland gibt, als sich die Möglichkeit dazu bietet – nicht wissend, was aus ihr wird und wer sie selbst dann im Alter begleiten wird???

Zwei Kinderschicksale – und das ihrer Mütter - stelle ich heute stellvertretend - für das unzählige Leid das über Menschen kam und - leider immer und immer wieder kommt, - in die Mitte.
Ich erinnere gleichzeitig daran, dass dies leider „schon immer“ so war, wo die Ungerechtigkeit triumphierte.
Das war nicht anders vor über 3000 Jahren im Nil-Delta, als einem hebräischen Sklavenpaar ein Sohn geboren wurde.
Zu der Zeit galt der Befehl des Pharo, - der sich vor einer Überfremdung seines Landes fürchtete-  und deshalb den Hebammen der hebräischen Frauen befohlen hatte – alle Büblein gleich nach der Geburt umzubringen.
 Die Mädchen, ja, die konnte er als Sklavinnen für alles und jedes gebrauchen, denn das waren ja keine künftigen Soldaten des Feindes.
Mit List konnte eine junge Mutter ihr Büblein 3 Monate im Haus verstecken, aber dann blieb nur noch ein Versteck vor den Häschern des Pharao - weit draußen im Schilfgürtel des Nilstromes.
 Miriam, die Schwester, sollte auf ihr kleines. Brüderlein aufpassen.
Einige Zeit ging das gut, bis – ausgerechnet eine Tochter des Pharao mit ihren Gespielinnen – genau dorthin zum Baden kam.
 War das Zufall?
Wir Christen wissen darum, dass es keine Zufälle gibt, sondern dass hinter allem scheinbar zufälligen, immer noch die Hand Gottes wirkt.
Davon wusste das junge Sklavenpaar damals aber nichts.
Sie erlebten nur, dass ihnen ihr Kind weggenommen wurde, gleich nach der Stillphase – sie hofften vielleicht noch, dass es ihrem Kind dort besser gehe, als bei ihnen.
Sogar einen neuen Namen gab die Prinzessin dem Kind und erklärte es damit zu ihrem eigenen Kind: „Moses“- der aus dem Wasser gezogene“
Auch eine Art Leihmutter-Geschäft.
Anders als in Thailand derzeit – aber für  Eltern ist es immer schlimm - ein Kind hergeben zu müssen!!

Wo bleibt da die Liebe?

Das fragen sich auch bei uns Menschen, denen der Tod Kinder nimmt, sei es mit Ansage durch eine schlimme Krankheit – oder von einem Moment auf den anderen-  durch einen Unfall oder gar Mord.

Liebe ist das Band, das eine Familie zusammenhält. Eltern nehmen viele Opfer und Entbehrung auf sich um ihren Kindern eine geordnete Zukunft zu ermöglichen.
Liebe - ist das Band mit dem Eltern und Kinder verbunden sind und sie zur Familie werden lassen.
Eine Liebe, die nicht berechnet, was kostet mich das und was bringt mir das, - sondern die sich einfach verströmt im Miteinander der Tage, bis die Zeit kommt, da die Kinder das Haus verlassen.
Und auch dann bleibt dieses Band erhalten, wenn es nicht von einer Seite überstrapaziert wird.

Was aber bleibt von dieser Liebe – wenn der Tod dieses Band brutal abschneidet?
Welchen Sinn hatte dann diese Liebe?
Wenn eine grausame Krankheit, - eine schwere Behinderung-  oder gar der Tod - alles an Lebenshoffnungen über den Haufen wirft, - was bleibt dann?

Ich kann nur von mir selbst berichten, - wie mir es ging, als ich und die Meinen diesen Kelch trinken mussten.

Ein Verkehrsunfall riss eines unserer Kinder von einem Moment auf den anderen aus unserer Mitte.
Der Schock zunächst war fast noch eine Gnade – das alles gar nicht bis in die Tiefe zu realisieren, was sich da verändert.
Aber dann kamen große Zeiten der Einsamkeiten.
Die Last der Trauer ist so schwer, - da kann man sich nicht mal als Ehepaar gegenseitig diese Last abnehmen. Viele Ehen scheitern gerade in solchen Zeiten. Auch den anderen Kindern kann man da nicht genug Begleiter sein.
„O Gott, wie kannst Du das zulassen“ – so schrie ich wie alle Todwunden.
Da ist nichts mehr wie es war – auch nicht die Liebe – da ist nur noch „Black-out“ – wie ein Netz ohne Strom. Wir haben nur noch funktioniert, - mechanisch, ohne Antrieb.

