Mittwoch, 5. Oktober 2016

Pfarrer Markus Lautenschlager: Der geistliche Aufstieg zum Zion - der Wallfahrtspsalter: Psalmen 120-134


„Ich bin dann mal weg“. Seit Hape Kerkling vor 15 Jahren sein gleichnamiges Buch über seine Erfahrungen als Pilger auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela, veröffentlicht hat, ist das Pilgern weit über den engeren Kreis der Kirche hinaus bekannt geworden. Das Buch ist inzwischen in 28. Auflage erschienen und wurde letztes Jahr mit Devid Striesow in der Hauptrolle verfilmt.
Pilgern: Einen Weg mit den eigenen Füßen gehen, mit möglichst wenig Gepäck und möglichst wenig Geld. Am besten mit nichts als sich selbst – omnia mea mecum porto. Mit den eigenen Füßen gehen in der Hoffnung und Erwartung, dass auch die Seele einen Weg findet: zur inneren Ruhe, zu sich selbst, zu Gott.
Bei Kerkeling war ein Zusammenbruch während einer Show der Auslöser. Der Arzt verordnete ihm eine Auszeit. Und Hape Kerkeling beschloss, die 782km lange Wanderung nach Santiago de Compostela in Angriff zu nehmen.
Die Weisheit des biblisch-jüdischen Glaubens verordnet gleich drei solcher Auszeiten und das nicht nur einmal im Leben, sondern jedes Jahr. „Dreimal im Jahre“, so lesen wir in 2. Mose 23,17, „soll erscheinen vor dem HERRN, dem Herrscher, alles was männlich ist unter dir.“ Drei Wallfahrtsfeste kennt das Judentum: Pessach, Schawuot und Sukkot – Passa, das Wochenfest und das Laubhüttenfest. Ursprünglich alle drei mit lebenswichtigen Ereignissen des bäuerlichen Jahres verknüpft: Pessach im Frühling fällt in die Zeit der ersten Gerstenernte. Schawuot, wörtlich „Wochen“, wird sieben Wochen nach Pessach gefeiert und begeht die Weizenernte und die Darbringung der Erstlingsfrüchte im Tempel. In unserem christlichen Festkalender sind das Ostern und Pfingsten. Und schließlich Sukkot, das Laubhüttenfest im Herbst zum Abschluss der Ernte. Die drei Erntefeste wurden dann mit den Ereignissen der Heilsgeschichte verbunden: Passah mit der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei, das Wochenfest mit der Gabe der Tora am Berg Sinai und das Laubhüttenfest mit der Zeit der Wüstenwanderung: „Sieben Tage sollt ihr in Laubhütten wohnen …, dass eure Nachkommen wissen, wie ich die Israeliten habe in Hütten wohnen lassen, als ich sie aus Ägyptenland führte“ (3. Mose 23,42f).
Für die Pilgerfahrt nach Jerusalem finden wir in der Bibel vor allem ein Verb: עלה / anabainein. Das heißt wörtlich: hinauf gehen, hinauf steigen. Der Ausstieg aus dem Alltag wird also bei der Wallfahrt zum Tempel auf dem Zion ein Aufstieg. Z.B. in 2. Mose 34,23f: „Dreimal im Jahr soll alles, was männlich ist, erscheinen vor dem HERRN, dem Gott Israels. Denn ich werde die Heiden vor dir ausstoßen und dein Gebiet weit machen und niemand soll dein Land begehren, während du dreimal im Jahr hinaufgehst, um vor dem HERRN deinem Gott, zu erscheinen.“ Josef und Maria besuchen mit dem zwölfjährigen Jesus das Passafest: „Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest. Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes.“ (Lukas 2,41f). In der Schriftlesung haben wir vom letzten Gang Jesu nach Jerusalem zu seinem Todespassa gehört: „Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem“ (Lk 18,31). Der Ausstieg als Aufstieg. Das liegt schlicht daran, dass die Pilger, egal ob aus dem Westen vom Mittelmeer her oder aus dem Osten vom Toten Meer her einige Höhenmeter machen müssen, um nach Jerusalem auf den Zion, den Tempelberg zu kommen. Vom Meer aus sind es 740 Höhenmeter bis auf den Tempelberg, von Jericho aus sogar fast 1000 Meter (genau 990).
Die Strapazen des körperlichen Aufstiegs werden unternommen in der Hoffnung, dass dem äußeren Aufstieg eine umfassende Erhebung entsprechen möge: Errettung aus der Demütigung durch Lügenmäuler (Psalm 120,2), Hilfe und Schutz von Jahwe (Psalm 121,2: Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat; V. 7: Der Herr behüte deine Seele/dein Leben); Friede und Glück in der Gemeinschaft (Psalm 122); die Aufrichtung der durch Spott und Verachtung geknickten Seele (123,3f); äußere und innere Freiheit: „Unsre Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Netze des Vogelfängers; das Netz ist zerrissen und wir sind frei (124,7); traumhafte Freude nach Tränen (Psalm 126); Erlösung von den Sünden (130); tiefe Geborgenheit bei Gott: Meine Seele ist wie ein gestillter Säugling, wie ein kleines Kind bei seiner Mutter (131); und in allem der Segen Gottes: Der Herr segne dich aus Zion, der Himmel und Erde gemacht hat (134,3).
Und damit sind wir bei den Wallfahrtspsalmen, aus denen alle eben gehörten Zitate stammen. Der Wallfahrtspsalter ist eine Sammlung aus 15 überwiegend sehr kurzen Psalmen. Sie haben alle eines gemeinsam: in der Überschrift steht das Wort מעלות / Maaloth. Das heißt wörtlich Aufstiege. Man hat es auch wiedergeben mit „Stufenlied“, d.h. zu singen auf eben den Stufen, die zum Tempel hinaufführen, oder auch mit „Heimkehrlied“ (aus der babylonischen Gefangenschaft), „Lied der Erhebung“ oder „Wallfahrtslied“ für den umfassenden Aufstieg der Pilger zu Gott. Diese Sammlung wurde vermutlich im 4. Jahrhundert zusammengestellt als Wallfahrtsbüchlein für Zionspilger und wohl auch für die, die zuhause bleiben mussten, als Zionsbrevier für die „geistliche Wallfahrt zum Zion“, den betenden und singenden Aufstieg des Herzens zu Gott.
Unsere Abendmahlsliturgie hat diesen Grundgedanken übernommen: Sursum corda! Die Herzen in die Höhe! Erhebet eure Herzen! / Wir erheben sie zum Herrn.
Vom Umfang her gehen alle 15 Wallfahrtspsalmen problemlos auf eine Kuhhaut, also auf eine einzige Pergamentrolle (oder bei den Ärmeren: auf eine Papyrusrolle) und konnten so von der Pilgergruppe mitgenommen werden.
Zwischen den Zeilen kann man erahnen, wie es den Menschen im 4. Jahrhundert unter der persischen Zwangsherrschaft ging: Sie litten unter dem „Zepter des Frevels“ (125,4), der persischen Zentralregierung und ihres Apparates, will sagen: der Steuerlast. Denn die Perser kassierten die Steuern nicht mehr in Naturalien, z.B. zehn Prozent der Ernte, sondern als vom Ertrag unabhängige Geldsumme. Bei Missernten hieß das: Verschuldung, Verpfändung, Verlust von Haus und Hof, Schuldsklaverei.
Ich lese Ihnen nun die beiden ersten Verse von Psalm 127 in der Übersetzung Erich Zengers:
Wallfahrtslied. Von Salomo
Wenn JHWH nicht ein Haus baut -
            vergeblich haben sich abgemüht, die an ihm bauen.
Wenn JHWH nicht eine Stadt bewacht -
            vergeblich hat gewacht ein Wächter.
Vergeblich ist’s für euch,
            die ihr schon in aller Frühe aufsteht,
            die ihr erst spät euch hinsetzt (zur Ruhe),
die ihr Brot der Mühsal eßt –
Dreimal „vergeblich“. Das ist die Erfahrung der kleinen Leute, der Handwerker und Taglöhner. Alle eigene Anstrengung kann durch eine willkürliche Entscheidung der „Großen“ zunichte gemacht werden. Einer rackert von morgens bis abends, verzichtet, spart ein Leben lang – und eine Missernte stürzt ihn in die Schuldsklaverei. Haus weg, Hof weg, Hoffnung weg. Man kann noch so sehr auf der Hut sein, die Gegenmächte sind zu stark. Wenn die Zeitläufte gegen einen sind, hat man keine Chance. Ein Hochwasser, eine Fassbombe und ich habe alles verloren. Vergeblich, vergeblich, vergeblich.
Sich in dumpfer Resignation zu ergeben in eine „in Schmerz und Brauchtum verstrickte, unendliche geduldige Welt … wo der Bauer in Elend und Verlassenheit auf karger Scholle im Angesicht des Tode seiner starren Sitte lebt“ (Carlo Levi, Christus kam nur bis Eboli), wäre eine Möglichkeit.
Die Wallfahrtspsalmen, Psalm 127, suchen einen anderen Weg – nun eben den Aufstieg heraus der Verzweiflung hin zur Hoffnung, „dass allen Bedrohungen zum Trotz das Leben in der Solidarität derer, die auf den vom Zion her segnenden JHWH setzen, gelingen wird“ (Erich Zenger). Eine kleine, unscheinbare Hoffnung macht den Anfang:
Zu Recht gibt er [JHWH] den von ihm Geliebten (guten)  Schlaf. (V. 2c)
Der gute Schlaf. Im Alten Orient eine Gabe der Götter und in der bäuerlichen Lebenswelt hoch geschätzt. Ein allnächtliches Zeichen der Zuwendung Gottes. Tägliches Atemholen für Leib und Seele, Einkehr auch in die nächtliche Gegenwelt des Traumes, die der Tyrannei des Tages bestreitet, das Ganze zu sein. Der Schlaf als Geschenk eines liebenden Gottes, sich wiederholende Erfahrung seiner Güte und Fürsorge. Vielleicht auch andersherum gewendet: Wenn ich glauben kann, dass ich ein Geliebter Gottes bin, mich bergen kann in seiner Güte, dann kann ich jeden Abend die Sorge um mein Leben in Gottes Hände geben und friedlich ein- und durchschlafen. „Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände“ (Martin Luthers Abendsegen). „Ich lege mich hin und kann sogleich im Frieden einschlafen“ (Psalm 4,9).
Dem Schlaf tritt ein zweites Gottesgeschenk, ein zweites Lebensgut an die Seite: Kinder.
Siehe ein Erbteil von JHWH sind Söhne,
            ein Lohn (von ihm) ist die Frucht des Leibes.
Wie Pfeile in der Hand des Helden,
            so sind Söhne aus jungen Tagen.
Selig der Mann,
            der seinen Köcher mit ihnen gefüllt hat.
Nicht werden sie zuschanden,
            wenn sie verhandeln mit Feinden im Tor.
(Psalm 127, 3-5)
Noch ein Esser mehr! Wo es doch schon für die bisherigen nicht reicht. Noch ein Mund mehr, den es zu stopfen gilt. Kinder sind auch eine Last. Und die vielen satt zu kriegen, eine tägliche Herausforderung für Proletarier. Auch hier trifft der Psalmbeter eine Entscheidung: gegen die Resignation, für die Hoffnung. Kinder sind vor allem ein Gottesgeschenk. Ein Grund zur Freude und Dankbarkeit. Stütze, nicht Last.
Darf man den Kreis ausweiten auf alle Menschen? Das hieße dann: Ich sehe in ihnen nicht zuerst bedrohliche Gegner, gefährliche Konkurrenten um die knappen Güter des Lebens, sondern Bundesgenossen, Weggenossen. Mir von Gott an die Seite gestellt als Hilfe und Geschenk. Pilger können von dieser Erfahrung erzählen: ein kostenloses Nachtlager mit leckerem Frühstück am nächsten Morgen – gewährt von Wildfremden. Eine Begleiterin für einige Tage auf dem Jakobsweg. Beglückende Gespräche über Sprachbarrieren hinweg und einvernehmliches Schweigen. Eine Einladung zum Mittagessen. Wasser, Brot und Wein. Die Mitmenschen, wie wir gleich singen werden, keine wüste Horde, sondern eine „edle Schar“, „die Jesus mir, der Herre, entgegen hat gesandt, da ich noch war so ferne in meinem Tränenland.“ (EG 150,4). So kann der Aufstieg zum Zion zum Modell fürs Leben werden. Amen.

