Sonntag, 31. August 2014

Martin Schultheiß: Die Liebe in furchtbaren Zeiten: Moses Eltern (2. Mose 1ff)

Liebe Gemeinde,
im Rahmen dieser Sommer-Predigtreihe haben Sie nun schon einige Aspekte zum Thema Liebe hören können.
Heute möchte ich Sie gerne mitnehmen auf einen Weg zu Menschen, die den Glauben an die Liebe und an Gott verloren haben, weil ihnen furchtbares Leid geschah.
Vom Nahen Osten hören wir grausige Berichte von Massakern an Jesiden und Kurden, Christen und Muslimen.
Gaza versank in Trümmern, israelische Mütter beklagen ebenfalls ihre Kinder usw.
In Afrika und vielen anderen Regionen der Erde ist es nicht anders.
…. Ebola, 12 Bürgerkriege (!) allein in Afrika derzeit  … und …

Wie denkt wohl ein Mädchen in Indien, das vergewaltigt wurde, schwanger wurde - und-  damit niemand im Dorf solche Schande sehen sollte, weit entfernt auf einer christlichen Missionsstation ihr Kind zur Welt brachte??? –
 Es dann dort ließ, dem Versprechen der Christen dort trauend, dass diese für ein geordnetes Aufwachsen ihrer kleinen Tochter sorgen würden.

Wie hat es das Herz einer Witwe in Kambodscha zerrissen, als sie das letzte ihrer Kinder, welche die Häscher der roten Khmer nicht getötet  hatten, eine Tochter, ins Ausland gibt, als sich die Möglichkeit dazu bietet – nicht wissend, was aus ihr wird und wer sie selbst dann im Alter begleiten wird???

Zwei Kinderschicksale – und das ihrer Mütter - stelle ich heute stellvertretend - für das unzählige Leid das über Menschen kam und - leider immer und immer wieder kommt, - in die Mitte.
Ich erinnere gleichzeitig daran, dass dies leider „schon immer“ so war, wo die Ungerechtigkeit triumphierte.
Das war nicht anders vor über 3000 Jahren im Nil-Delta, als einem hebräischen Sklavenpaar ein Sohn geboren wurde.
Zu der Zeit galt der Befehl des Pharo, - der sich vor einer Überfremdung seines Landes fürchtete-  und deshalb den Hebammen der hebräischen Frauen befohlen hatte – alle Büblein gleich nach der Geburt umzubringen.
 Die Mädchen, ja, die konnte er als Sklavinnen für alles und jedes gebrauchen, denn das waren ja keine künftigen Soldaten des Feindes.
Mit List konnte eine junge Mutter ihr Büblein 3 Monate im Haus verstecken, aber dann blieb nur noch ein Versteck vor den Häschern des Pharao - weit draußen im Schilfgürtel des Nilstromes.
 Miriam, die Schwester, sollte auf ihr kleines. Brüderlein aufpassen.
Einige Zeit ging das gut, bis – ausgerechnet eine Tochter des Pharao mit ihren Gespielinnen – genau dorthin zum Baden kam.
 War das Zufall?
Wir Christen wissen darum, dass es keine Zufälle gibt, sondern dass hinter allem scheinbar zufälligen, immer noch die Hand Gottes wirkt.
Davon wusste das junge Sklavenpaar damals aber nichts.
Sie erlebten nur, dass ihnen ihr Kind weggenommen wurde, gleich nach der Stillphase – sie hofften vielleicht noch, dass es ihrem Kind dort besser gehe, als bei ihnen.
Sogar einen neuen Namen gab die Prinzessin dem Kind und erklärte es damit zu ihrem eigenen Kind: „Moses“- der aus dem Wasser gezogene“
Auch eine Art Leihmutter-Geschäft.
Anders als in Thailand derzeit – aber für  Eltern ist es immer schlimm - ein Kind hergeben zu müssen!!

Wo bleibt da die Liebe?

Das fragen sich auch bei uns Menschen, denen der Tod Kinder nimmt, sei es mit Ansage durch eine schlimme Krankheit – oder von einem Moment auf den anderen-  durch einen Unfall oder gar Mord.

Liebe ist das Band, das eine Familie zusammenhält. Eltern nehmen viele Opfer und Entbehrung auf sich um ihren Kindern eine geordnete Zukunft zu ermöglichen.
Liebe - ist das Band mit dem Eltern und Kinder verbunden sind und sie zur Familie werden lassen.
Eine Liebe, die nicht berechnet, was kostet mich das und was bringt mir das, - sondern die sich einfach verströmt im Miteinander der Tage, bis die Zeit kommt, da die Kinder das Haus verlassen.
Und auch dann bleibt dieses Band erhalten, wenn es nicht von einer Seite überstrapaziert wird.

Was aber bleibt von dieser Liebe – wenn der Tod dieses Band brutal abschneidet?
Welchen Sinn hatte dann diese Liebe?
Wenn eine grausame Krankheit, - eine schwere Behinderung-  oder gar der Tod - alles an Lebenshoffnungen über den Haufen wirft, - was bleibt dann?

Ich kann nur von mir selbst berichten, - wie mir es ging, als ich und die Meinen diesen Kelch trinken mussten.

Ein Verkehrsunfall riss eines unserer Kinder von einem Moment auf den anderen aus unserer Mitte.
Der Schock zunächst war fast noch eine Gnade – das alles gar nicht bis in die Tiefe zu realisieren, was sich da verändert.
Aber dann kamen große Zeiten der Einsamkeiten.
Die Last der Trauer ist so schwer, - da kann man sich nicht mal als Ehepaar gegenseitig diese Last abnehmen. Viele Ehen scheitern gerade in solchen Zeiten. Auch den anderen Kindern kann man da nicht genug Begleiter sein.
„O Gott, wie kannst Du das zulassen“ – so schrie ich wie alle Todwunden.
Da ist nichts mehr wie es war – auch nicht die Liebe – da ist nur noch „Black-out“ – wie ein Netz ohne Strom. Wir haben nur noch funktioniert, - mechanisch, ohne Antrieb.

Ich meinerseits war innerlich ganz leer. Ich konnte nichts mehr tun.

Und dann habe ich und die Meinen dies Wunder erlebt: Das Mit-leiden und Mit-Tragen unserer Verwandten, vieler Freundinnen und Freunde - und ja, der Gemeinde in der wir gelebt hatten.
 Seither empfinde ich dies Geschenk, das Gott uns mit „Gemeinde“ macht, als eine riesige  Kostbarkeit.
Wir waren nicht allein gelassen worden – das haben wir aber erst so nach und nach gemerkt.
 Und die hilfreichste Beileidsbezeugung war uns nicht mal auf irgendeiner der vielen Kondolenz-Karten begegnet, obwohl da auch viel Liebe drin war, - sondern im Kochtopf einer beherzten Nachbarin, die klingelte und nur sagte: „ich weiß nicht was ich sagen soll, aber ich weiß dass ihr jetzt eine Nudelsuppe braucht!“

In dieser Zeit  ist uns viel Liebe begegnet – durch viele und vielerlei Menschen – über lange Zeit hinweg.

Ja, es hat Zeit gebraucht – lange Zeit – bis ich von der Anklage an Gott weiterkam - und an diese Gesellschaft,- die dem Verkehr auf der Straße so viele Opfer überlässt.

Zeit-  ist ein Bestandteil meiner Heilung geworden – Zeit, in der ich neu entdeckt hatte – ich war ja gar nicht von Gott verlassen gewesen, sondern von Recht und Ordnung auf der Straße.

Wie eine Morgendämmerung ist mir die Liebe Gottes so langsam wieder  neu aufgegangen. Auch weiterhin konnte ich nur sehr verhalten oder unter Tränen die Lieder mitsingen, die Dank und Freude so überschwänglich ausdrücken.

Und dann habe ich plötzlich gemerkt, dass jeder Tag, der vergeht – uns nicht weiter auseinander bringt – meinen Sohn Christoph und mich – sondern dass jeder Tag der vergeht uns näher aufeinander zuführt – dem Reich Gottes entgegen.
Das war mir ein ganz großer Trost – und ist es bis heute – wenn ich mir so vorstelle: - hätte er jetzt wohl auch eine Familie, wenn er noch bei uns lebte?

Ich habe gemerkt: die Liebe kann ich nicht einspannen und gebrauchen oder erzwingen, wie ich will.
Aber von vielen Seiten her kam Liebe zu mir – durch ganz unterschiedliche Menschen, auch solche, von denen ich es nie erwartet hätte.
 Nur der „Frömmste und Bibelfesteste“ damals – wusste nichts anderes als mich zu fragen, ob mein Sohn (mit seinen 6 Jahren) sich wohl schon zu Christus bekehrt gehabt hätte und damit gerettet wäre - oder „verloren“ sei?