Ich meinerseits war innerlich ganz leer. Ich konnte nichts mehr tun.

Und dann habe ich und die Meinen dies Wunder erlebt: Das Mit-leiden und Mit-Tragen unserer Verwandten, vieler Freundinnen und Freunde - und ja, der Gemeinde in der wir gelebt hatten.
 Seither empfinde ich dies Geschenk, das Gott uns mit „Gemeinde“ macht, als eine riesige  Kostbarkeit.
Wir waren nicht allein gelassen worden – das haben wir aber erst so nach und nach gemerkt.
 Und die hilfreichste Beileidsbezeugung war uns nicht mal auf irgendeiner der vielen Kondolenz-Karten begegnet, obwohl da auch viel Liebe drin war, - sondern im Kochtopf einer beherzten Nachbarin, die klingelte und nur sagte: „ich weiß nicht was ich sagen soll, aber ich weiß dass ihr jetzt eine Nudelsuppe braucht!“

In dieser Zeit  ist uns viel Liebe begegnet – durch viele und vielerlei Menschen – über lange Zeit hinweg.

Ja, es hat Zeit gebraucht – lange Zeit – bis ich von der Anklage an Gott weiterkam - und an diese Gesellschaft,- die dem Verkehr auf der Straße so viele Opfer überlässt.

Zeit-  ist ein Bestandteil meiner Heilung geworden – Zeit, in der ich neu entdeckt hatte – ich war ja gar nicht von Gott verlassen gewesen, sondern von Recht und Ordnung auf der Straße.

Wie eine Morgendämmerung ist mir die Liebe Gottes so langsam wieder  neu aufgegangen. Auch weiterhin konnte ich nur sehr verhalten oder unter Tränen die Lieder mitsingen, die Dank und Freude so überschwänglich ausdrücken.

Und dann habe ich plötzlich gemerkt, dass jeder Tag, der vergeht – uns nicht weiter auseinander bringt – meinen Sohn Christoph und mich – sondern dass jeder Tag der vergeht uns näher aufeinander zuführt – dem Reich Gottes entgegen.
Das war mir ein ganz großer Trost – und ist es bis heute – wenn ich mir so vorstelle: - hätte er jetzt wohl auch eine Familie, wenn er noch bei uns lebte?

Ich habe gemerkt: die Liebe kann ich nicht einspannen und gebrauchen oder erzwingen, wie ich will.
Aber von vielen Seiten her kam Liebe zu mir – durch ganz unterschiedliche Menschen, auch solche, von denen ich es nie erwartet hätte.
 Nur der „Frömmste und Bibelfesteste“ damals – wusste nichts anderes als mich zu fragen, ob mein Sohn (mit seinen 6 Jahren) sich wohl schon zu Christus bekehrt gehabt hätte und damit gerettet wäre - oder „verloren“ sei?

„Herr, vergib ihnen – denn sie wissen nicht, was sie da  reden!“

Gerade aus der Bibel habe ich meinen größten Trost gezogen,
 gerade aus den Zusagen Gottes - seiner unaufhörlichen Liebe zu uns!
Der allen um ihr (Lebens-)Recht gebrachten zu ihrem Recht verhilft.
Nicht wir tun das Entscheidende! Was unser Gott geschaffen hat – das wird ER auch erhalten!
Darin habe ich meinen ganz tiefen Frieden gefunden – in der Liebe Gottes zu seiner ganzen Welt.
Wer könnte uns scheiden von der Liebe Gottes ….?
Nichts und niemand.
Nicht einmal der Tod
So brutal er auch an uns kommen kann.

Ich habe erlebt, wie alle menschliche Liebe – erst aus der Liebe Gottes zu uns allen  - seine Kraft bezieht!