Freitag, 23. September 2016

Prädikantin Barbara Birk-Häcker: Aufstieg in der Erbfolge - 4.Mose 27, 1-11

1 Und die Töchter Zelofhads, des Sohnes Hefers, des Sohnes Gileads, des Sohnes Machirs, des Sohnes Manasses, von den Geschlechtern Manasses, des Sohnes Josefs, mit Namen Machla, Noa, Hogla, Milka und Tirza kamen herzu 2 und traten vor Mose und vor Eleasar, den Priester, und vor die Stammesfürsten und die ganze Gemeinde vor der Tür der Stiftshütte und sprachen: 3 Unser Vater ist gestorben in der Wüste und war nicht mit unter der Rotte, die sich gegen den HERRN empörte, unter der Rotte Korach, sondern ist um seiner eigenen Sünde willen gestorben und hatte keine Söhne. 4 Warum soll denn unseres Vaters Name in seinem Geschlecht untergehen, weil er keinen Sohn hat? Gebt uns auch ein Erbgut unter den Brüdern unseres Vaters. 5 Mose brachte ihre Sache vor den HERRN. 6 Und der HERR sprach zu ihm: 7 Die Töchter Zelofhads haben recht geredet. Du sollst ihnen ein Erbgut unter den Brüdern ihres Vaters geben und sollst ihres Vaters Erbe ihnen zuwenden. 8 Und sage den Israeliten: Wenn jemand stirbt und keinen Sohn hat, so sollt ihr sein Erbe seiner Tochter zuwenden. 9 Hat er keine Tochter, sollt ihr's seinen Brüdern geben. 10 Hat er keine Brüder, sollt ihr's den Brüdern seines Vaters geben. 11 Hat sein Vater keine Brüder, sollt ihr's seinen nächsten Verwandten geben, die ihm angehören in seinem Geschlecht, damit sie es in Besitz nehmen. Das soll den Israeliten Gesetz und Recht sein, wie der HERR dem Mose geboten hat.  

Dies ist ein Text, der nicht in der württembergischen Perikopenordnung vorgesehen ist. Ist er Ihnen schon einmal begegnet beim eigenen Bibelstudium ? Oder vielleicht beim Weltgebetstag der Frauen 2004?
Obwohl ich auch als 5. Tochter meiner Eltern geboren wurde und keinen Bruder habe, muss ich gestehen, mir waren Zelofhads Töchter und die Sache mit dem Erbrecht des Volkes Israel neu. Als meine Eltern starben, war es selbstverständlich, dass das Erbe unter uns 5 Töchtern gerecht aufgeteilt wurde, und auch den Geburtsnamen kann eine Frau heute ohne weiteres an ihre Nachkommen vererben. Aber damals – damals musste man schon sehr mutig sein, um gleiche Rechte für Frauen einzufordern Fünf Frauen machen sich auf den Weg.

Schwestern sind sie, aufgewachsen in derselben Familie. Ob sie die Enttäuschung der Eltern zu spüren bekamen, dass sie „nur“ Mädchen sind?


Ganz sicher haben sich Eltern auch damals über die Geburt eines jeden Kindes gefreut. Über einen neu geborenen Sohn freute sich die Familie riesig. Er, der Stammhalter und Versorger der Eltern im Alter, wurde als großes Glück und Segen empfunden. Die Geburt eines kleinen Mädchens war auch schön, aber nicht zu vergleichen mit der eines Jungen. Bedenken sie, ein Mädchen wird vielleicht schon mit 12, 13 oder 14 Jahren die Familie verlassen und mit einem jungen Mann einer anderen Familie verheiratet werden. Sie wird sozusagen in den Besitz eines anderen übergehen, deshalb hält sich die Freude bei der Geburt eines kleinen Mädchens in Grenzen.

Nichts erfahren wir über die Mutter der Frauen. Wertschätzend sprechen sie von ihrem Vater. Er ist gestorben in der Wüste. Offenbar hat er den Strapazen der langen Wüstenwanderung nicht standgehalten, Hitze und Dürre, Entsagung und Durststrecken nicht ausgehalten. Er gehörte nicht zu denen, die sich gegen Gottes Wegführung empört haben. Er hat sich nicht aufgebäumt und gemeutert gegen Mose und Aaron, er ist nicht angestürmt gegen Gott, er hat nicht sein Lebensziel verfehlt in Vergehen und Schuld.
Dennoch bedeutet sein Sterben ohne männlichen Nachkommen nach gängigem Recht, dass sein Name ausgelöscht wird. Nichts wird künftig mehr an ihn erinnern. Seine Familie wird keinen Anteil am gelobten Land erhalten. Sie verschwindet im Nichts, obwohl fünf Frauen da sind, die leben wollen und die Zukunft so hoffnungsvoll vor ihnen liegen könnte. Doch erben dürfen nur Söhne. Ein trauriges Schicksal!

Diese 5 Frauen resignieren nicht. Sie versinken nicht in der Haltung: Man muss das Leben nehmen wie es ist, man kann ja doch nichts ändern. Sie nehmen die Missstände und die Ungerechtigkeit wahr. Gemeinsam werden sie initiativ. Sie wählen den geradlinigen, direkten Weg zum Führer des Volkes, zum Priester, zur Gemeinde, zu Gott. Bei ihnen wird nicht getrennt zwischen: Hier weltlich – da geistlich, hier Politik – da Kirche. An der Tür der Stiftshütte, in der Gegenwart Gottes, unter seiner Nähe bringen sie die Fragen des Lebens, die offensichtliche Ungerechtigkeit im Erbrecht zur Sprache, klar, deutlich, unmissverständlich. Sie legen ihre Argumente auf den Tisch: Wieso soll ein Geschlecht ganz ausgelöscht werden, nur weil keine Männer als Nachkommen da sind? Die Forderung ist deutlich: Gebt uns auch ein Erbteil!