„Herr, vergib ihnen – denn sie wissen nicht, was sie da  reden!“

Gerade aus der Bibel habe ich meinen größten Trost gezogen,
 gerade aus den Zusagen Gottes - seiner unaufhörlichen Liebe zu uns!
Der allen um ihr (Lebens-)Recht gebrachten zu ihrem Recht verhilft.
Nicht wir tun das Entscheidende! Was unser Gott geschaffen hat – das wird ER auch erhalten!
Darin habe ich meinen ganz tiefen Frieden gefunden – in der Liebe Gottes zu seiner ganzen Welt.
Wer könnte uns scheiden von der Liebe Gottes ….?
Nichts und niemand.
Nicht einmal der Tod
So brutal er auch an uns kommen kann.

Ich habe erlebt, wie alle menschliche Liebe – erst aus der Liebe Gottes zu uns allen  - seine Kraft bezieht!

Als ich lieb-und leblos war, habe ich erlebt, geliebt zu werden, von vielen, - bis neue Liebe in mir wachsen konnte.

Das will ich zu Gottes Ehre heute bekennen – ja – seine Liebe zu uns ist stärker als der Tod.
Jetzt begreife ich die Wahrheit dieser Aussage!
 Ich wundere mich – dass ich so fröhlich bin! –Getrost bin.
Gott sei Dank!!!
Und ich bleibe dankbar den Vielen gegenüber, die uns damals durchgetragen und begleitet haben und uns Liebe zugeströmt haben, auch wenn wir zunächst kaum etwas davon aufnehmen konnten.

Ein Kind – so brutal entrissen zu bekommen – dieses Los teile ich mit viel zu vielen Menschen – mit Millionen Menschen, wenn ich so auf den Weg der Menschheit zurückschaue. Ich bin nicht der Einzige, dem es so erging.
Aber auch diese Erkenntnis (!) wurde mir wie eine schützende Gemeinschaft, die mich mit einschließt und umfängt.
Es gibt Menschen die mich verstehen.
Die sich gegenseitig, trotz aller Wunden ihrer Seele, mit Liebe und Achtung begegnen.

So sind meine Gedanken jetzt gerade oft bei den Menschen in Nahost, bei allen (!) denen Unrecht und Leid geschah.
Ich bringe sie im Gebet vor unseren himmlischen Vater und bin gewiss, dass er kein einziges Menschenleben, das um sein irdisches Recht gebracht wurde – vergisst. Gott bringt alle zu ihrem Recht!
Und ich will mit meinem Verhalten darauf achten, dass ich nichts unterstütze, das die Gewalttätigen und Rechtsbrecher, wo auch immer, fördern würde.
Im Gegenteil – ich will meine Stimme und mehr für die Rechtlosen einbringen. Und meine Tat.


Als der Prophet Jeremia berufen wurde in sein Amt – erschrak er zunächst: „ich bin zu jung, zu gering, ich kann zu wenig ….“(Jer.1)
Aber dann berichtet er später, wie Gott ihn an der Hand nahm,
wie  die Furcht ihre Macht verlor – als er gemerkt hatte: Das Entscheidende tut immer Gott selbst.
 Nicht er, der kleine Prophet, musste die Welt retten!
Gott verlangte nur von ihm – genau hin zu schauen – was er da sieht.

Und Jeremia hat plötzlich nicht mehr nur das Negative gesehen, nicht mehr nur die schlimmen Nachrichten gehört, nicht mehr nur gejammert, wie schlecht diese Welt doch ist.
Nein – er hat beides gesehen – sowohl das Bodenlos Böse dieser Welt – aber auch, wie immer wieder neues Leben aufblüht – unzerstörbar.
Die Wahrheit und das Leben und die Liebe – sie sind nicht tot zu kriegen!
Jeremia beschreibt uns das anhand eines knospenden Zweiges – wie aus „scheinbar“ totem Holz neues Leben erblüht.
Und er vertraut der Zusage des lebendigen Gottes, dass dieser selbst darüber wachen wird – das dies in Erfüllung geht.

Auch abgefrorene Blütenzweige können neu ausschlagen und Frucht bringen!

Der indische Säugling, von dem ich eingangs sprach, den seine Mutter loslassen musste und im Unbekannten verschwand – wurde nach Deutschland adoptiert – und lebt heute als Mutter einer glücklichen Familie im Ruhrgebiet.

Die Witwe in Kambodscha – die ihre Tochter loslassen musste, darf heute erleben, wie ihre Tochter, heute ebenfalls mit einer glücklichen Familie in Deutschland gesegnet – durch ihrer Hände Arbeit – und der Hilfe so mancher, die davon wissen und mithelfen - der Mutter in Kambodscha ein würdiges Alter in betreutem Wohnen in einer Familie dort ermöglicht hat.

Und selbst der kleine Mose von einst – ist nach vielem Irren und Wirren, zum großen Segen seines Volkes geworden, dann, als er Gott selbst das letzte Wort überließ.

Das sind für mich –aufknospende Zweige der Liebe, die durch Gott in die Welt kam, von Menschen aufgenommen wurde und nun diese Erde als ein Netzwerk der Liebe umspannen.
Erwachende Zweige des Lebens!
Wegweiser der Treue Gottes!
Liebe gebärende Wunder des Herrn!

Ich weiß aber auch um das namenlose Leid, das auch heute geschieht – und um die Tränen so vieler, die am Leben und an der Liebe verzagen – weil sie nichts aufblühen sehen.

Und dennoch!

Einer dieser Vielen ist Fritz Rosenthal – ein Urmünchner, dem die bayrische Lebensart sehr gefiel. Aber 1933 gefiel er manchem seiner Zeitgenossen dort gar nicht mehr und sie spielten ihm übelst mit.
 Das erkannte er als Zeichen der Zeit - als aufblühen eines giftigen Strauches.
Daraufhin hat er alles zurückgelassen und ist nach Jerusalem gezogen, in die Heimat seiner Vorfahren.
Von dort aus hat er die Schrecken des 2. Weltkrieges miterlebt.
1942 notiert er den Satz:
„Muss man nicht verrückt sein, in dieser Welt an Frieden zu glauben?“
Ja, er war ver-rückt, ab-gerückt, weg-gerückt von der Meinung vieler, das es nur noch Mord und Totschlag gibt. (meschugge)
Er gab sich selbst einen neuen Namen, als Lebensprogramm:
„ Friede, Sohn der Freiheit“ = Schalom Ben Chorin
Und hat seine Generation  an das Erlebnis des Jeremia erinnert:
„Ich sehe bereits den Frieden aufgehen“

Als Journalist hatte Schalom Ben-Chorin die Gabe- solches in gute Worte zu fassen:

„Freunde, dass der Mandelzweig, wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt.

Dass das Leben nicht verging, soviel Blut auch schreit – achtet dieses nicht gering – in der trübsten Zeit!“

 

Ja, auch in furchtbaren Zeiten, die Menschen je durchmachen müssen und mussten – war immer Liebe da, immer um sie herum und einhüllend, auch dort, wo die Liebe als solche zeitenweise nicht mehr wahrgenommen wurde.

Aber sie war da – und sie ist da – und sie bleibt da –

Weil in Jesus Christus die ganze Liebe Gottes zu uns Menschen gekommen ist.  - Und bei uns bleiben wird in Ewigkeit!

Amen

Donnerstag, 28. August 2014

Lesetipp: Selbstliebe! Aber wie?

Auf "Reizende Rundungen" erzählt Fat-Acceptance-Aktivistin und Plus-Size-Bloggerin Kathrin, wie sie das macht mit der Selbstliebe - bezogen auf ihren Körper. Lesenswert und sicher übertragbar auf andere Bereiche, an denen wir zu knabbern haben.

Bitte hier entlang:
Selbstliebe! Aber wie?