Als ich lieb-und leblos war, habe ich erlebt, geliebt zu werden, von vielen, - bis neue Liebe in mir wachsen konnte.

Das will ich zu Gottes Ehre heute bekennen – ja – seine Liebe zu uns ist stärker als der Tod.
Jetzt begreife ich die Wahrheit dieser Aussage!
 Ich wundere mich – dass ich so fröhlich bin! –Getrost bin.
Gott sei Dank!!!
Und ich bleibe dankbar den Vielen gegenüber, die uns damals durchgetragen und begleitet haben und uns Liebe zugeströmt haben, auch wenn wir zunächst kaum etwas davon aufnehmen konnten.

Ein Kind – so brutal entrissen zu bekommen – dieses Los teile ich mit viel zu vielen Menschen – mit Millionen Menschen, wenn ich so auf den Weg der Menschheit zurückschaue. Ich bin nicht der Einzige, dem es so erging.
Aber auch diese Erkenntnis (!) wurde mir wie eine schützende Gemeinschaft, die mich mit einschließt und umfängt.
Es gibt Menschen die mich verstehen.
Die sich gegenseitig, trotz aller Wunden ihrer Seele, mit Liebe und Achtung begegnen.

So sind meine Gedanken jetzt gerade oft bei den Menschen in Nahost, bei allen (!) denen Unrecht und Leid geschah.
Ich bringe sie im Gebet vor unseren himmlischen Vater und bin gewiss, dass er kein einziges Menschenleben, das um sein irdisches Recht gebracht wurde – vergisst. Gott bringt alle zu ihrem Recht!
Und ich will mit meinem Verhalten darauf achten, dass ich nichts unterstütze, das die Gewalttätigen und Rechtsbrecher, wo auch immer, fördern würde.
Im Gegenteil – ich will meine Stimme und mehr für die Rechtlosen einbringen. Und meine Tat.


Als der Prophet Jeremia berufen wurde in sein Amt – erschrak er zunächst: „ich bin zu jung, zu gering, ich kann zu wenig ….“(Jer.1)
Aber dann berichtet er später, wie Gott ihn an der Hand nahm,
wie  die Furcht ihre Macht verlor – als er gemerkt hatte: Das Entscheidende tut immer Gott selbst.
 Nicht er, der kleine Prophet, musste die Welt retten!
Gott verlangte nur von ihm – genau hin zu schauen – was er da sieht.

Und Jeremia hat plötzlich nicht mehr nur das Negative gesehen, nicht mehr nur die schlimmen Nachrichten gehört, nicht mehr nur gejammert, wie schlecht diese Welt doch ist.
Nein – er hat beides gesehen – sowohl das Bodenlos Böse dieser Welt – aber auch, wie immer wieder neues Leben aufblüht – unzerstörbar.
Die Wahrheit und das Leben und die Liebe – sie sind nicht tot zu kriegen!
Jeremia beschreibt uns das anhand eines knospenden Zweiges – wie aus „scheinbar“ totem Holz neues Leben erblüht.
Und er vertraut der Zusage des lebendigen Gottes, dass dieser selbst darüber wachen wird – das dies in Erfüllung geht.

Auch abgefrorene Blütenzweige können neu ausschlagen und Frucht bringen!

Der indische Säugling, von dem ich eingangs sprach, den seine Mutter loslassen musste und im Unbekannten verschwand – wurde nach Deutschland adoptiert – und lebt heute als Mutter einer glücklichen Familie im Ruhrgebiet.

Die Witwe in Kambodscha – die ihre Tochter loslassen musste, darf heute erleben, wie ihre Tochter, heute ebenfalls mit einer glücklichen Familie in Deutschland gesegnet – durch ihrer Hände Arbeit – und der Hilfe so mancher, die davon wissen und mithelfen - der Mutter in Kambodscha ein würdiges Alter in betreutem Wohnen in einer Familie dort ermöglicht hat.

Und selbst der kleine Mose von einst – ist nach vielem Irren und Wirren, zum großen Segen seines Volkes geworden, dann, als er Gott selbst das letzte Wort überließ.