Mose reagiert klug. Er weist sie nicht zurück, sondern handelt seines Amtes gemäß und nimmt die Angelegenheit mit ins Heiligtum, breitet die Bitte vor Gott aus. Er ist Mittler zwischen Mensch und Gott. Offen und hörbereit, aufmerksam und in der Verantwortung Gott gegenüber nimmt Mose die Anliegen der Frauen auf.

Faszinierend die Antwort Gottes: Die Töchter des Zelofhads haben recht geredet. Du sollst ihres Vaters Erbe ihnen zuwenden.

Mehr noch: Es bleibt nicht bei der kleinen, individuellen Lösung, so dass die 5 Frauen für ihre persönliche Lebenssituation zufrieden gestellt werden.
Auf Grund ihres engagierten Vorgehens kommt es zu einer generellen Klärung in Erbangelegenheiten. Künftig sollen immer die Frauen als Erbinnen eingesetzt werden, wenn keine Söhne da sind. Ja, sogar alle weitergehende Erbfolge wird klar geregelt.
Das war für Frauen im Volk Israel ein enormer Aufstieg um 1260 vor Christi Geburt!
Am Ende des 4. Mosebuches erfahren wir übrigens, dass führende Männer der Sippe noch einmal nachgekartet haben: Was passiert, wenn diese Frauen Männer aus anderen Stämmen heiraten?
Dann wird ihr Land Eigentum der Familie in die sie einheiraten und wir verlieren das Land endgültig.
Auch das regelte Mose – nach Rücksprache mit dem Herrn – für alle Zeiten.

Frauen gestalten die Zukunft! Was bedeutet dieses unerschrockene Auftreten der 5 Töchter in der Wüste für uns Frauen des 21. Jahrhunderts?

Unrecht, das wir sehen und empfinden, muss zur Sprache kommen, damit Veränderung geschehen kann. Auch für uns kann es zuweilen hilfreich sein, zusammen zu stehen, zusammen zu gehen, gemeinsam unser Anliegen auf den Weg zu bringen.
Für alle, die sich dem Urteil ausgesetzt sehen: Das Weib schweige in der Gemeinde können diese Frauen zur Ermutigung werden. Sie haben eben nicht geschwiegen, sie haben keine Instanz gescheut, sie sind hingetreten vor die Führungskräfte und Verantwortlichen und vor die ganze Gemeinde.
Ihr Gottvertrauen war größer als alle Widerstände, die aus Gewohnheitsrecht oder aus den traditionellen Vorteilen der Männer zu befürchten sind.

Und gerade dabei erfahren sie: Gott steht auf unsrer Seite, er hört uns, er erhört uns, er greift ein und verändert zum Guten.
Darauf können auch wir vertrauen, es Gott zutrauen. Er kann handeln, eingreifen, verändern auf allen Feldern unseres Lebens.
Darum können auch wir alles vor ihn bringen und gleichzeitig an den zuständigen „weltlichen“ Stellen zur Sprache bringen. Glauben und Handeln, Tun und Beten sind keine Gegensätze, sondern gehören auf´s Engste zusammen.
Zelofhads Töchter ermutigen uns die Zeit zum Handeln zu erkennen, Dinge beim Namen zu nennen, anstehende Aufgaben gemeinsam anzupacken mit großem Gottvertrauen und klarem unerschrockenem Auftreten Menschen gegenüber.

Schauen wir zum Schluss noch ins Neue Testament - wie verhält sich Jesus Frauen gegenüber?
Noch immer ist die Gesellschaftsordnung traditionell patriarchalisch geordnet.
Ja, er hat ausschließlich Männer als seine 12 Jünger gewählt. Sie stehen symbolisch für die 12 Stämme Israels.
Aber wir wissen von Frauen die ebenfalls mit ihm gezogen sind: Maria von Magdala, Johanna, die Frau des Chusa, Susanna und viele andere, die nicht namentlich genannt werden.
Jesus hatte nicht nur Schüler, sondern auch Schülerinnen, die an seinen Lippen hingen. Denken sie an die beiden Schwestern Maria und Martha und an die Auseinandersetzung zwischen den beiden. Und Jesus lobte Maria – sie hat den besten Teil gewählt.

Oder denken sie an die Frau am Brunnen von Samaria. Jesus hatte für damalige Verhältnisse gleich mehrere Grenzen überschritten. Er hat eine Frau angesprochen, dazu eine Samariterin, die von rechtgläubigen Juden eher abwertend gesehen werden. Außerdem war sie allein unterwegs, ohne männlichen Schutz und dann diskutiert er auch noch mit ihr und erzählt ihr vom Himmelreich. Undenkbar im traditionellen Denken der Menschen im Jahr 30 nach der Zeitenwende! Bei Jesus nicht!

Ein anderes Beispiel: Bei Matthäus Kap. 15 wird uns von Jesus erzählt, wie er mit einer nichtjüdischen Frau streitet und letzten Endes barmherzig ihre Tochter heilt.
Diese Frau war auch sehr mutig und gleichzeitig demütig. Als Jesus ihr erklärt, dass sein Auftrag allein dem Volk Israel gilt und es nicht richtig ist, wenn man den Kindern das Brot wegnimmt und es den Hunden vorwirft, argumentiert sie:“ Das stimmt, aber die kleinen Hunde dürfen doch die Krümel fressen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“
Eine Frau, die einem Mann Widerworte gibt! – und Jesus lobt ihren Glauben und tut was sie will! Unglaublich!

Und Paulus, dessen Auftrag es wurde, dass Evangelium über die ganze bekannte Welt auszubreiten, fand in Lydia, einer Frau in Philippi, den ersten Menschen in Europa, der zum Glauben an Jesus gekommen war.

Im Galaterbrief schreibt er von der großen christlichen Freiheit des Evangeliums: Hier ist nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.
Welch ein Aufstieg für die ganze Menschheit!
Amen.

Mittwoch, 21. September 2016

Pfarrer Markus Frank: Meinst du, dass Hiob Gott umsonst fürchtet? - Wer glaubt, gewinnt? (Hiob 1,9)

Das gesprochene Wort ist verbindlich.

Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Schicksal ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.
Dietrich Bonhoeffer (1906-1945)

Liebe Gemeinde,
es bröckelt.
Alte Gewissheiten bröckeln:

Der Friede in Europa. Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Die Formen und Inhalte, in denen wir unseren Glauben leben.

Einen lückenlosen Plan, wie unser Leben gelingen kann, gibt es jedenfalls nicht. Weder im Großen, noch im ganz Persönlichen.
Die Suche nach der Fülle des Lebens ist oft mühsam, braucht einen langen Atem und kostet Kraft. Besonders für Leute wie uns, denen es nicht nur darum geht, das eigene, kleine, private Glück zu finden, sondern in allem Gott, den lieben Vater im Himmel, und seinen guten Plan für unser Leben und diese leidgeschundene Erde.

Es bröckelt. Vielleicht spürst Du es an der einen oder anderen Stelle auch in deinem Leben?

Aufstiege, darum geht es ja in unserer Sommerpredigtreihe. Das hört sich eigentlich nicht nach Bröckeln an. Schnell kommen mir Geschichten von ‚Erfolgsmodellen‘ und ‚Erfolgsgeschichten‘ in den Sinn: Eine tolle Geschäftsidee, und dann nie wieder arbeiten müssen. Ein paar super Events und schon brummt der Laden wieder, gerne auch der Kirchenladen.
Wir leben in einer Welt der Aufsteiger, inmitten von Selbst-Optimierern, von Alles-im-Griff-Habern und von Zeit-Auspressern. Soweit wir bisher gehört haben, passt Hiob da ganz gut dazu.

‚Hiobs Frömmigkeit und Glück‘ steht da als Überschrift in der Lutherbibel. Wer glaubt, gewinnt!
Meine 10 Kinder, meine 7000 Schafe und 3000 Kamele, meine Angestellten. Mein makelloses Leben. Erfolge sind sexy. Misserfolg, naja. – Wir hatten Ende Juni 20-jähriges Abi-Treffen. Da ist diese Frage, zu was man selbst es im Vergleich zu den anderen gebracht hat, durchaus präsent.