Dienstag, 26. August 2014

Vorschau: Maria und Josef

Evelyn Helle: Gefährliche Liebschaft: Tobias und Sara (Buch Tobit)

Kapitel 12 - Buch Tobit:
Ich lese das Ende der Geschichte von Tobias und Sara, die gut ausgegangen ist. Der Engel Rafael, Tobias Reisbegleiter, offenbart sich selbst: …
(zum biblischen Text hier entlang) 

Liebe Gemeinde,
vielleicht haben Sie das Buch Tobias oder auch Tobit in Ihrer Lutherbibel erfolglos gesucht. Es gehört zu den sogenannten Apokryphen, die nur in der katholischen oder auch in den ökumenischen Bibeln abgedruckt sind.
Apokryphen, griechisch; sind „verborgene“, von der öffentlichen Verbreitung ausgeschlossene Schriften, den kanonischen Büchern nicht gleichgestellte jüdische und christliche Schriften.
Kanon (Regel, Richtschnur): Die als echt anerkannten Bücher der Bibel.
M. Luther: „Das sind Bücher, so der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten, doch nützlich und gut zu lesen sind.“
Im Buch Tobias geht es um die Geschichte eines jungen Paares, nämlich Tobias und Sara, die in eine Familiengeschichte eingebettet ist. Die Ehe von Sara und Tobias ist das Ende eines dramatischen Geschehens. Die Geschichte hat märchenhafte Züge und geht auch gut aus.
Es ist eine Beispielerzählung, aber kein historischer Bericht. Absicht dieser Erzählung ist die religiöse und sittliche Unterweisung. Wie soll sich ein Angehöriger des Gottesvolkes in der Diaspora, in der Zerstreuung, verhalten, ohne den Schutz eines eigenen Staates, der Willkür fremder Herrscher ausgeliefert und durch die Berührung mit der heidnischen Umwelt gefährdet.
Auf die Frage, wie sich in dieser Lage der einzelne Gläubige verhalten soll, um die Hilfe seines Gottes zu erlangen, antwortet das Buch Tobias, indem es am Beispiel eines frommen Israeliten die Voraussetzungen für Gottes Eingreifen darstellt. Jeder Israelit kann in der Fremde die rettende Hilfe seines Gottes erfahren, wenn er in Treue zu diesem Gott und den Überlieferungen der Vorfahren steht. Das Buch Tobias ist also eine Lehrschrift, gekleidet in das Gewand einer geschichtlichen Erzählung.
Tobias und Sara sind beide Einzelkinder und leben weit voneinander weg und wissen nichts voneinander.
Tobias Eltern leben im Exil in Ninive unter Heiden und sind verarmt. Tobias ist ihr einziges Kind. Der Vater von Tobias – er heißt Tobit - hat sein ganzes Vermögen verloren. Zudem ist er blind geworden.
Als er einen Glaubensgenossen gegen den Befehl des ungläubigen Königs begraben hat, fällt ihm Vogel Kot in die Augen, dadurch erblindet er.
Seine Frau Hanna ernährt die Familie und streitet gelegentlich mit ihrem Mann, wenn dieser hart und ungerecht mit ihr umgeht.
Um die Not zu lindern, schicken sie ihren einzigen Sohn Tobias in die Fremde, um Geld zurückzuholen, das sein Vater in guten Tagen einem Verwandten geliehen hat. Die Mutter möchte ihren Sohn lieber zu Hause behalten, aber der Vater drängt ihn zur Reise, denn es ist die einzige Hoffnung, um aus der Not herauszukommen.
Für den frommen Juden Tobit ist es wichtig, dass sein Sohn eine Frau aus
seinem eigenen Volk und besser noch: aus seiner eigenen Verwandtschaft findet. So kann der Glaube und die Familie recht bewahrt und erhalten werden. Der Vater schärft dem Sohn vor der Abreise mehrfach ein, nur eine Frau aus dem eigenen Stamm zu heiraten.

Auch Sara ist ein Einzelkind. Auch sie soll einen Mann nur aus ihrer Verwandtschaft heiraten. Sie wird jedoch von einem bösen Dämon bedroht, der jedes Mal den Mann, der sie heiraten will, in der Hochzeitsnacht tötet, während Sara selber unangetastet bleibt.
Das ist bereits siebenmal geschehen. So hat die  Familie fast schon die Hoffnung aufgegeben, für Sara noch einen Mann zu finden. Da die Zukunft einzig und allein in der Fortführung der Familie und damit im Fortbestand des jüdischen Volkes und seiner Glaubensüberlieferungen gesehen wird, hängt alles daran, ob es noch eine Möglichkeit gibt, Sara von diesem Dämon zu befreien, der das Weiterbestehen der Familie verhindert.

Dass Tobias am Ende der Geschichte mit einer Ehefrau zurückkommt, war ursprünglich nicht geplant. Die  Schicksale, die kunstvoll miteinander verschränkt sind, werden am Wendepunkt der Erzählung deutlich: Tobias Vater Tobit und Sara schicken beide ein bitteres Klagegebet zum Himmel, beide Gebete kommen gleichzeitig vor Gottes Majestät. Durch die Vermittlung des Engels Rafael werden nun die Fäden für ein glückliches Ende im Himmel geknüpft:
Die Reise führt dazu, dass der Geldschatz zurückgegeben wird, dass Tobias Vater geheilt und die für Tobias bestimmte Braut Sara vom Dämon befreit wird.
Auf seinem Reiseweg wird Tobias von einem großen Fisch bedroht, den er aus dem Fluss Tigris ziehen will.
In diesem Fisch findet er mit Hilfe seines Begleiters, der sich am Ende als der Engel Rafael offenbart, die Heilmittel für seinen Vater und für die Verbannung des Dämons.
Tobias wird vom Engel sicher über riesige Entfernungen zur Familie seines Verwandten Raguel geführt, der ihn gastfreundlich aufnimmt.
Bald stellt sich heraus, dass Tobias aus dem gleichen jüdischen Stamm ist, und er soll Sara heiraten. Aber die Angst bleibt, dass der Dämon auch diesmal den Bräutigam töten könnte.

Die Ängste, die hier sichtbar werden, sind aus manchen Märchen bekannt: Ein Mann muss viele Hindernisse überwinden, um die ersehnte Frau zu bekommen. Das Hindernis ist hier der Dämon, der Aschmodai heißt und regelmäßig die Männer tötet; der Frau geschieht nichts.
Es waren sieben Männer, die der Dämon getötet hat.
Sieben ist eine symbolische Zahl, in der Bibel bedeutet sie die Zahl der Vollständigkeit (sieben Schöpfungstage etc.). Ein achtes Mal soll und wird es nicht geben.

Die volkstümliche Angst vor der „männermordenden“ Frau findet sich in der hebräischen Bibel nur hier und in der Geschichte von Juda und Tamar (Genesis 38).
Hinter dieser Angst vor der Frau, die den Mann umbringt, wenn er am wehrlosesten ist, steckte eine tiefe Angst vor der Sexualität.
Darum wurden solche Vorstellungen vor allem in der Hochzeitsnacht angesiedelt, wie es im Tobiasbuch der Fall ist.
Darin spiegelt sich eine (männliche) Angst vor der Überlegenheit der Frau in Sachen Liebe und Sexualität, vielleicht auch die geheime Angst des Mannes vor der Zeugung, denn mit der Geburt des Sohnes tritt er in das zweite Glied zurück.

Eine Magd in Saras Familie will diese „Männermorde“ Sara zur Last legen, wohingegen der biblische Text ausdrücklich Sara als unschuldig darstellt und die Schuld an diesen Vorgängen einem Dämon zuschreibt.
Unerklärliche Krankheiten, schreckliche Vorgänge und schwer zu erklärende Unglücksfälle wurden in der Antike häufig auf Dämonen zurückgeführt.
Wie nun Sara und Tobias mit diesem „Dämon“ fertig werden, zeigt die Mitte der Geschichte, die Hochzeitsnacht.
Vorher wird die Hochzeit im Haus der Braut gefeiert und es wird ein Ehevertrag aufgesetzt.
Hier findet sich der älteste Beleg eines schriftlichen Ehevertrags im AT.
Edna, die Mutter Saras, bringt das Schreibzeug herein, der Vater Raguël setzt den Vertrag auf. Damit ist die Ehe rechtlich geschlossen. Die junge Frau Sara wird nicht gefragt. Wie in patriarchalischen Gesellschaften üblich, wird die Ehe durch die Eltern arrangiert. Normalerweise tun dies die Eltern des Bräutigams, in diesem Fall sind es Saras Eltern, da Tobias schon erwachsen ist und seine Eltern im weit entfernten Ninive wohnen.
Von der Hochzeitsnacht hängt es nun ab, ob Tobias mit dem Leben davon kommt und ob die Erzählung überhaupt weiter geht.
Durch umsichtiges und frommes Handeln gelingt es dem jungen Ehemann mit Hilfe von Herz und Leber aus dem getöteten Fisch, den Dämon zu vertreiben.
Tobias verbrennt die Bestandteile des Fisches, in denen die Lebenskräfte angesiedelt sind, auf dem Räucheraltärchen und vertreibt damit den Dämon in das oberste Ägypten.
Die magisch anmutende Räucherszene wird begleitet von Gebeten des Tobias, der sich seiner Frau nicht in blinder Gier, sondern in Achtung und Gottesfurcht nähert.
Über die, welche Gott fürchten, hat der Dämon keine Gewalt mehr.
Erst nachdem der Dämon vertrieben und die entsprechenden Gebete gesprochen sind, geht Tobias zu seiner Braut.