Das sind für mich –aufknospende Zweige der Liebe, die durch Gott in die Welt kam, von Menschen aufgenommen wurde und nun diese Erde als ein Netzwerk der Liebe umspannen.
Erwachende Zweige des Lebens!
Wegweiser der Treue Gottes!
Liebe gebärende Wunder des Herrn!

Ich weiß aber auch um das namenlose Leid, das auch heute geschieht – und um die Tränen so vieler, die am Leben und an der Liebe verzagen – weil sie nichts aufblühen sehen.

Und dennoch!

Einer dieser Vielen ist Fritz Rosenthal – ein Urmünchner, dem die bayrische Lebensart sehr gefiel. Aber 1933 gefiel er manchem seiner Zeitgenossen dort gar nicht mehr und sie spielten ihm übelst mit.
 Das erkannte er als Zeichen der Zeit - als aufblühen eines giftigen Strauches.
Daraufhin hat er alles zurückgelassen und ist nach Jerusalem gezogen, in die Heimat seiner Vorfahren.
Von dort aus hat er die Schrecken des 2. Weltkrieges miterlebt.
1942 notiert er den Satz:
„Muss man nicht verrückt sein, in dieser Welt an Frieden zu glauben?“
Ja, er war ver-rückt, ab-gerückt, weg-gerückt von der Meinung vieler, das es nur noch Mord und Totschlag gibt. (meschugge)
Er gab sich selbst einen neuen Namen, als Lebensprogramm:
„ Friede, Sohn der Freiheit“ = Schalom Ben Chorin
Und hat seine Generation  an das Erlebnis des Jeremia erinnert:
„Ich sehe bereits den Frieden aufgehen“

Als Journalist hatte Schalom Ben-Chorin die Gabe- solches in gute Worte zu fassen:

„Freunde, dass der Mandelzweig, wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt.

Dass das Leben nicht verging, soviel Blut auch schreit – achtet dieses nicht gering – in der trübsten Zeit!“

 

Ja, auch in furchtbaren Zeiten, die Menschen je durchmachen müssen und mussten – war immer Liebe da, immer um sie herum und einhüllend, auch dort, wo die Liebe als solche zeitenweise nicht mehr wahrgenommen wurde.

Aber sie war da – und sie ist da – und sie bleibt da –

Weil in Jesus Christus die ganze Liebe Gottes zu uns Menschen gekommen ist.  - Und bei uns bleiben wird in Ewigkeit!

Amen

Donnerstag, 28. August 2014

Lesetipp: Selbstliebe! Aber wie?

Auf "Reizende Rundungen" erzählt Fat-Acceptance-Aktivistin und Plus-Size-Bloggerin Kathrin, wie sie das macht mit der Selbstliebe - bezogen auf ihren Körper. Lesenswert und sicher übertragbar auf andere Bereiche, an denen wir zu knabbern haben.

Bitte hier entlang:
Selbstliebe! Aber wie?

Dienstag, 26. August 2014

Vorschau: Maria und Josef

Evelyn Helle: Gefährliche Liebschaft: Tobias und Sara (Buch Tobit)

Kapitel 12 - Buch Tobit:
Ich lese das Ende der Geschichte von Tobias und Sara, die gut ausgegangen ist. Der Engel Rafael, Tobias Reisbegleiter, offenbart sich selbst: …
(zum biblischen Text hier entlang) 