Doch Hiob hat nicht nur Erfolg. Er ist auch fromm. Er weiß nur zu gut, wie gefährdet sein Glück ist. Und zumindest mit Blick auf seine Söhne macht er sich ausdrücklich Sorgen: Ob sie wohl den rechten Weg des Glaubens gehen oder womöglich Gott in ihrem Herzen abgesagt haben könnten.
Hiob hat es durch harte Arbeit, Rechtschaffenheit und Gottvertrauen weit gebracht im Leben.
Ich hoffe, es gibt heute viele unter uns, die das dankbar mitempfinden und die Segensspuren ihres Lebens voller Dankbarkeit und Zufriedenheit wahrnehmen können. „Lobe den Herren, der sichtbar dein Leben gesegnet!“
Viele Texte unserer Bibel bezeugen ja diese Erfahrung: Wer glaubt, gewinnt. Klassisch zu Beginn des Psalmenbuchs: Wer sich an Gott und seine Gebote hält, „der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht. Und was er macht, das gerät wohl.“ (Ps 1,1)

Doch zu Zeiten wird dieses schöne, ruhige Fahrwasser unserer Lebens- und Glaubensgewissheiten gehörig aufgewühlt.

Wir hören auf den Fortgang der Geschichte:
Hiob 1,6-12
Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, kam auch der Satan unter ihnen.

Der HERR aber sprach zu dem Satan: Wo kommst du her?
Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen.
Der HERR sprach zum Satan: Hast du Acht gehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn es ist seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse.
Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Meinst du, dass Hiob Gott umsonst fürchtet? Hast du doch ihn, sein Haus und alles, was er hat, ringsumher beschützt. Du hast das Werk seiner Hände gesegnet, und sein Besitz hat sich ausgebreitet im Lande. Aber strecke deine Hand aus und taste alles an, was er hat: was gilt's, er wird dir ins Angesicht absagen!
Der HERR sprach zum Satan: Siehe, alles, was er hat, sei in deiner Hand; nur an ihn selbst lege deine Hand nicht.
Da ging der Satan hinaus von dem HERRN.

Es bröckelt. Bei dem, was wir eben gehört haben, lösen sich ganze Felsbrocken aus dem schönen Himmelsgebäude und stürzen auf uns ein.

Wir lesen von himmlischen Wesen, die im Gespräch mit Gott und wie Berater eines mächtigen Königs auftreten. Auch das Böse, in Gestalt des Satans, hat Zugang zu Gott. Das Böse ist als Möglichkeit mit dabei in unmittelbarer, nächster, verwechselbarer Nähe des Guten. Der Satan will das tun, was sein Name schon sagt. Er will gründlich durcheinander bringen, das Gute ins Gegenteil verkehren, negieren.

Er sagt: ‚Meinst du, dass Hiob Gott umsonst (= d. h. ohne Gegenleistung) fürchtet?‘ Eine Hand wäscht die andere. Hiob ist anständig und fromm. Und Gott gewährt Glück und Segen. Es ist einfach, an einen guten Gott zu glauben, solange es einem gut geht. Satan spricht zu Gott: „Zieh Deine segnende Hand zurück und Hiob wird dir ins Gesicht absagen“.
Ein wahrhaft teuflisches Argument. Doch das Erschütternde ist doch, dass Gott sich darauf einlässt! Er lässt den Ankläger mit seinem teuflischen Plan gewähren.

Es bröckelt. Der liebende und gerechte Gott bröckelt.

Wir wissen um den Fortgang der Geschichte: Nach und nach lässt Gott zu, dass Satan Hiobs gesegnetes Leben zerstört. An die Stelle von Wohlstand und Glück treten Terror und Gewalt. Hiob bleibt nur das nackte Leben. Von einem Augenblick auf den anderen dreht sich das ganze Leben um. - Ich schreibe diese Zeilen am Morgen nach den sinnlosen Morden im Münchner Olympia-Kaufhaus.

Plötzlich kann man den Satz Satans nochmal ganz anders lesen: Vergeblich. ‚Meinst du nicht, dass Hiob Gott umsonst (= vergeblich) fürchtet?‘ Ich denke an die Eltern der Jugendlichen, die ihr Kind tot sehen müssen. Ich denke an den 16-jährigen …, der beim FELA mitgearbeitet hat und so unfassbar plötzlich starb. Abgrundtiefe Kraftlosigkeit. Das Leben läuft ins Leere. Der Glaube an einen liebenden, fürsorglichen Vater im Himmel droht zu zerbrechen.
Der Name Hiob bedeutet nach dem Muster akkadischer Parallelen ‚Vater, wo bist Du?‘. Ja, es gibt Stunden, da kann einem selbst das Vaterunser im Hals stecken bleiben. „Mein Gott, mein Gott,…“

Der liebende und gerechte Gott bröckelt und mit ihm die Gewissheiten, auf die wir unser Lebenshaus bauen.

In Hiobs Worten: „Warum bleiben die Frevler am Leben, werden alt und nehmen zu an Kraft?" (21,7) „Wer sagt dem Bösewicht seinen Lebensweg ins Gesicht, wer zahlt ihm heim, was er getan hat?“ (21,31)

‚Es gibt Tage, die bleiben ohne Sinn. Hilflos seh‘ ich wie die Zeit verrinnt.‘ (EGW 628) Auch ohne tiefe Schicksalsschläge, ja sogar mitten im Sommer und in der Urlauszeit kann einem die Lebensfrische abhanden kommen.
Jeden Tag rasieren. Immer wieder. Jeden Tag mehrmals die Wohnung aufräumen.
Jeden Tag malochen, auch wenn manchmal nichts dabei herauskommt. Jeden Tag was für die Beziehung zu meinen Nächsten tun, auch ohne Gegenleistung.
Vergeblichkeitserfahrungen wie im Mythos des Sisyphos: Mühsam wälzen wir den Stein auf den Berg mit aller Kraft und können doch nicht verhindern, dass er auf der anderen Seite wieder herunterrollt.

Das Hiobbuch bietet in all seinen 42 Kapiteln kein abschließendes Anti-Vergeblichkeitsprogramm.

Heinrich Heine bezeichnet es als „Hohelied der Skepsis“. „Es zischen und pfeifen darin die entsetzlichen Schlangen ihr ewiges Warum?“ Und er fragt sich: „Wie kommt es, dass […] die fromme Tempelarchivkommission“ überhaupt in „den Kanon der heiligen Schriften aufgenommen“ wurde. Und Sie fragen sich vielleicht: Warum solch schwere Kost, mitten im Sommer zu einer Predigtreihe „Aufstiege“?

Nun, ich meine, dass der Glaube nur dann lebendig bleiben kann, wenn er dem Leben auch in all den Unerklärlichkeiten auf der Spur bleibt.

Keine Frage: Man kann und muss erschrecken über den Gott, der dieses grausame Spiel des Satans mit Hiob zulässt, ja mitspielt. Man kann sogar verzweifeln an diesem Gott, der diese Welt und uns Menschen mit all ihren Möglichkeiten zum Bösen geschaffen hat.

Mir hilft das Hiobbuch wie kaum ein anderer Text der Heiligen Schrift, mit dem, was mir begegnet in dieser Welt im Gespräch zu bleiben mit Gott. Gerade und besonders im Ringen mit den Abstiegen und Enttäuschungen seines Lebens bleibt Hiob ehrlich und wahrhaftig.
Er verweigert sich konsequent allen einfach Erklärungsmustern und bleibt doch, wie in seinem Namen anklingt, auf der Suche nach dem liebenden Vater im Himmel. An ihm hält er fest. Auch wenn Gottes Wirken oder Nicht-Wirken sein Verstehen übersteigt.

In dieser Haltung begegnet mir in Hiob der Menschenfreund und Gottessohn Jesus von Nazareth, an dem wir im ‚Glauben hangen und hangen‘ bleiben (Vgl. EG 112, 6). Er geht mit Dir auch durch Deine Hölle. Er wird nicht zulassen, dass Dein oder mein Leben verloren geht! Deshalb singen wir heute, mitten im Sommer Oster- und Weihnachtslieder.

Hiob zeigt mir neu, was glauben heißt: Nämlich im Ringen bleiben um das Leben. Die Segnungen sehen, die Größe und Schönheit des Lebens, sogar noch wenn der Tod nach uns greift.

Es bröckelt. Ja, es bröckelt. Doch auch das Bröckeln ist Teil des Wegs.

Der Glaube ist keine Garantie für Erfolg und Glück im Leben. Und je länger ich lebe, desto wertvoller finde ich Menschen, die genau so selbstverständlich über die Abstiege ihres Lebens reden können wie über die Erfolge. Ich meine, auch darin zeigt sich der Geist einer christlichen Gemeinde.

Der Gott der Bibel fordert uns zu Zeiten mehr als uns lieb sein kann. In den Worten von Esther Maria Magnis: „Gott ist schrecklich. Gott brüllt. Gott schweigt. Gott scheint abwesend. Und Gott liebt in einer Radikalität, vor der man sich fürchten kann.“

In Niederlagen und Enttäuschungen zeigt sich oft in besonderer Weise die Kraft des Glaubens. Das sagt mir das Hiobbuch und das ist auch meine Erfahrungen, an vielen Stellen.

Und durch das Erschrecken hindurch entdecke ich das unerschütterliche Zutrauen, das Gott zu seinen Menschen hat: Mit und in und durch uns Menschen kämpft Gott gegen das Böse. Gott bewahrt Hiob nicht vor Unheil und Gefahr. In Unheil und Gefahr spricht Gott sein Vertrauen aus, dass Hiob ihm die Treue hält und auf diese Art die Mächte überwindet, die das Leben verhindern.