Diese Hochzeitsnacht von Tobias und Sara hat eine beträchtliche Wirkungsgeschichte in der christlichen Theologie entfaltet.
Sie wurde unter der Bezeichnung „Tobiasnächte“ abgehandelt und geht auf eine Auslegung des Kirchenlehrers Hieronymus und seiner lateinischen Bibelübersetzung zurück. Hieronymus verlängert das, was in der biblischen Erzählung sich in einer Nacht ereignet, auf drei Nächte. Die christlichen Eheleute werden durch das ganze Mittelalter hindurch zur Sittsamkeit und zu einem keuschen Beginn ihrer Ehe ermahnt nach dem Beispiel des jungen Tobias.
Wie Tobias soll ein junges Paar erst den Segen Gottes anrufen, bevor sie miteinander schlafen. Hinter diesen Ermahnungen stand häufig auch eine große Leibfeindlichkeit, wie sie in der biblischen Erzählung nicht zu finden ist.
In unserer Geschichte finden am Morgen die Eltern Saras die beiden schlafend und am Leben. Sie freuen sich, dass dem jungen Mann nichts passiert ist, und der Vater Saras schaufelt das Grab wieder zu, das er vorsichtshalber bereits in der Nacht hat ausheben lassen.
Die Eltern freuen sich, dass nun ein glückliches Eheleben auf die beiden Einzelkinder wartet und sie die Familie und Tradition der beiden Familien fortsetzen können.
Anders als in der Erzählung von Isaak und Rebekka, die unserer Geschichte als Vorbild gedient hat, wird Sara nicht gefragt, ob sie Tobias heiraten will.
Außer dem Gebet am Anfang des Buches spricht sie nur ein einziges Wort, nämlich das „Amen“ am Ende des Gebetes in der Hochzeitsnacht.
Tobias spricht das Gebet allein, er beginnt darin mit der Schöpfungsgeschichte von Adam und Eva als dem vorbildlichen Paar, und erbittet den Segen für sich und seine Frau bis ins hohe Alter. Sara ist die passivste aller Frauen im Tobiasbuch, ein Objekt, über das die Männer, der Vater und Tobias, verfügen.
Trotzdem ist auch von Liebe die Rede: allerdings wiederum einseitig.
Als der Engel Rafael am Tigris dem jungen Tobias von seiner Verwandten Sara erzählt, heißt es von Tobias: „Er begann sie zu lieben, und sein Herz hängte sich an sie.“
Wir erfahren also von der Zuneigung  des Tobias, bevor er Sara zum ersten Mal gesehen hat, ob Sara diese Liebe erwidert, interessiert den Erzähler nicht. Es wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass sie dem Verwandten, der sie aus ihrer Notlage und vom Dämon befreit hat, die Achtung und Liebe einer Ehefrau entgegen bringt und ihren Ehemann in das entfernte Ninive begleiten wird.
Die Geschichte ist somit ganz aus der Perspektive von Männern erzählt, die aktiv sind, einschließlich des Engels Rafael, der als junger Mann erscheint (Engel sind in der Bibel immer männlich) und der heimlich die Fäden zieht.
Die himmlische Welt, die damit den Gang der Dinge auf Erden lenkt, wirkt hier zum Segen des jungen Paares, das am Schluss in der Lage ist, die Familiengeschichte fortzuführen und damit auch den Glauben Israels weiter zu überliefern.

Was kann uns diese Geschichte heute noch sagen?
Ich möchte nur ein wenig  skizzieren, andeuten: Achtung von Mann und Frau voreinander. Kein vorschnelles Urteil fällen wie die Magd in der Geschichte. Ein Dämon übt Gewalt aus. Auch heute noch Gewalt in der Welt gegen Männer, Frauen und Kinder, die durchaus etwas „Dämonisches“ an sich haben kann. Gebet vertreibt „die Dämonen“. Aufforderung zum Gebet und zum gerechten Handeln, immer wieder.

Sonntag, 24. August 2014

Luther, eine Art Hund und die Liebe

Lesenswertes dazu drüben bei Daniel Renz.
Einfach hier drauf klicken.

Birgit Mattausch: Liebe hoch 3: Ruth, Naomi und Boas (Buch Ruth)

Hier entlang zum Anhören

Love is all around:  Personen, Orte, Zeit
Love is all around
Überall ist Liebe.
Die Personen heute:

Dort hinten, noch weit weg:
Boas, d.h.: der Potente
Lebt in Israel
Ist entfernt verwandt mit Naomi
Besitzt Land, Knechte, Mägde und Einfluß

Ruth, die Freundin
Kommt aus dem Land Moab
Heiratet Naomis Sohn
Wird jung Witwe
Hat keine Kinder

Naomi, die Liebliche
Kommt aus Israel
Lebt im Land Moab
Ausländerin
Hat 2 erwachsene Söhne. 2 Schwiegertöchter. Keine Enkel.
Der Mann stirbt. Die Söhne sterben.
Naomi will zurück nach Israel.


Doch Ruth hängte sich an sie
Gemeinsam mit ihren beiden Schwiegertöchtern zog Naomi weg von dem Ort, an dem sie gelebt hatte. Sie machte sich auf, um in das Land Israel zurückzukehren. (...)
Und Naomi sprach: Kehrt doch um, meine Töchter. Warum wollt ihr mit mir gehen? Habe ich etwa noch Söhne in meinem Schoß, die eure Männer werden könnten? (...)
Doch Ruth hängte sich an sie.
(Ruth 1,11-14 in Auszügen)

Im zerschlissenen Kleid ihrer Seele steht Ruth da. Und lässt sich fallen in Naomis Arm.
Lässt sich fallen.
Und alles, was ist.
Alles, was sie hat.
Was sie nicht hat.
Lässt sich fallen in Naomis Arm.
Wo du hingehst, da will ich auch hingehen. Wo du bleibst, da bleibe ich auch.
Wo du stirbst, da sterbe ich auch. Da will ich auch begraben sein.

Im zerschlissenen Kleid ihrer Seele steht sie da. Fällt in ein Immer und in ein Jetzt. Fühlt den Körper der anderen. Hört ihren Herzschlag. Spürt ihren Atem. Lässt sich.

Und Ruth hängte sich an sie.
Und ging mit Naomi in eine fremde Welt.

Als die Gerstenernte begann, kamen sie in Bethlehem an.
Und Ruth sagte zu Naomi: Ich will auf das Feld desjenigen gehen, in dessen Augen ich Wohlgefallen finde und Ähren nachlesen.
Und Naomi sagte zu ihr: Geh, meine Tochter.
Und sie ging hin und las Ähren hinter den Schnitterinnen und Schnittern im Feld.
Und es fügte sich so, dass das Feld im Besitz von Boas war.
(Ruth 1,22 - 2,3 in Auszügen)

So lag sie an seinen Beinen bis zum Morgen
Schnitt.
Alles ist getan.
Das Feld ist abgeerntet.
Die Gerste geworfelt.
Das Lamm gebraten.
Gekühlt der Wein.
Der Dreschplatz ein Tanzplatz.
Musik.
Sternschnuppen regnen in dieser Nacht.
Wünsch dir was! Schnell. Und schließ die Augen dabei.

Und Boas aß und trank, und sein Herz war guter Dinge. Dann ging er bis ans Ende des Getreidehaufens und legte sich hin. Da kam Ruth im Verborgenen, entblößte seine Beine und legte sich zu ihm. (Ruth 3,7)

Die Beine. Sehnig und braun. Mit weichen Haaren darauf. Hell geworden von vieler Sonne.
Die Musik ganz fern jetzt.
Über die Tenne hat sich die Nacht gelegt. Wie ein Mantel aus dunklem Samt.
Die Beine.
Der Mund.
Das Kinn.
Der Hals.
Ein Mann. Eine Frau.
Aneinandergeschmiegt.
Hals an Knie.
Mund auf Haut.
Die Luft riecht nach Gerste. Nach Brot.
Nach Schlaf. Und nach den Gerüchen der Körper.
Schweiß. Haar. Schoß. Wie Rose. Koriander.
Wie Liebende.

Die Beine sehnig und braun.
Und Ruths klopfendes Herz. Wie ein Hall in der Dunkelheit. Zittern nicht vor Kälte. Zittern vor...
Eine Hand ausstrecken.
Sie streicht über die Beine.
Die Wade. Der Knöchel.
Ein Mann. Eine Frau.
Es war in der Mitte der Nacht.

Er fragte: Wer bist du?
Sie sagte: Ich bin Ruth, deine Sklavin. Breite deinen Mantel über mich.
Er sprach: Gesegnet bist du, denn deine zweite Wohltat ist noch besser als die erste.
(...)
So lag sie an seinen Beinen bis zum Morgen.
Und Boas sagte: Alles, was du mir sagst, will ich tun. Denn alle im Tor meines Volkes wissen, dass du eine starke Frau bist.
(Ruth 3, 9-14a in Auszügen)

Besser als sieben Söhne
Im zerschlissenen Kleid ihrer Seele stand Ruth da. Und ließ sich fallen in Naomis Arm.
Ging mit in fremdes Land. In eine fremde Welt.
Ging hinter den Schnittern.
Brachte Naomi das Korn.
Tagliebe. Nachtliebe. Liebe.
Alle wissen, dass du eine starke Frau bist. Besser als sieben Söhne.
Im zerschlissenen Kleid ihrer Seelen stehen beide da:
Ruth und Naomi.
Naomi und Ruth.
Stark und weich sind sie.
Sie sind kämpferisch und sie sind zärtlich.
Eine ist nicht zu haben ohne die andere.