Liebe Gemeinde,
vielleicht haben Sie das Buch Tobias oder auch Tobit in Ihrer Lutherbibel erfolglos gesucht. Es gehört zu den sogenannten Apokryphen, die nur in der katholischen oder auch in den ökumenischen Bibeln abgedruckt sind.
Apokryphen, griechisch; sind „verborgene“, von der öffentlichen Verbreitung ausgeschlossene Schriften, den kanonischen Büchern nicht gleichgestellte jüdische und christliche Schriften.
Kanon (Regel, Richtschnur): Die als echt anerkannten Bücher der Bibel.
M. Luther: „Das sind Bücher, so der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten, doch nützlich und gut zu lesen sind.“
Im Buch Tobias geht es um die Geschichte eines jungen Paares, nämlich Tobias und Sara, die in eine Familiengeschichte eingebettet ist. Die Ehe von Sara und Tobias ist das Ende eines dramatischen Geschehens. Die Geschichte hat märchenhafte Züge und geht auch gut aus.
Es ist eine Beispielerzählung, aber kein historischer Bericht. Absicht dieser Erzählung ist die religiöse und sittliche Unterweisung. Wie soll sich ein Angehöriger des Gottesvolkes in der Diaspora, in der Zerstreuung, verhalten, ohne den Schutz eines eigenen Staates, der Willkür fremder Herrscher ausgeliefert und durch die Berührung mit der heidnischen Umwelt gefährdet.
Auf die Frage, wie sich in dieser Lage der einzelne Gläubige verhalten soll, um die Hilfe seines Gottes zu erlangen, antwortet das Buch Tobias, indem es am Beispiel eines frommen Israeliten die Voraussetzungen für Gottes Eingreifen darstellt. Jeder Israelit kann in der Fremde die rettende Hilfe seines Gottes erfahren, wenn er in Treue zu diesem Gott und den Überlieferungen der Vorfahren steht. Das Buch Tobias ist also eine Lehrschrift, gekleidet in das Gewand einer geschichtlichen Erzählung.
Tobias und Sara sind beide Einzelkinder und leben weit voneinander weg und wissen nichts voneinander.
Tobias Eltern leben im Exil in Ninive unter Heiden und sind verarmt. Tobias ist ihr einziges Kind. Der Vater von Tobias – er heißt Tobit - hat sein ganzes Vermögen verloren. Zudem ist er blind geworden.
Als er einen Glaubensgenossen gegen den Befehl des ungläubigen Königs begraben hat, fällt ihm Vogel Kot in die Augen, dadurch erblindet er.
Seine Frau Hanna ernährt die Familie und streitet gelegentlich mit ihrem Mann, wenn dieser hart und ungerecht mit ihr umgeht.
Um die Not zu lindern, schicken sie ihren einzigen Sohn Tobias in die Fremde, um Geld zurückzuholen, das sein Vater in guten Tagen einem Verwandten geliehen hat. Die Mutter möchte ihren Sohn lieber zu Hause behalten, aber der Vater drängt ihn zur Reise, denn es ist die einzige Hoffnung, um aus der Not herauszukommen.
Für den frommen Juden Tobit ist es wichtig, dass sein Sohn eine Frau aus
seinem eigenen Volk und besser noch: aus seiner eigenen Verwandtschaft findet. So kann der Glaube und die Familie recht bewahrt und erhalten werden. Der Vater schärft dem Sohn vor der Abreise mehrfach ein, nur eine Frau aus dem eigenen Stamm zu heiraten.

Auch Sara ist ein Einzelkind. Auch sie soll einen Mann nur aus ihrer Verwandtschaft heiraten. Sie wird jedoch von einem bösen Dämon bedroht, der jedes Mal den Mann, der sie heiraten will, in der Hochzeitsnacht tötet, während Sara selber unangetastet bleibt.
Das ist bereits siebenmal geschehen. So hat die  Familie fast schon die Hoffnung aufgegeben, für Sara noch einen Mann zu finden. Da die Zukunft einzig und allein in der Fortführung der Familie und damit im Fortbestand des jüdischen Volkes und seiner Glaubensüberlieferungen gesehen wird, hängt alles daran, ob es noch eine Möglichkeit gibt, Sara von diesem Dämon zu befreien, der das Weiterbestehen der Familie verhindert.