Hiob wird so zum Urbild eines freien, erwachsenen, vertrauenden Menschen. Der Gott, an den er sich hält, ist für uns der Gott, der uns in Jesus Christus sein liebendes und gerechtes Angesicht zeigt.

Es bröckelt. Irgendwo wird es immer bröckeln für uns, die wir leiden wo immer das Leben leidet, zu dem Gott seine Menschen doch geschaffen hat. Doch auch das Bröckeln ist Teil des Wegs.

Hiob stellt sich mit seinem Leben aller Ungerechtigkeit, Unwahrhaftigkeit und Feigheit entgegen. Es gibt wohl nichts, was unseren guten Vater im Himmel mehr freut und was diese leidgeschundene Erde mehr braucht.
Konsequent verweigert er der Gewalt, die ihn getroffen hat, die Herrschaft. Er hält sich an den guten Vater im Himmel und findet so einen Weg nicht zu verzweifeln. Auf diese Weise wirkt Hiob mit an der Entmachtung des Bösen. Am Ende des Hiobbuches lobt ihn Gott ausdrücklich für seine Wahrhaftigkeit. Den Freunden mit ihren frommen Korrektheiten erteilt er eine Absage. „Denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob.“ (Hiob 42,8)

So mancher Mensch hat seither diese Haltung angenommen, viele Märtyrer waren darunter.
Ich schließe die Predigt mit einem Text von der holländischen Jüdin Etty Hillesum über die Gefahr, in die Hände der Nazis zu fallen:
„Das Komische ist: Ich fühle mich gar nicht in ihren Klauen, weder wenn ich bleibe, noch wenn ich abtransportiert werde. ... ich fühle mich in niemandes Klauen, ich fühle mich nur in Gottes Armen, um es mal pathetisch zu sagen, und ob ich nun hier an dem mir so lieben und vertrauten Schreibtisch sitze oder ob ich nächsten Monat in einer armseligen Kammer im Judenviertel hause oder vielleicht in einem Arbeitslager unter SS-Bewachung stehe, ich werde mich überall und immer, glaube ich, in Gottes Armen fühlen. Man wird mich möglicherweise körperlich zugrunde richten, aber mir weiter nichts anhaben können“.

Denn wer Gott zum Vater hat, besiegt die Welt. Dabei ist es unser Glaube, mit dem wir den Sieg über die Welt erringen. (1. Johannes 5,4)
Es bleibt dabei: Wer glaubt, gewinnt Gott, unseren liebenden Vater im Himmel und mit ihm das Leben, das bleibt.

Amen.

Dienstag, 13. September 2016

Pfarrerin Bärbel Brückner-Walter: Hinausgehoben aus dem Alltag – die Geschichte einer Verklärung Matthäus 17,1-9

Liebe Gemeinde,
Kennen Sie das auch? Die Sehnsucht, einmal über allem zu stehen? Den Alltag hinter mir zu lassen ? Manchmal gibt es solche glücklichen Augenblicke, dann wird diese Sehnsucht ein wenig gestillt. Zum Beispiel im Urlaub, wenn ich einen Gipfel erklommen habe und von ganz weit oben auf einem Berg ins Tal hinunter schaue. Mir ging es so in diesen Wochen - bei den Wanderungen durch die ligurischen Berge: auf diesen Pfaden – manchmal durch Dickicht und Dornengestrüpp hindurch – dann plötzlich ein atemberaubender Ausblick, und ganz unten das Meer! Hinausgehoben aus dem Alltag, so ein Gefühl der Weite, ein Glücksgefühl inmitten wunderbarer Natur!

Manchmal sind es auch Begegnungen mit Menschen, in kostbaren Augenblicken des Glücks – ein Gefühl zu schweben! Über den Dingen zu stehen, die sonst so schwer nach unten ziehen können.

So ähnlich stelle ich es mir vor, damals; so mag es angefangen haben, als Jesus mit seinen engsten Vertrauten auf einen hohen Berg gegangen ist.

Ich lese aus dem Matthäus-Evangelium 17,1-9:
1 Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. 2 Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. 3 Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. 4 Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. 5 Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! 6 Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. 7 Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! 8 Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. 9 Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. 

Petrus, Jakobus und Johannes hatte er mitgenommen. An diesen hervorgehobenen Ort. Und da auf einmal sehen sie den, dem sie nachfolgen: ganz anders als bisher. Ganz neu wird der Blick, die Perspektive ist eine andere hier oben. Sie sehen ihn hier oben in neuem Licht – es überstrahlt jedes natürliche Licht: „…sein Angesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß…“ Doch damit nicht genug – bei dem verklärten Jesus erscheinen auch noch Mose und Elia! Die Großen der Geschichte Israels! Und gleich denken wir an den Berg Sinai oder Horeb: an Elia, an die Begegnung Moses mit Gott selbst, als er die 10 Gebote empfing. Und auch Elia darf auf dem Horeb Gottes Gegenwart spüren, ganz anders zwar als er jemals erwartet hat: überraschend anders, ja irritierend, fast verstörend. Nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer. Nicht in all dem, was er sich vorgestellt hat, begegnet er Gott. Nein, in einem stillen sanften Sausen – so heißt es in der Bibel nach Martin Luther. Der Jude Martin Buber übersetzt hier viel näher am hebräischen Text und kommt zu den wunderbaren Wortschöpfung: „eine Stimme verschwebenden Schweigens“.

So überraschend schnell diese beiden Figuren – Mose und Elia – erschienen sind, so schnell verschwinden sie auch schon wieder. Man kann sie nicht festhalten . „Herr, hier ist gut sein! Willst du, so wollen wir hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.“ Gerne hätte er es anders gehabt, der Petrus, der Fels. Erst recht nach seinem ganz persönlichen Gipfelerlebnis, dem Bekenntnis zu Jesus als dem Messias – Matthäus erzählt an anderer Stelle davon. Jetzt scheint doch alles erreicht zu sein! Petrus sieht den verklärten Gottessohn mit eigenen Augen! Bald wird der Messias seine Herrschaft aufrichten, und sie, seine Jünger, sind beteiligt! Was für eine glänzende Aussicht!

Doch es kommt ganz anders. Eine lichte Wolke überschattet sie; und sie macht Angst, die Stimme aus der Wolke: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören!“ Warum so ängstlich, Petrus? Und auch die beiden anderen. „Den sollt ihr hören!“ Das wolltet ihr doch!

Aber hast du wirklich alles gehört, Petrus? Auch die Andeutungen dieses so anderen Weges Jesu, eines Weges jenseits aller herrschaftlichen Aufstiege? Eines Weges bis hin zum Kreuz?

Das wollte dir nicht gefallen, dass der Sohn Gottes würde leiden müssen. Hast du vergessen, dass Jesus schon einmal auf einem hohen Berg stand? Allein über allem zu stehen, das hat er abgelehnt auf dem Berg der Versuchung, wo es doch so verlockend klingt! Es wäre ein Dienst an Satan gewesen. Sein Weg aber ist der Dienst an den Menschen – als Dienst an Gott.

Hast du nicht mehr im Ohr, Petrus, was Jesus auf jenem anderen Berg gepredigt hat: Selig sind die Leidenden, die Sanftmütigen, die Barmherzigen, die Friedensstifter.

„Den sollt ihr hören!“

Der aber sagt: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“ Und er berührt sie, und geht mit ihnen den Berg hinunter – mitten hinein in ihren Alltag und mitten hinein in das Elend der Welt. Mitten hinein auch in mein Leben, in meinen und deinen Alltag.

Um Aufstieg und Abstieg geht es also. Und um neu sehen, anders sehen und anders gesehen werden. Es geht darum, dass mein Blick nach oben Hoffnung in mir weckt, wo ich mich ganz unten am Boden fühle. Und – wenn ich meine, ganz oben angekommen zu sein, den Weg nach unten frei halte. Es geht darum, mit Christus den Berg auch wieder hinunter zu gehen. Hinunter in die Ebene alltäglichen Lebens und in die Niederungen menschlichen Lebens - und Leidens.

So gesehen werden die „Aufstiege“ des Lichtkunstfestivals um „Abstiege“ erweitert. Aber vielleicht wird diese andere Dimension in den Kunstwerken in der Region ja auch zu sehen sein. In diesem Festival, das uns als Predigerinnen und Prediger zu unserer Sommerpredigtreihe inspiriert hat. Es geht hier ja um das Medium »Licht«, es berührt den Bereich des Geistigen und Geistlichen– so schreiben die Veranstalter selbst. Und im Licht wird das gesamte Spektrum seiner metaphorischen Bedeutung erfahrbar, in allen Schattierungen. Wir dürfen gespannt sein, welche Lichtinstallationen an den fünf Nürtinger Orten zu sehen ein werden!