So nahm Boas Ruth zur Frau und schlief mit ihr. Und der Ewige ließ sie schwanger werden und sie gebar einen Sohn.
Und Naomi nahm das Kind, legte es auf ihren Schoß und wurde seine Mutter.
Und die Frauen sprachen zu ihr: Gepriesen sei der Ewige. Dies Kind wird dich im Alter versorgen, denn deine Schwiegertochter, die dich liebt, hat ihn für dich geboren.
Die ist besser als sieben Söhne.“
(Ruth 4,11-16 in Auszügen)

Was ich brauche (Danke, Martina!)
Ich schweife ab. Verlasse das Feld, die Tenne, das Haus. Verlasse die schwarzen Buchstaben auf den dünnen Blättern der Bibel. Wie Vogelspuren im Sand. Wie Abdrücke von Körpern.
Schweife ab.
Was brauchen Sie zum Leben? Fragt die Reporterin auf St.Pauli. Und Milena mit den Lack-Stilettos antwortet: Alles, was ich brauch, ist Liebe. Und meint damit nicht die käufliche.
Was brauchen Sie zum Leben?
Ein Dach
Ein Bett
Den Himmel. Die Sterne.
Das Wissen: alles wird gut.
Eine Freundin brauche ich: Wo du hingehst, da will auch ich hingehen.
Und Brot
Ich brauche die Sommernächte und den Atem eines anderen.
Alles, was ich brauch, ist Liebe.
Amen.

Donnerstag, 21. August 2014

Michael Waldmann: Höre, was ich dir flüstere: Josef und Potifars Frau (1.Mose 39)

Der Predigttext steht in 1. Mose 39
1Josef wurde hinab nach Ägypten geführt, und Potifar, ein ägyptischer Mann, des Pharao Kämmerer und Oberster der Leibwache, kaufte ihn von den Ismaelitern, die ihn hinabgebracht hatten. 2 Und der HERR war mit Josef, sodass er ein Mann wurde, dem alles glückte. Und er war in seines Herrn, des Ägypters, Hause. 3 Und sein Herr sah, dass der HERR mit ihm war; denn alles, was er tat, das ließ der HERR in seiner Hand glücken, 4 sodass er Gnade fand vor seinem Herrn und sein Diener wurde. Der setzte ihn über sein Haus; und alles, was er hatte, tat er unter seine Hände. 5 Und von der Zeit an, da er ihn über sein Haus und alle seine Güter gesetzt hatte, segnete der HERR des Ägypters Haus um Josefs willen, und es war lauter Segen des HERRN in allem, was er hatte, zu Hause und auf dem Felde. 6 Darum ließ er alles unter Josefs Händen, was er hatte, und kümmerte sich, da er ihn hatte, um nichts außer um das, was er aß und trank. Und Josef war schön an Gestalt und hübsch von Angesicht. 7 Und es begab sich danach, dass seines Herrn Frau ihre Augen auf Josef warf und sprach: Lege dich zu mir! 8 Er weigerte sich aber und sprach zu ihr: Siehe, mein Herr kümmert sich, da er mich hat, um nichts, was im Hause ist, und alles, was er hat, das hat er unter meine Hände getan; 9 er ist in diesem Hause nicht größer als ich und er hat mir nichts vorenthalten außer dir, weil du seine Frau bist. Wie sollte ich denn nun ein solch großes Übel tun und gegen Gott sündigen? 10 Und sie bedrängte Josef mit solchen Worten täglich. Aber er gehorchte ihr nicht, dass er sich zu ihr legte und bei ihr wäre. 11 Es begab sich eines Tages, dass Josef in das Haus ging, seine Arbeit zu tun, und kein Mensch vom Gesinde des Hauses war dabei. 12 Und sie erwischte ihn bei seinem Kleid und sprach: Lege dich zu mir! Aber er ließ das Kleid in ihrer Hand und floh und lief zum Hause hinaus. 13 Als sie nun sah, dass er sein Kleid in ihrer Hand ließ und hinaus entfloh, 14 rief sie das Gesinde ihres Hauses und sprach zu ihnen: Seht, er hat uns den hebräischen Mann hergebracht, dass der seinen Mutwillen mit uns treibe. Er kam zu mir herein und wollte sich zu mir legen; aber ich rief mit lauter Stimme. 15 Und als er hörte, dass ich ein Geschrei machte und rief, da ließ er sein Kleid bei mir und floh und lief hinaus. 16 Und sie legte sein Kleid neben sich, bis sein Herr heimkam, 17 und sagte zu ihm ebendieselben Worte und sprach: Der hebräische Knecht, den du uns hergebracht hast, kam zu mir herein und wollte seinen Mutwillen mit mir treiben. 18 Als ich aber ein Geschrei machte und rief, da ließ er sein Kleid bei mir und floh hinaus.
19 Als sein Herr die Worte seiner Frau hörte, die sie ihm sagte und sprach: So hat dein Knecht an mir getan, wurde er sehr zornig. 20 Da nahm ihn sein Herr und legte ihn ins Gefängnis, in dem des Königs Gefangene waren. Und er lag allda im Gefängnis. 21 Aber der HERR war mit ihm und neigte die Herzen zu ihm und ließ ihn Gnade finden vor dem Amtmann über das Gefängnis, 22 sodass er ihm alle Gefangenen im Gefängnis unter seine Hand gab und alles, was dort geschah, durch ihn geschehen musste.



Liebe Gemeinde,
was für eine Liebesgeschichte. Und das in der Bibel. Erfahrene Frau verführt jungen hübschen Mann, wird abgewiesen und rächt sich an ihm mit einem geschickten Schachzug. Liebe oder war es nur sexuelles Begehren schlägt in Hass um. Der scheinbare gehörnte Ehemann wirft den jungen Nebenbuhler ins Gefängnis. Gott sei Dank. Er hätte ihn auch töten können. Gott sei Dank. So kommt er letztlich zum Pharao – auf Umwegen.