Dass Tobias am Ende der Geschichte mit einer Ehefrau zurückkommt, war ursprünglich nicht geplant. Die  Schicksale, die kunstvoll miteinander verschränkt sind, werden am Wendepunkt der Erzählung deutlich: Tobias Vater Tobit und Sara schicken beide ein bitteres Klagegebet zum Himmel, beide Gebete kommen gleichzeitig vor Gottes Majestät. Durch die Vermittlung des Engels Rafael werden nun die Fäden für ein glückliches Ende im Himmel geknüpft:
Die Reise führt dazu, dass der Geldschatz zurückgegeben wird, dass Tobias Vater geheilt und die für Tobias bestimmte Braut Sara vom Dämon befreit wird.
Auf seinem Reiseweg wird Tobias von einem großen Fisch bedroht, den er aus dem Fluss Tigris ziehen will.
In diesem Fisch findet er mit Hilfe seines Begleiters, der sich am Ende als der Engel Rafael offenbart, die Heilmittel für seinen Vater und für die Verbannung des Dämons.
Tobias wird vom Engel sicher über riesige Entfernungen zur Familie seines Verwandten Raguel geführt, der ihn gastfreundlich aufnimmt.
Bald stellt sich heraus, dass Tobias aus dem gleichen jüdischen Stamm ist, und er soll Sara heiraten. Aber die Angst bleibt, dass der Dämon auch diesmal den Bräutigam töten könnte.

Die Ängste, die hier sichtbar werden, sind aus manchen Märchen bekannt: Ein Mann muss viele Hindernisse überwinden, um die ersehnte Frau zu bekommen. Das Hindernis ist hier der Dämon, der Aschmodai heißt und regelmäßig die Männer tötet; der Frau geschieht nichts.
Es waren sieben Männer, die der Dämon getötet hat.
Sieben ist eine symbolische Zahl, in der Bibel bedeutet sie die Zahl der Vollständigkeit (sieben Schöpfungstage etc.). Ein achtes Mal soll und wird es nicht geben.

Die volkstümliche Angst vor der „männermordenden“ Frau findet sich in der hebräischen Bibel nur hier und in der Geschichte von Juda und Tamar (Genesis 38).
Hinter dieser Angst vor der Frau, die den Mann umbringt, wenn er am wehrlosesten ist, steckte eine tiefe Angst vor der Sexualität.
Darum wurden solche Vorstellungen vor allem in der Hochzeitsnacht angesiedelt, wie es im Tobiasbuch der Fall ist.
Darin spiegelt sich eine (männliche) Angst vor der Überlegenheit der Frau in Sachen Liebe und Sexualität, vielleicht auch die geheime Angst des Mannes vor der Zeugung, denn mit der Geburt des Sohnes tritt er in das zweite Glied zurück.

Eine Magd in Saras Familie will diese „Männermorde“ Sara zur Last legen, wohingegen der biblische Text ausdrücklich Sara als unschuldig darstellt und die Schuld an diesen Vorgängen einem Dämon zuschreibt.
Unerklärliche Krankheiten, schreckliche Vorgänge und schwer zu erklärende Unglücksfälle wurden in der Antike häufig auf Dämonen zurückgeführt.
Wie nun Sara und Tobias mit diesem „Dämon“ fertig werden, zeigt die Mitte der Geschichte, die Hochzeitsnacht.
Vorher wird die Hochzeit im Haus der Braut gefeiert und es wird ein Ehevertrag aufgesetzt.
Hier findet sich der älteste Beleg eines schriftlichen Ehevertrags im AT.
Edna, die Mutter Saras, bringt das Schreibzeug herein, der Vater Raguël setzt den Vertrag auf. Damit ist die Ehe rechtlich geschlossen. Die junge Frau Sara wird nicht gefragt. Wie in patriarchalischen Gesellschaften üblich, wird die Ehe durch die Eltern arrangiert. Normalerweise tun dies die Eltern des Bräutigams, in diesem Fall sind es Saras Eltern, da Tobias schon erwachsen ist und seine Eltern im weit entfernten Ninive wohnen.
Von der Hochzeitsnacht hängt es nun ab, ob Tobias mit dem Leben davon kommt und ob die Erzählung überhaupt weiter geht.
Durch umsichtiges und frommes Handeln gelingt es dem jungen Ehemann mit Hilfe von Herz und Leber aus dem getöteten Fisch, den Dämon zu vertreiben.
Tobias verbrennt die Bestandteile des Fisches, in denen die Lebenskräfte angesiedelt sind, auf dem Räucheraltärchen und vertreibt damit den Dämon in das oberste Ägypten.
Die magisch anmutende Räucherszene wird begleitet von Gebeten des Tobias, der sich seiner Frau nicht in blinder Gier, sondern in Achtung und Gottesfurcht nähert.
Über die, welche Gott fürchten, hat der Dämon keine Gewalt mehr.
Erst nachdem der Dämon vertrieben und die entsprechenden Gebete gesprochen sind, geht Tobias zu seiner Braut.