Berggeschichten könnten wir uns viele erzählen: unsere ganz persönlichen Geschichten von Aufstieg und Abstieg, von Erfolg und Misserfolg, von Licht und Schatten. Und vielleicht können wir deshalb auch die Hoffnungen, die enttäuschten Erwartungen, die Ängste und Irrwege, wie sie Petrus und die anderen beiden erlebt haben, ein gutes Stück weit mitgehen.

Es ist doch so schön, ganz oben zu sein, auf dem Berg!

Es ist so schön, Erfolg zu haben.

Es war so schön, als mein Leben noch in geordneten Bahnen verlief, als ich Arbeit hatte und eine Wohnung. Als meine Frau noch da war und das Leben sich von seiner schönen Seite gezeigt hat.

Es war so schön, als ich noch Zukunftspläne hatte, alles hat sich so leicht und lebendig angefühlt Es war so schön, als es in meiner Heimat noch keinen Krieg gegeben hat.

Doch dann kam der Abstieg: dann habe ich meinen Arbeitsplatz verloren, dann ist meine Frau von mir fortgegangen.

Dann habe ich angefangen zu trinken.

Dann kam die Flucht.

Dann hat es sich plötzlich so angefühlt, als ob ich am Abgrund stehe.

Solche Geschichten gibt es. Menschen erleben so etwas. Mag sein, dass sich Ihre „Berggeschichten“ anders anhören.

„Steh auf, hab keine Angst!“

„…eine Stimme verschwebenden Schweigens…“

Kann ich sie hören, diese Stimme?

Jesus sieht mich anders; anders als andere mich sehen – anders als ich selbst mich sehe. „Steh auf, hab keine Angst!“ Ein zarter Ruf, fast nur ein Hauch – und doch: der mich so ruft, geht mit mir zusammen den Berg hinunter. Bewahrt mich vor allzu luftigen Höhenflügen. Der mich so ruft, erdet mich und öffnet mir gleichzeitig den Blick nach oben: der verklärte Christus - die Niederungen menschlichen Lebens und Leidens blieben ihm nicht erspart – und doch: jetzt sehen sie ihn in ganz neuem Licht!

„Komm“ ruft er mir zu. „Komm und lass dich anschauen! Ganz! Ganz anders!“

Und da – auf einmal: die rettende Hand. Und ich bin nicht mehr allein. Da sorgt sich jemand um mich, und ich kann es geschehen lassen. Ich kann Hilfe annehmen. Ich gehe meinen Weg durch Höhen und Tiefen, erlebe helle und dunkle Tage, mühsames Arbeiten und wunderbar erholsame Urlaubstage, erfolgreiches Schaffen und Nächte voller Unruhe. Ich gehe diesen Weg nicht allein. Gott selbst mit mir „…eine Stimme verschwebenden Schweigens…“
Amen


Fürbittgebet
So zart und so leise – und doch so deutlich - Du, unser Gott, gegen die anderen Stimmen, die lauten: die Stimmen der Angst und des Zweifels, der Angst vor dem Terror, vor der angeblichen Kriegs- und Krisengefahr in unserem Land, der Angst vor Krankheit und Einsamkeit.

Die „Stimme verschwebenden Schweigens“ lässt uns den Weg ins Leben wagen, auch wenn es immer wieder Einbrüche gibt, wenn das Bedrohliche nicht so einfach weggewischt werden kann – nicht im Urlaub und nicht auf den Gipfeln dieser Welt.

Lasst uns das Leben neu sehen in göttlichem Licht, in der Gestalt des verklärten Christus!

Lasst uns auf seine Verheißung vertrauen: dass die Trauernden und die Leidenden getröstet werden, die Sanftmütigen das Erdreich besitzen, die Friedensstifter Gottes Kinder heißen und den Verfolgten das Himmelreich gehört.

So soll es sein, dass auch das tiefste Tal und noch so viel Ungelöstes seine lähmenden Schrecken verliert.

Lasst es hier herein leuchten, das strahlende Licht!
Lasst es uns erspüren, dass wir davon berührt werden!
Amen.

Sonntag, 4. September 2016

Pfarrerin Birgit Mattausch: Brot und Unterwelt. Die Totenbeschwörerin von En-Dor und Samuels Aufstieg aus der Unterwelt

Eine Geschichte
Eine Geschichte erzähl ich.
Ich weiß nicht, warum.
Ich weiß nicht, wozu.
Weiß nur: ich erzähle.
Eine Geschichte.
Aus uralter Zeit.
König. Propheten.
Schlachten und Kriege.
Dornenhecken. Spitze Steine.
Schwerter ohne Zahl.
Abgrund und Nacht.
Der Mond so rot.
Tod - und Brot.
Ich weiß nichts.
Erzähle.

Dunkelkönig
Aus uralter Zeit: Dunkel und Winter. Und Krieg.
Am Horizont die Armeen der Feinde.
Und Samuel tot. Der Prophet. Der Eine.
Begraben in Rama, seiner Stadt.
Beweint vom ganzen Volk.
Samuel. Der wusste, was zu tun war.
Jetzt: Niemand weiß. Niemand rät.
Ein Dunkel überm ganzen Land.
Und mittendrin: der glücklose König. Saul.
Erster seines Namens. Längst im freien Fall.
Heimgesucht von schwarzen Gedanken.
Seit Tagen, Wochen, Jahren.
Abstieg um Abstieg.
Verlust um Verlust.
Und er fragte Gott um Hilfe und Rat. Aber Gott antwortete ihm nicht – weder durch Träume, noch durch Orakel noch durch Menschen. 

Ich weiß nicht, weshalb.
Ich weiß nichts.
Ich erzähle.
Und Gott antwortet nicht.

Dunkelkammer En-Dor
Das ist wie im Traum.
Da legt der König die Krone ab Szepter und Mantel
Schwärzt sein Gesicht.
Und geht dann mitten hindurch.
Durch Heer und Armee
Durch Volk und Feind
Unsichtbar-unbemerkt.
Im Schatten der Nacht.
Bis En-Dor.
Dunkelkammer des Landes
En-Dor.
Der Ort, an dem aufsteigt, was unten ist
Das Begrabene
Verborgene
Das in die Keller der Seele Gesperrte.

En-Dor
Wo die Toten aus der Unterwelt steigen
Wie die ungeweinten Tränen
Die versteckten Wunden
Die verschwiegene Schuld
Dunkelkammer En-Dor
Und deine Wächterin: Eine Frau ohne Namen.

Text (1. Samuel 28 in Auszügen, entlang der Übersetzung von Irmtraud Fischer, leichte Änderungen)
Die fragte: Wen soll ich für dich heraufsteigen lassen?
Und Saul sagte: Samuel, den Propheten.
Und die Frau sah Samuel. 
Und Saul fragte: Was siehst du?
Und sie sagte: Ein alter Mann steigt herauf. Er ist in einen Mantel gehüllt.
Da erkannte Saul, dass es Samuel war.
Und er verneigte sich. Fiel nieder. Das Gesicht auf der Erde.
Da sagte Samuel: Was störst du mich auf, Saul? Was fragst du mich an?
Gott hat an dir getan, wie er sprach durch mich.
Hat die Königsherrschaft aus deiner Hand gerissen.
Er wird das Land in die Hände der Feinde geben.
Morgen werden deine Söhne und du tot sein.

Im Dunkeln stochern
Dunkelkammer En-Dor.
Und deine Wächterin: Eine Frau ohne Namen
Holt die Toten herauf
Was hilfts?
Ich weiß nichts. Erzähle.
Zähle die Tage die Stunden die Sterne
Das Unten und Drunten steigt auf
Das Früher und Damals und Jetzt
Die alten Kriege
Die längst geschlagenen Schlachten
Was störst du mich auf?
Was fragst du mich an?

En-Dor
Ich stochre im Dunkeln
Was war, ist nicht zu ändern, Saul
Was du getan hast, ist in der Welt
Hat Folge um Folge
Gutes und Böses
Ach Saul. Glückloser König.
Verlassen von Gott und von Menschen.
Morgen bist du tot.

Ich stochre im Dunkeln 
Erbarmungsloser Samuel
Im grauen Mantel
Mit nackten Füßen
Du weißt und tröstest nicht
Was für ein Prophet bist du?
Einer mit steinernem Herzen.
Du weißt nur Ja und Nein
Weißt richtig und falsch 
Wo sind die Orte, die Worte dazwischen?
Dahinter? Davor?

Text (1. Samuel 28 in Auszügen, entlang der Übersetzung von Irmtraud Fischer, leichte Änderungen)
Da fiel Saul. Fiel in seiner vollen Länge zur Erde. Keine Kraft war mehr in ihm.
Denn er hatte den ganzen Tag und die ganze Nacht kein Brot gegessen.
Die Frau sah seine Angst.
Und sie sagte zu ihm:
Sieh, ich habe auf deine Worte gehört. Jetzt aber hör du auf meine. Ich will dir einen Bissen Brot geben. Und du wirst essen und zu Kraft kommen und deinen Weg gehen.
Aber er weigerte sich.
Und sie nötigte ihn.
Und er hörte auf sie.
Die Frau hatte ein gemästetes Kalb im Haus. Das schlachtete sie.
Und nahm Mehl und knetete es und buk Saul Brot.
Und sie aßen.