Aber fangen wir mit dem Beginn der Geschichte an. Potifar kauft Josef und stellt bald fest, dass dem jungen Mann alles gelingt, was er anpackt. Gott war mit ihm. Gott ließ Josef alles gelingen und Potifar wurde immer wohlhabender. Vermutlich war Josef zunächst ein einfacher Sklave. Er schuftete auf den Feldern. Doch bald entdeckte man seine Managerqualitäten. Potifar, als Kämmerer (Finanzminister) und Vorgesetzter von Soldaten hat ein gutes Auge für Leute. Sehr schnell erkennt er den Wert seines Glücksfangs. Es dauert nicht lange und Josef schmeißt den Laden. Er wird zum Manager des ganzen Betriebs. Potifar kann es ich gut gehen lassen. Und Erfolg macht sexy – nicht nur heute. Der Blick er Frau des Potiphar fällt auf Josef und sie merkt: Er hat einen tollen Körperbau, V-förmiger Oberkörper, flacher Bauch, Sixpack, ein knackiger Hintern und auch noch ein schönes Gesicht aus dem Augen strahlen, in denen sie sich verlieren kann. Ihr Interesse ist geweckt. Unstillbar. Sie will diesen Jungen. Jeden Tag sieht sie ihn und jeden Tag wird ihr Begehren größer. Ist er nicht mein Sklave, denkt sie. Sie will ihn erobern. Es ist ein spannendes Spiel, das sie nur gewinnen kann, denkt sie. Wenn es gut geht, erliegt er ihren erotischen Phantasien. Und wenn das nicht reicht, wird sie es ihm einfach befehlen -  den Liebesdienst. Sie kennt ein ausgeklügeltes Reservoir an Erotik. Aufreizende Kleidung – durchsichtig und fein – verführerischer Blick und Einblicke. Sie kann mit ihren Reizen umgehen. Aber es rührt sich nichts bei Josef - scheinbar. So geht sie in die Offensive: „Leg dich zu mir!“ flüstert sie ihm eines Tages ins Ohr, als sie ihm gefährlich nahe kommt. Höre zu, was ich dir flüstere. Lege dich zu mir.
Bei Thomas Mann in seinem Werk Josef und seine Brüder  wird dies wunderbar geschildert: „Horch, was ich flüstere: Für dich, Josef hat sich mein Körper verändert und verwandelt und ist zum Liebesleibe geworden vom Wirbel bis zur Zehe, also dass du, wenn du mir nahe beiwohnst und mir deine Jugend und deine Herrlichkeit schenkst, nicht glauben wirst, einem irdischen Weibe nahe zu sein. Ich bin das Öl, das nach deinem  Salze verlangt, damit die Lampe erlodere im nächtlichen Fest!“ Wer könnte da widerstehen - als junger Mann - sonst umgeben nur von Männern, zu denen es ihn nicht zieht. Ohne das Fest nächtlicher Liebe bei köstlichem Beischlaf. Er windet sich, er zögert, er spielt mit? Er weiß, er hat so oder so verloren. Es wird tragisch enden. Lässt er sich auf die Frau ein, wird er den Posten verlieren und vom mächtigen Ehemann getötet. Lässt er sich nicht auf die Frau ein, wird sie sich rächen für ihre Zurückweisung. Als Objekt der Liebe hat er verloren, weil diese Liebe nicht den Menschen als ganzen im Blick hat, sondern nur das Begehren dieses herrlichen Körpers. Aber vielleicht liebt sie ihn ja wirklich, schaut auf ihn und hört seine Argumente an. So sagt er zu ihr:: „Mein Herr, dein Mann, hat mir alles anvertraut, was in seinem Besitz ist, nur dich nicht – weil du seine Frau bist. Wie soll ich ihn betrügen mit seiner Frau, der mir so Gutes tut und mich gleichzeitig auch noch gegen meinen Gott versündigen, der den Ehebruch verbietet?“ Potifar hat Vertrauen zu ihm. Und es ist eine Sünde gegen den Gott Israel. Aber sie setzt sich über seine Beweggründe hinweg und es beginnt ein vor Spannung knisterndes Schachspiel zwischen den beiden. Wer behält die besseren Nerven? Sie sieht ihm jeden Tag zu, bedrängt ihn, schmachtet ihn an, zeigt sich. Es ist ein Spiel. Aber ein gefährliches – ein Brand gefährliches – auch für Potifars Frau. Aber einmal entzündet, einmal in den Kopf gesetzt, lässt sich diese Liebesglut kaum löschen. Lege dich zu mir. So hört er sie. So verfolgt sie ihn bis in seine Träume. Lege dich zu mir. Mit verführerischer Stimme spricht sie. Täglich. Welche Qual sich ihr zu entziehen? Da macht sie einen letzten Versuch. Dieses Mal muss es klappen. Kein Mensch ist sonst im Haus. Und Josef ist allein mit ihr. Sie denkt: Jetzt oder nie. Er will es doch auch. Sonst käme er nicht allein. Sie hofft, sie bangt und macht sich besonders schön. Lege dich zu mir, sagt sie zu ihm und legt Hand an ihn, an sein Kleid. Jetzt muss es gelingen. Aber er lässt das Kleid in ihrer Hand und flieht. Ihre Liebe oder sagen wir besser ihr Begehren schlägt auf einmal um in Hass. Wie demütigt er mich! Gefühllos ist er. Was denkt er sich eigentlich – mich zurück zu weisen. Welche Schande. Ich will mich rächen. Wenn er mich nicht will, dann soll er eben sterben. Mein Leben ist ohne ihn auch nicht lebenswert. Große Begierde, großes Gefühl, schlägt um in großen Hass. Beides liegt nahe beieinander. Das weiß jeder, der einmal geliebt hat. Verletzte Liebe oder gar damit verbundener verletzter Stolz heizen die Rache an. Wenn er mich betrügt, sieht er seine Kinder nie mehr. Wenn sie mich hintergeht, dann zahle ich keinen Cent an Unterhalt. Ich hasse sie. Ich will ihn nie mehr sehen. Ausmerzen aus meinem Leben. So hat sie die Idee. Sie ruft das Dienstpersonal und zeigt das Kleid des Josef als Beweis, dass er sie vergewaltigen wollte. Dem Kerl ist der Ruhm zu Kopf gestiegen. Das wissen wir doch alle. Und nun hat er wohl gedacht, er könne auch sexuell die Herrin sich gefügig machen. Aber sie weiß, was sich gehört! Was bleibt ihr übrig? Schreien! Aber sie war auch tapfer. Sie entriss ihm ein Stück des Kleides. Der grausame und eindeutige Beweis seiner Schuld. Hochmut kommt vor dem Fall. Er soll büßen. Hier waren wir als Zuschauer und wissen. Die Frau spielt mit dem Vorwurf der Vergewaltigung. Aber ihr Mann fällt darauf herein. Wie so oft? Wie immer, sagen die Vergewaltiger, dieser Welt, die sich mit dieser Geschichte herausreden. Sie wollte ja. Und jetzt schiebt sie es mir in die Schuhe. Wehe wenn es keine Zeugen gibt – wie schwierig ist es dann Recht zu sprechen. Einer wird vernichtet – zu Recht oder zu Unrecht. Hier wissen wir es. Wir waren Zeugen. Potifar glaubt seiner Frau oder wenigstens den Beweisen und schickt Josef ins Gefängnis. Er tötet ihn wenigstens nicht. Davor schreckt er zurück. Oder ahnt er das schreckliche Geheimnis, das sich hinter der Verleumdung durch seine Frau verbirgt. Wir wissen es nicht.


Love is all around.
Von Liebe ist in dieser Geschichte an jeder Ecke zu hören, eher von der sexuellen Liebe, die sonst in der Bibel seltener vorkommt. Begierde und Begehren, Vergewaltigen als Vorwurf, starke Gefühle mal positiv, mal negativ.
Aber von Liebe spricht diese Geschichte Gott sei Dank auch noch in anderer Weise. Von der Liebe Gottes zu Josef. Er lässt ihn nicht im Stich. Dieser Alptraum, der mit dem Wurf der Brüder in den Brunnen begann, sich mit dem Verkauf an die Midianiter fortsetzte und jetzt bei Potifar im Gefängnis zu Ende zu gehen scheint, hört nicht auf. Gott ist zuverlässig. Dies ist Gottes Weg mit Josef hin zum Thron in Ägypten, Gottes Weg mit seinem Volk Israel. Die Menschen meinen es nicht gut mit Josef, aber Gott meint es gut. So endet ja dann auch die ganze Geschichte mit dem Lob der Liebe Gottes durch Josef: Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.

Gottes Liebe führt einen auch durch Täler des Lebens – das weiß Josef, aber sie hat ein Ziel: es gut zu machen mit den Menschen. Josef kann das im Rückblick sehen und so ist seine Geschichte aufgeschrieben worden als die wunderbare Bewahrung durch Gottes Liebe.

Es dauert allerdings oft bis ans Lebensende, um im Rückblick manches anders sehen zu können, als Weg der Liebe durch Gott. Nicht allen ist zu Lebzeiten vergönnt, das eigene Leben so beschreiben zu können: es ist gut geworden. Wem das gelingt, der kann in Frieden gehen. Wem es nicht gelingt, kann sich ja an ein Wort Oscar Wildes halten, der sagte:
Am Ende ist alles gut
und ist es noch nicht gut,
dann ist es auch nicht das Ende.

Amen

Montag, 18. August 2014

Einstimmung: demnächst in diesem Theater: Josef und Potiphars Frau

Das berühmteste David-Bathseba-Lied

Sylvia Unzeitig: Mit Fehlern leben lernen - David und Bathseba (2.Samuel 11f)

Führe uns nicht in Versuchung...

Am 6. August 2014, kaum einen Tag im Ge­fäng­nis, nimmt sich ein Ret­tungsdienst­mit­arbeiter in der Zelle in Zürich das Le­ben. Er wur­­de beschuldigt Teile der Kran­ken­­akte von Mi­cha­el Schumacher ent­wen­det zu haben, um sie für viel Geld Me­dien anzu­bie­ten.


1987 wurde in Schleswig-Holstein ein erbit­terter Wahlkampf zwischen CDU und SPD/ Grüne geführt. Ein eigens von Minister­prä­sident Barschel ange­stellter BILD-Journalist versuchte mit perfiden Methoden und halt­losen An­griffen das Ansehen der rotgrünen Gegner in der Öffentlichkeit herab­zu­würdi­gen. Der Spiegel deckte einige der Metho­den auf. In einer auf­se­hen­erregenden Pressekonferenz wies Barschel alle gegen ihn erho­benen Vorwürfe zurück und erklärte: „Ich gebe Ihnen mein Ehren­wort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind.“ Nachdem in der Folgezeit verstärkt Zweifel an Barschels Unschuld aufkamen und der Spiegel weitere Veröffentlichungen vor­nahm, trat Barschel am 2. Oktober 1987 vom Amt des Ministerpräsidenten zurück. Neun Tage später wurde er im Hotel Beau-Rivage tot in der Badewanne seines Zimmers aufgefunden. Er starb an einer Medikamentenvergiftung.

Leo Tolstoi lässt seine bekannteste Heldin Anna Kareni­na am Schluss aus eigenem Willen sterben – lange hatte sie der Versu­chung des Seitensprungs standgehalten, dann nachgege­ben und schließlich alles verloren.

Unzählige Beispiele aus der Literatur und aus dem Leben können ange­hängt werden.

In der Bibel ist es der berühmte König David, der der Versuchung unter­liegt. Die Ge­schich­te mit der schönen Batseba kennen nicht viele und doch scheint sie ein Schlüs­sel für das hohe Ansehen Davids in der Fol­ge­zeit zu sein. Sie steht genau in der Mitte des 2. Samuelbuchs und nimmt zwei ganze Kapitel ein.