Diese Hochzeitsnacht von Tobias und Sara hat eine beträchtliche Wirkungsgeschichte in der christlichen Theologie entfaltet.
Sie wurde unter der Bezeichnung „Tobiasnächte“ abgehandelt und geht auf eine Auslegung des Kirchenlehrers Hieronymus und seiner lateinischen Bibelübersetzung zurück. Hieronymus verlängert das, was in der biblischen Erzählung sich in einer Nacht ereignet, auf drei Nächte. Die christlichen Eheleute werden durch das ganze Mittelalter hindurch zur Sittsamkeit und zu einem keuschen Beginn ihrer Ehe ermahnt nach dem Beispiel des jungen Tobias.
Wie Tobias soll ein junges Paar erst den Segen Gottes anrufen, bevor sie miteinander schlafen. Hinter diesen Ermahnungen stand häufig auch eine große Leibfeindlichkeit, wie sie in der biblischen Erzählung nicht zu finden ist.
In unserer Geschichte finden am Morgen die Eltern Saras die beiden schlafend und am Leben. Sie freuen sich, dass dem jungen Mann nichts passiert ist, und der Vater Saras schaufelt das Grab wieder zu, das er vorsichtshalber bereits in der Nacht hat ausheben lassen.
Die Eltern freuen sich, dass nun ein glückliches Eheleben auf die beiden Einzelkinder wartet und sie die Familie und Tradition der beiden Familien fortsetzen können.
Anders als in der Erzählung von Isaak und Rebekka, die unserer Geschichte als Vorbild gedient hat, wird Sara nicht gefragt, ob sie Tobias heiraten will.
Außer dem Gebet am Anfang des Buches spricht sie nur ein einziges Wort, nämlich das „Amen“ am Ende des Gebetes in der Hochzeitsnacht.
Tobias spricht das Gebet allein, er beginnt darin mit der Schöpfungsgeschichte von Adam und Eva als dem vorbildlichen Paar, und erbittet den Segen für sich und seine Frau bis ins hohe Alter. Sara ist die passivste aller Frauen im Tobiasbuch, ein Objekt, über das die Männer, der Vater und Tobias, verfügen.
Trotzdem ist auch von Liebe die Rede: allerdings wiederum einseitig.
Als der Engel Rafael am Tigris dem jungen Tobias von seiner Verwandten Sara erzählt, heißt es von Tobias: „Er begann sie zu lieben, und sein Herz hängte sich an sie.“
Wir erfahren also von der Zuneigung  des Tobias, bevor er Sara zum ersten Mal gesehen hat, ob Sara diese Liebe erwidert, interessiert den Erzähler nicht. Es wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass sie dem Verwandten, der sie aus ihrer Notlage und vom Dämon befreit hat, die Achtung und Liebe einer Ehefrau entgegen bringt und ihren Ehemann in das entfernte Ninive begleiten wird.
Die Geschichte ist somit ganz aus der Perspektive von Männern erzählt, die aktiv sind, einschließlich des Engels Rafael, der als junger Mann erscheint (Engel sind in der Bibel immer männlich) und der heimlich die Fäden zieht.
Die himmlische Welt, die damit den Gang der Dinge auf Erden lenkt, wirkt hier zum Segen des jungen Paares, das am Schluss in der Lage ist, die Familiengeschichte fortzuführen und damit auch den Glauben Israels weiter zu überliefern.

Was kann uns diese Geschichte heute noch sagen?
Ich möchte nur ein wenig  skizzieren, andeuten: Achtung von Mann und Frau voreinander. Kein vorschnelles Urteil fällen wie die Magd in der Geschichte. Ein Dämon übt Gewalt aus. Auch heute noch Gewalt in der Welt gegen Männer, Frauen und Kinder, die durchaus etwas „Dämonisches“ an sich haben kann. Gebet vertreibt „die Dämonen“. Aufforderung zum Gebet und zum gerechten Handeln, immer wieder.