Brot, nicht Tod
Der Mond so rot.
Und all die Fragen.
Ich weiß keine Antwort. Erzähle.
Zähle die Taten der Liebe
Eine backt Brot
In der Nacht
In En-Dor
Kurdistan
Jerusalem
München
Eine backt Brot
Und noch eine, noch einer

Um uns steigt auf so viel Böses
Und dennoch. Und deshalb: Nimm und iß
Der Weg ist weit
Doch da ist Liebe.

In München haben sie die Türen aufgemacht in jener dunklen Nacht
Nahmen Fremde mit an den Küchentisch
Zogen Sofas aus 
Deckten Kinder zu
Kochten Tee
Teilten Bier

Als ich damals kam
– zurück aus meinem Dunkel und aus meiner Angst -
und saß ganz hinten in der Kirchenbank
Da sagte Oma Elsa mir: Du bist ja unser Freind
Beugt sich vor, streicht mir übers Haar und flüstert: Scheein, dass du da bist
Und zuhaus in meiner Küche lagen Käs und Brot
Hatice Karakuyu hatte sie gebracht
Gesagt, ich solle essen, solle leben

Und sie aßen.
Und gingen noch in dieser Nacht.

Nimm und iß
Eine Geschichte hab ich erzählt. 
Ich wußt nicht, warum.
Ich wußt nicht, wozu.
Wußt nur: ich erzähle.
Eine Geschichte.
Aus uralter Zeit.
Der Mond so rot.
Und Dunkel.
Und Tod
Aber auch: Brot.

Die Welt ist schwer.
Dein Herz auch dann und wann
Heut oder morgen
Und manches steigt auf aus deiner Seele
Tränen
Wunden
Schuld 
Und Verrat

Aber eine backt Brot
Nimm. Iß.
Geh deinen Weg
Und lebe.
Amen.

Freitag, 2. September 2016

Mittwoch, 17. August 2016

Dekan Michael Waldmann: Aufstieg Josefs

Predigttext 1. Mose 41
37 Die Rede gefiel dem Pharao und allen seinen Großen gut. 38 Und der Pharao sprach zu seinen Großen: Wie könnten wir einen Mann finden, in dem der Geist Gottes ist wie in diesem?

39 Und er sprach zu Josef: Weil dir Gott dies alles kundgetan hat, ist keiner so verständig und weise wie du. 40 Du sollst über mein Haus sein, und deinem Wort soll all mein Volk gehorsam sein; allein um den königlichen Thron will ich höher sein als du. 41 Und weiter sprach der Pharao zu Josef: Siehe, ich habe dich über ganz Ägyptenland gesetzt. 42 Und er tat seinen Ring von seiner Hand und gab ihn Josef an seine Hand und kleidete ihn mit kostbarer Leinwand und legte ihm eine goldene Kette um seinen Hals 43 und ließ ihn auf seinem zweiten Wagen fahren und ließ vor ihm her ausrufen: Der ist des Landes Vater! Und setzte ihn über ganz Ägyptenland.
47 Und das Land trug in den sieben reichen Jahren die Fülle. 48 Und Josef sammelte die ganze Ernte der sieben Jahre, da Überfluss im Lande Ägypten war, und tat sie in die Städte. Was an Getreide auf dem Felde rings um eine jede Stadt wuchs, das tat er hinein. 49 So schüttete Josef das Getreide auf, über die Maßen viel wie Sand am Meer, sodass er aufhörte zu zählen; denn man konnte es nicht zählen. Und Josef wurden zwei Söhne geboren, bevor die Hungerzeit kam; 51 Und er nannte den ersten Manasse; denn Gott, sprach er, hat mich vergessen lassen all mein Unglück und mein ganzes Vaterhaus. 52 Den andern nannte er Ephraim; denn Gott, sprach er, hat mich wachsen lassen in dem Lande meines Elends.
53Als nun die sieben reichen Jahre um waren im Lande Ägypten, 54 da fingen an die sieben Hungerjahre zu kommen, wie Josef gesagt hatte. Und es ward eine Hungersnot in allen Landen, aber in ganz Ägyptenland war Brot. 55 Als nun ganz Ägyptenland auch Hunger litt, schrie das Volk zum Pharao um Brot. Aber der Pharao sprach zu allen Ägyptern: Geht hin zu Josef; was der euch sagt, das tut. 56 Als nun im ganzen Lande Hungersnot war, tat Josef alle Kornhäuser auf und verkaufte den Ägyptern; denn der Hunger ward je länger je größer im Lande. 57 Und alle Welt kam nach Ägypten, um bei Josef zu kaufen; denn der Hunger war groß in allen Landen.

Liebe Gemeinde!
Aufstiege sind uns nur zu bekannt und beliebt. Die meisten wollen alle nach oben, hoch hinaus, möglichst in den Himmel. Die Welt von oben sehen. Der Turm der Stadtkirche ist immer wieder gefragt als Ort des Aufstiegs. Schulklassen kommen und gehen auf den Turm. Die Stadt Nürtingen liegt ihnen zu Füßen. Sie sehen den Neckar und auf die Dächer der Stadt. Es ist ein erhabenes Gefühl. Oder am vergangenen Donnerstag ging ich abends auf den Hohenneuffen. Es war ein Aufstieg nicht ganz ohne Beschwer. Aber oben angekommen hatte ich eine Aussicht- unvergleichlich. Kirchheim lag unter schwarzen Gewitterwolken. Nürtingen im Dunst und die Achalm von Sonne beleuchtet schien wie eine Vulkanlandschaft in Südostasien. Aufstiege sind oft beschwerlich, aber beliebt, weil man danach mit einer Aussicht belohnt wird. Ähnliches gilt für Aufstiege im übertragenen Sinn. Der VfB Stuttgart möchte nächste Saison unbedingt in die erste Liga wieder aufsteigen, nachdem er abgestiegen ist. Das wird harte Arbeit. So sagen es alle Fachleute. Oben gibt es mehr Zuschauer, mehr Aufmerksamkeit, bessere Gegner, mehr Einnahmen und größere Aufmerksamkeit. Also Aufstieg in die erste Liga ist das Motto und angesagt für die ganze Region. Das hat mit dem Kunstprojekt der Region nichts zu tun, passt aber ganz gut. Nach oben heißt für manche auch Karriere machen, mehr Verantwortung übernehmen, mehr Geld verdienen, Personalverantwortung wahrnehmen, gestalten können. Es gibt auch Aufstiege der Seele in ungeahnte Höhen. Die Liebe kann solche Aufstiege bewirken. Wir schweben nur noch. Nichts berührt. Ich fühle mich ganz obenauf. Alles wird leicht und nichts hält auf dem Boden. Wer Aufstiege kennt, kennt auch Abstiege. Es gibt in der Stuttgarter Zeitung eine Interviewform, in der ein Mensch in der Zacke auf dem Weg nach oben auf seine Höhepunkte angesprochen wird und dann auf der Fahrt nach unten auf seine Tiefpunkte. Jeder hat etwas über Aufstiege und Abstiege zu erzählen. Manchmal sind sie auch mit gesundheitlichen Einschränkungen verbunden oder mit dem Altwerden. Da geht nicht mehr alles, was früher möglich war. Abschied muss man nehmen von manchem, viele erleben es als Abstieg. Abstiege sind meist auch beschwerlich und ernüchternd. Vom Berg herab. Am Abend, wenn ohnehin die Müdigkeit größer wird. Im Sport aus einer Liga in die nächst tiefere. Eine sportliche Katastrophe sagt man dann. Gesundheitliche Einschränkungen, weniger hören, schlechter sehen, mehr vergessen, schneller müde werden, längere Zeit brauchen, um sich zu erholen. Abstiege des Lebens entsprechen den Aufstiegen des Lebens. Wer immer nur aufsteigt, kommt irgendwann der Sonne zu nahe und verbrennt. Das ist unser aller Lebenserfahrung, die sich in Geschichten widerspiegelt.