Von Batsebas Gefühlswelt erfahren wir nichts. Nicht, ob sie sich ob der Avancen des Königs geschmeichelt fühlt oder eher gedemütigt, dass sie in ihrer Ohnmacht dem König Folge leisten muss. Doch David spürt man seine Nervosität im Verlauf der Erzäh­lung regelrecht an.
Nachdem David von Batseba die Nachricht erhält, dass sie schwanger ist, beordert er ihren Mann Uria, der in seinem Heer gerade Kriegsdienst leistet, nach Hause zurück. Uria soll zu seiner Frau heimkehren, sie er­wartungsgemäß begehren und damit hätte das bereits existierende Kind dieser leiden­schaftlichen Begegnung unter­stellt werden können.
Doch der schlaue Plan schlägt fehl. Uria möchte keine grundlose Sonderbe­hand­lung und bleibt bei seinen Kameraden. Selbst gutes Zureden des Kö­nigs am nächs­ten Tag und die Betörung mit Alkohol brin­gen nichts – Uria geht ein­fach nicht nach Hause.
Da anscheinend bleibt David keine andere Wahl als den Uria zu beseitigen, um eine mögliche Bloßstel­lung durch den ge­dan­kenlosen Ehebruch zu vereiteln. Er schreibt seinem Feldherrn Joab und befiehlt ihm, den Uria beim nächsten Angriff in die erste Reihe zu stellen, damit er auf jeden Fall umkomme. Und Joab gehorcht – Uria fällt.

Nach der Trauerzeit holt David Batseba an seinen Hof – es scheint ihm doch mehr an ihr zu liegen als ein One-Night-Stand. Der Ehebruch scheint unentdeckt zu blei­ben, das Kind in Batseba wächst und viel­leicht entwickeln sich in der jungen begeh­renswerten und begehr­ten Frau ehrgeizige Pläne.

Doch wem viel gegeben ist, von dem wird viel verlangt. Auch ein König muss sich an das Gesetz halten, vielmehr er muss Vorbild sein! Gott schreitet ein und schickt seinen Propheten namens Nathan zu ihm.
Der bringt David durch einen raffinierten Trick zum Geständnis, zur Einsicht, zur Reue. Nachdem ihm der Prophet all seine Taten von Ehebruch bis Mord aufgelistet und die Strafe verkündet hat, spricht David nur einen Satz: „Ich habe gesündigt gegen den Herrn.“ Diese Einsicht reicht aus, dass David Gnade findet.
Der Herr bleibt ihm und seiner Dyna­stie treu, doch ungestraft lässt er ihn nicht: das gemeinsame Kind mit Batseba soll ster­ben.
Warum das Kind? Es kann doch nichts dafür. Doch es ist das Ergebnis eines egois­tischen Fehlverhaltens, das ei­nem Men­schen das Leben kostete. Kaum ist das Kind geboren, wird es schwer krank und stirbt nach wenigen Tagen, obwohl sein Va­ter Tag und Nacht auf den Knien um sein Leben fleht. Wer schon einmal ein Kind ver­loren hat, weiß wie hoch diese Strafe für das Paar war. Diese schwerwiegenden Ereignisse um den Ehebruch herum bewirken erdrutschartige Veränderungen: die Thronfolge-Regelung wird umge­stürzt und das zweite gemein­sa­me Kind mit Batseba wird zum Nachfol­ger Davids bestimmt: es wird einst der ebenfalls berühmte König Salo­mo.

Aus einem schein­bar harmlosen Seitensprung ergeben sich die wil­desten Verwicklungen und Ereignisse. Sie machen zwei Menschen zu gebroche­nen und doch neu erstarkten Persönlichkei­ten. Das Schema scheint einfach und im persön­lichen Bereich fast nicht mehr zeitgemäß zu sein: Fehlverhalten, die Bibel spricht von Sün­de, - Bestrafung bzw. Wiedergutma­chung – Rehabilitation. Wer seine Schuld absitzt oder auf sich nimmt, darf wieder Teil der Gemeinschaft sein. Doch kann man je wieder Teil der Gemein­schaft sein, wenn das eigene Vergehen durch die Presse gegangen ist, wenn man mit seiner Schande für immer im Internet steht, wenn man sich selbst nicht mehr ins Gesicht sehen kann? Selbst wenn man die Strafe auf sich nimmt, die Jahre im Gefäng­nis absitzt und eine Geldbuße be­zahlt – der Ruf ist ruiniert und für manche bleibt nur ein Ausweg: die Auslö­schung der eigenen Per­son.

Davids Haltung im Moment der Auf­deckung seiner Vergehen ist ganz anders. Und ver­mutlich wurde er deshalb zum berühm­testen König Israels, denn er bewies tatsächlich gro­ßen Glauben. Großes Vertrauen in sei­nen Gott, der ihn schon als kleinen Jungen zu Großem bestimmt hatte, denn er kannte sein Herz.
 David lässt sich nicht von der Scham über­wältigen, die er vor Gott und vor Nathan empfunden haben mag, als dieser seinen Finger gegen ihn ausstreckt und ihn damit beschuldigt. Nein, er wirft sich quasi in Got­tes Arme, hält an ihm fest, ver­traut ohne Be­rechnung auf diese erprobte Beziehung, wohl­wis­send, dass er keine Gnade verdient hat.

„Mein Herr und mein Gott“, sagt Thomas, der Zweifler, als er erkennt, dass er Jesus und seine Möglichkeiten unterschätzt hat. Die Beziehung und die Liebe sind stärker als alle anderen sich aufdrängenden negativen Gefühle. Wir Glaubenden suchen nicht das nächste Mauseloch, in dem wir uns  ver­krie­chen kön­nen, sondern treten den Weg nach vorne an – in Gottes bzw. Jesu Arme. Weil wir wis­sen, dass jegliche Schuld vergeben werden kann und dass nur die Wahrheit und die Buße neues Le­ben eröffnet.

Uli Hoeneß hat diesen Weg gewählt. Er be­kannte seine Schuld in der Öffentlichkeit, zeigte Reue und sitzt nun die Strafe ab. Da­nach scheint ihm der Weg in die Gesell­schaft wieder offen zu stehen.

Die Versuchungen des Lebens, sie sind im­mer­zu da und locken uns. Seien es Anse­hen, Macht, Geld oder Eitelkeit.
 Es ist nicht Gott, der uns in Versuchung führt – doch mit sei­ner Hilfe können wir ihnen wider­stehen. Und wenn sie uns dennoch übermannt ha­ben – so wie David, können wir durch Gottes Barmherzig­keit auch selbst mit uns und un­se­ren Mitmenschen barmherzig sein und mit unseren als auch mit deren Fehlern leben.

Sonntag, 17. August 2014

Joachim Schmid: Kluge Liebe geht durch den Magen - Abigail und David (1.Samuel 25)


Liebe Gemeinde,
„Kluge Liebe geht durch den Magen!“ So möchte ich die biblische Erzählung überschreiben, um die es heute geht. Es ist eine Liebegeschichte zwischen David und Abigajil aus dem 25. Kapitel des 1. Samuelbuchs.
Eine Liebesgeschichte – gewiss, aber erst vom Ende her betrachtet. Davor geht es um Leben und Tod, um Streit und diplomatisches Geschick, um Rache und Besänftigung – sowie eben um leckeres Essen. Ein Friedensmahl wird zum Liebesschmaus!
Also, liebe Gemeinde nach einem kleinen Anlauf verrate ich Ihnen heute das Rezept für Ihr Candle-Light-Dinner biblischen Vorbilds. Denn: Kluge Liebe geht durch den Magen.
Abigajil ist die Chefköchin. Eine Frau mit scharfsinnigem Verstand, ihren Haushalt führt sie sehr umsichtig, weiß mit Angestellten umzugehen, verfügt über einen klaren Blick in brenzligen Situationen und hat größte Aufmerksamkeit für andere Menschen. Ihre genaue Wahrnehmungsfähigkeit, ihr weitherziges Einfühlungs- vermögen und ihr entscheidungsstarker Verstand, lassen Sie zu einer der begehrtesten Frauen im vorderen Orient werden. Als kluge Frau von graziler Schönheit wird sie uns im ersten Buch Samuel vorgestellt.
Sie ist verheiratet mit einem Ehemann, der das genaue Gegenteil von ihr verkörpert: „Nabal“ ein grobschlächtiger Klotz. Bereits sein Name gibt Auskunft über sein Wesen: Nabal zu deutsch, Tor, Narr, Trottel. „Nomen est omen“. Während Abigail schön und intelligent ist, zeigt er sich dumm, aber reich. Nabal, ein Herdenbesitzer am Fuß des Gebirges Karmel. Er protzt mit seinen zahreichen Schafstieren und beschäftigte eine Menge Hirten. Die Geschäfte laufen hervorragend, trotz seines grummeligen Gemüts und seinem ausgeprägten Starrsinn – erstaunlich, finde ich. Wie die beiden, Abigalijl und Nabal früher einmal zusammenfinden konnten, bleibt eines der ungelösten Rätsel der Bibel. Allerdings, siehe da, es taucht noch ein anderer Mann auf. Es ist David, der fast noch jugendliche, der weinige Monate vorher mit seinem Harfenspiel, den verstimmten König Saul bei Laune zu halten wusste. Es ist jener David, der als Hirtenjunge dem Philister Goliath mutig mit seiner Steinschleuder zur Strecke gebracht hatte. Nun ist er jedoch nicht mehr an Sauls Hof. Neid und Missgunst hatten ihn von dort vertrieben. Mit einigen Männern, die sich ihm anschlossen, zieht David durchs Land und verdient sein Geld mit Schutzzöllen.
Was heute archaisch und anrüchig klingt, war in biblischen Zeiten nichts ungewöhnliches. David beschützte die Herden des reichen Viehzüchters Nabal, sicherte das Weideland vor wilden Tieren und wohl auch vor manchem menschlichen Wilder. Kein Stück Vieh ist Nabal abhandengekommen – so hält er ihm vor. Dies geschieht als Nabal ein Fest ausruft zur Schafschur. David schickt 10 seiner Männer zu Nabal mit dem Auftrag: „Geht nach Karmel, bestellt Nabal einen Gruß von mir und richtet ihm folgendes aus: „Ich wünsche dir alles Gute! Glück und Heil für dich und deine Familie und für alles, was dir gehört! Ich habe
gehört, dass du deine Schafe scheren lässt. Darf ich dich erinnern, dass deine Hirten die Schafe ganz in unserer Nähe weiden ließen? Wir haben ihnen nichts zuleide getan, sondern auf sie aufgepasst! Nimm also meine Boten freundlich auf. Hab die Güte und gib ihnen mit, was du für deinen ergebenen Diener David erübrigen kannst.“ Doch Nabal reagiert schroff und zurückweisend: „Wer ist David? Sollte ich mein Brot und mein Wasser nehmen und mein Fleisch, das ich für meine Scherer geschlachtet habe, und Leuten geben, von denen ich nicht weiß, wo sie her sind?“
Diese unverschämt schroffe Abweisung lässt David sich nicht bieten. Als die Männer zu ihm zurückkehren und es ihm berichten, befiehlt er seinen Leuten, sich zum Kampf gegen den geizigen Nabal zu rüsten. Sie schnallen sich die Schwerter um. Die Bibel erzählt, dass David keinen Mann von Nabals Sippe am Leben lassen wollte – so impulsiv und zornig konnte der junge David werden.
An dieser Stelle greift nun die kluge und schöne Abigajil ins Geschehen ein. Sie ahnt das Unheil und handelt rasch und effektiv. Mit ihrem Mann war in dieser Sache nicht zu reden. Bloß kein Blutbad, denkt sie sich. Ein Festessen soll den aufbrausenden David und seine Leute besänftigen. Sie lässt ein paar Esel mit köstlichen Lebensmitteln voll packen und reitet ihm entgegen: 200 Fladenbrote, zwei Krüge voll Wein, fünf geschlachtete Schafe, fünf Maß Röstkorn, 100 Portionen gepresste und eingelegte Rosinen, sowie 200 Feigenkuchen.
Ich wundere mich – liebe Gemeinde - , wie diese Frau in solch kurzer Zeit ein derartiges Festessen zusammenstellen konnte. Sie ahnen es bereits, die Mischung von Süßspeisen und Herzhaftem konnte nicht nur den Gaumen überzeugen. Wer sich an einem köstlichen Essen erfreut, der vergisst, was ihn sonst so beschäftigt. Der vergisst sich mitunter selbst – und das war bei David äußerst heilsam. Er vergaß seine Kränkung, die ihm Nabal zugefügt hatte. Er vergaß seinen Zorn und blickt statt dessen in das hübsche Gesicht von Abigajil: Geschickt weist diese auf die mitgebrachten Geschenke für David und seine Krieger. Aber noch eloquenter ist ihre Argumentation: „Gott hat David – bislang vor Blutschuld zurückgehalten, Gott wird auch weiterhin seine Herrschaft gründen und stärken, ohne dass David Böses tut.“ Das sagt sie ihm: „So gewiss der Herr lebt und so wahr du selber lebst: Es ist gut, dass ich dir noch rechtzeitig begegnet bin! Der Herr hat dich davor bewahrt schwere Schuld auf dich zu laden und dir mit eigener Hand zu helfen. Du führst des Herrn Kriege. Es möge nichts Böses an dir gefunden werden dein Leben lang. ... Und wenn der Herr dir wohl tun wird, so wollest du an deine Magd denken.“
Wie reagiert David? „Gelobt sie der Herr, der Gott Israels, der dich heute mir entgegengesandt hat, und gesegnet sei deine Klugheit; und gesegnet seist du. Denn wärst du mir nicht eilends begegnet, wo wäre dem Nabal bis zum nächsten Morgen nicht einer, der männlich ist, übriggeblieben.“
Abigalil ist erfolgreich dazwischen gegangen, sie hat Frieden gestiftet und eine sinnlose Schlacht verhindert. Und in dieser köstlichen Friedensfeier blitzt bereits etwas romantisches auf, zwischen den Worten, die die beiden miteinander wechseln. Vielleicht war es ein Blick, vielleicht eine unbedachte Berührung. Oder ist dies nur meine Einbildung? Jedenfalls verabschieden sich beide wieder voneinander. David kehrt um und auch Abigajil kehrt zu ihrem Ehemann zurück. Sie findet Nabal volltrunken bei seinem Fest mit seinen Hirten. Während Abigajil gewandt und freigiebig war, hat sich Nabal bis zur Besinnungslosigkeit besoffen, sie jedoch hat Land und Leben für sich und ihre Leute gerettet.

Liebe Gemeinde, ich möchte Sie an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, dass der biblische Erzähler diese Geschichte als Umkehrung der traditionellen patriarchalen Rollenverteilung inszeniert – hier ist nämlich die Frau die Hauptperson, die verständig, klug und gewandt mit ihrem derben, grobschlächtigen Mann umgeht.
Als Nabal seinen Rausch ausgeschlafen hatte und Abigajil ihm erzählte, was sich ereignet hat – und wie knapp er dem Feldzug Davids entgangen ist, da wird dieser Teil der biblischen Geschichte sehr knapp und kurz beendet. Ich weiß nicht ob es die große Scham war, die Nabal dann verspürte - in der Bibel ist sein Ende so beschrieben: „Da erstarb sein Herz in seinem Leibe und er ward wie ein Stein. Und nach zehn Tagen schlug der HERR den Nabal, dass er starb.“ Als dies David hört spricht er: „Gelobt sei der Herr, der meine Schmach gerächt hat an Nabal und seinen Knecht abgehalten hat vor einer bösen Vergeltungstat!“ Und weiter ließt er Abigajil durch Boten ausrichten, dass er sie gerne zur Frau nehmen wolle. Abigajil willigte ein – nein sie ritt ihm mit Freude entgegen und nahm auch gleich 5 Dienerinnen mit, was mich dazu bringt zu spekulieren, ob sie nochmal Zutaten für ein weiteres Festessen mit sich brachte. Die Bibel berichtet nur nüchtern, dass David sie zur Frau nahm. Jedenfalls hat diese Frau zwischen zwei Männern sich auf eine bessere, waffenlose Politik verstanden und Frieden, ja Liebe gestiftet. Diese Liebesgeschichte, zwischen Macht und Gaumenschmaus, reiht sich ein in den großen Erzählzusammenhang der Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk: Abigajil, eine Nichtisraelin aus dem Lande Karmel, wird – ohne es zu wissen oder zu wollen – zur Wegbereiterin und Begleiterin Davids zum König. Sie steht für mich, nicht nur für eine kluge Liebe, nicht nur für eine raffinierte Köchin, die mit – wissen sie es noch – zweihundert Feigenkuchen, 100 Portionen Rosinen, fünf Maß Röstkorn, fünf geschlachteten Schafen, zwei Krügen Wein und 200 Fladenbrot den kommenden König geneigt machte, ihn mit einem Friedens- und Liebesmahl verzaubert hat. Sie steht für mich auch für alle Menschen, die sich nicht einschüchtern lassen, sondern ihren Weg der Weisheit gehen, die weiter sehen, glauben, hoffen und lieben als die kriegerischen Auseinandersetzungen auch unserer Tagen uns vor Augen führen, sei es im Nahen Osten oder in der Ukraine. Jesus Christus, der Sohn Davids, verkündete: Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen!“ Frieden und Liebe gehörten auch bei ihm zusammen. Damit ein Liebesmahl nicht vorzeitig aufhören musste, hat er mehrere Krüge Wasser zu Wein gemacht – aber das wäre eine neue Liebesgeschichte, die sich zu Kana zutrug.
Für heute: Amen - so sei es.