Die Josefsgeschichte in der Bibel erzählt auch die Geschichte eines jungen Mannes, der von seinen Brüdern aus Neid verkauft wird und dann nach etlichen Umwegen beim Pharao landet, der ihn auf Grund seiner Kenntnis und Weisheit zum höchsten Mann im Staat nach ihm selbst macht und das als einen Ausländer. Aus der Grube, in der ihn die Brüder warfen, geht sein Weg nach oben als Vizekönig von Ägypten. So haben wir es heute Morgen auch aus der Bibel gehört. Er steigt unaufhaltsam nach oben. Seine Karriere scheint unbegrenzt. Aus einem verkauften Sklaven wird einer der mächtigsten Herrscher der damaligen Welt. Wenn das keine Aufstieg ist. Kaum zu glauben kann man sagen. Aber Gott ist ja im Spiel. Denn Josef nennt einen seiner Söhne Ephraim und übersetzt: „Gott hat mich wachsen lassen in dem Land meines Elends.“ Ich bin aufgestiegen, weil es Gott so gewollt hat. Darin sehe ich ein Merkmal für einen Aufstieg wie ihn die Bibel schätzt. Gott will es. Ich werde geleitet und mit mir andere, damit ich einen Aufstiege machen kann. Es ist nicht allein mir zu verdanken, meinen Gaben und Fähigkeiten, meiner Zeit und Kraft, sondern Gott hat mich aufsteigen, wachsen lassen. Ihm sei Ehre und Dank! Das Zweite, was beim Aufstieg Josefs deutlich wird. Er wird Vizekönig und was tut er? Er sorgt für die Menschen. Er sammelt in den fetten Jahren so unvorstellbar viel Getreide, dass er es in den mageren Jahren ausgeben kann. Alle Welt, heißt es, kommt nach Ägypten und kauft dort Getreide. Oben auf der Spitze der Karriereleiter angekommen, bleibt er nicht für sich – welche Gefahr, denn oben wird die Luft dünner, es haben weniger Platz, die Not der Welt sieht aus der Ferne unscheinbar und unbedeutend aus – er bleibt nicht für sich, sondern er wendet sich den Menschen in Not zu und schaut nach unten, geht nach unten und hilft. Ich denke, das ist Aufstieg wie ihn der Gott der Bibel liebt. Er leitet und oben angekommen heißt dann auch sofort den Blick nach unten zu wenden. Oben ist Josef, um den Menschen, für die er Verantwortung hat, zu helfen. Oben heißt, den Blick nach unten zu richten, nicht um weit entfernt nichts mehr wahrzunehmen, sondern um in einer Draufschau den Überblick zu bekommen, der nötig ist, um zu helfen Hungernde werden gesättigt. Es wird nicht verschenkt, sondern verkauft. Josef hilft, aber lässt sich bezahlen. Geld kann man nicht essen, aber wer für Geld wenigstens Essen bekommt, kann überleben. So ist Josefs Aufstieg ein Aufstieg, den er Gott verdankt und dient dazu Menschen zu helfen, indem Not beseitigt wird. Aufstieg ist nicht um des Aufstiegs willen gut, sondern nur im Handeln für Andere. Wer aufsteigt, kommt Gott vielleicht näher, aber nur wenn er den Aufstieg zur Hilfe für andere verwendet.

Das liegt in Gott selbst, wie wir seit Jesus Christus wissen. Er ist ganz oben. Er ist Gottes Sohn. In ihm erkennen wir, wer Gott ist und was ihn ausmacht. Aber er behält dieses Gottsein nicht für sich, sondern wird Mensch. Er entäußert sich, nimmt die Gestalt eines kleinen Kindes im Stall an, erniedrigt sich bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn dann Gott wieder erhöht. Er gibt sich preis in einem Mensch, gibt sich hin, überbringt den Menschen die Liebe Gottes. Darum hat ihn dann Gott erhöht, sodass sich vor ihm beugen alle Knie und alle Zungen bekennen: er ist der Herr. So geht Aufstieg im christlichen Sinn: sich hingeben, sich preisgeben, sich entäußern um der anderen willen und dann dadurch wieder aufzusteigen nach oben. So ist Liebe. Sie gibt sich hin. Sie bleibt nicht bei sich, sondern drängt zum Geliebten, verliert sich und gibt sich preis, ohne Angst vor dem eigenen Verlust, um dann zu gewinnen an Leuchtkraft, an Menschlichkeit, an Stärke, an Hoffnung, mehr denn je an Liebe, um dann wieder sich hinzugeben. Solche Aufstiege hat Gott lieb. Er fördert sie wie bei Josef, er lebt sie wie in seinem Sohn Jesus Christus. Er ist die Liebe und verbindet in sich solches Auf und Ab. Der Höchste der Welt ist der Niedrigste. Der Niedrigste ist der Höchste. Alles wird auf den Kopf gestellt. Seit der Gekreuzigte auferstanden ist, von Gott dem Vater aus dem Tod zu sich genommen, ist der Aufstieg immer ein Abstieg und jeder Abstieg wird zum Aufstieg im Glauben an Jesus Christus. Die Werte der Welt werden durch gerüttelt. Wer oben ist, kann unten sein und wer sich unten wähnt ist in den Augen Gottes ganz oben. Aufstieg und Abstieg verschmelzen und werden zur Aufgabe des Lebens zum großen Auftrag der Liebe, die sich hingibt, von sich absieht und dadurch gewinnt. Ich wünsche Ihnen, dass sie spüren, dass Gott im Aufstieg wie im Abstieg bei ihnen ist und dass er Aufstiege wünscht, die den Abstieg mit hineinnehmen. Die Krankheit in das Leben wie die Gesundheit, das Traurigsein in die Gefühle wie das Frohsein. Nichts steht für sich. Wer Sicherheit wünscht, muss sich selbst aufgeben und findet Halt im anderen.

Für eine Kirchengemeinde kann das heißen, bei ihrer eigenen Entwicklung nicht den Verheißungen der Welt und der Zahlen zu folgen. Aufstieg für eine Kirchengemeinde kann heißen: Sich nicht immer nur selbst um sich zu kümmern, um die eigenen Belange, die eigenen Sorgen in den Mittelpunkt zu stellen. Wer das tut verliert die anderen aus dem Blick. Wer sich nur um sich dreht, dem wird schwindlig und die Umwelt verschwimmt, wird unklar und undeutlich. Kirche kann nur dann für andere sein, wenn sie sich frei und ohne Sorgen bewegt und sich nicht um ihre eigene Existenz sorgt. Wer die Josefsgeschichte hört, wer an Jesus Christus glaubt kann darauf vertrauen: Nur wer sich hingibt, gewinnt, nur wer sich preisgibt, ist Gott nahe. Im Tod ist das Leben. In der Hölle ist Gott. Im Himmel das Böse. Oben ist unten und unten ist oben. Nur die Liebe zählt. Gott ist die Liebe. Und wo die Liebe wohnt, da ist Gott, da ist Aufstieg, da ist Hoffnung, das ist Freude, da ist erfülltes Leben, da ist Freiheit, die sich lohnt.

Josefs Söhne stehen mit ihren Namen dafür: Gott hat mich vergessen lassen all mein Unglück. (Manasse) Gott hat mich wachsen lasen in dem Land meines Elends. (Ephraim).
Amen.

Montag, 1. August 2016

Verklärung: Etwas wird sichtbar, was immer da war

Zur Verklärung Jesu Markus 9,2ff par - dazu predigen Hans-Joachim Baumann, Bärbel Brückner-Walter und Karl-Heinz Graf

Es zeigt sich in der Schilderung, wie an einem Menschen etwas sichtbar wird, das immer da war. Nur in dem Moment eben ganz klar.
Im Fall von Jesus wird seine Herkunft sichtbar - er ist urverbunden mit seinem Lebensursprung, dieser Kraft, die er ‚Vater‘ nennt. Das wusste auch ahnungsweise, wer ihn heilen und reden sah.
Aber es gibt in diesem Leben wie in dem aller Menschen plötzliche Klarheiten. In Gesprächen: mein Gegenüber dreht sich zur Seite, und ich sehe einen ganz anderen Aspekt - eben noch lammfromm, jetzt frivol. Oder ein Mensch gerät vor Freude außer sich und man sieht ihn – vielleicht das einzige Mal - auf dem Gehweg tanzen.
Diese kurzen Momente sind nicht verlängerbar, man kann auf dem Trottoir keine Ferienwohnung bauen wie Petrus vorschlägt. Aber man kommt dahinter nicht zurück, auch wenn später alles scheint ‚wie immer‘ - man hat etwas anderes gesehen am Anderen.
Das gilt im Negativen, aber wichtiger - analog zu dieser Geschichte von Jesus - im Positiven.
Jeder Mensch ist noch unendlich viel mehr als er aus sich macht. Das macht das Geheimnis aus in jedem Leben - und das kann man manchmal ahnen oder gar sehen.
Jesus und den Jüngern geschieht Koinzidenz aus zwei Offenbarungen. Beide Seiten sehen Neues. Denn Offenbarungen gab‘s genug all die Jahre vorher. Man hätte sehen können und hat auch gesehen. Aber dies ist ein Moment, wo beiden etwas aufgeht: Jesus sieht sich in seiner ganzen Gestalt gesehen. 
So etwas widerfährt einem ja im Leben nicht so oft. Immer sehen Leute etwas Bestimmtes an mir. Jeder Blick sieht nur, was er sehen kann. An mir den Streithammel oder den Tröster. An Jesus den klugen Menschen oder den Verlierer oder den Gottessohn.
Hier sehen sie ihn ganz. Und er sieht, wie sie ihn ganz sehen. Das ist der Moment, der ihm zeigt, dass er gehen kann. Manche Menschen z.B. sind im Tod erst in ihrer eigentlichen Gestalt erkenntlich - ‚verklärt‘ nennt man das oft.
Und die Jünger andrerseits sehen, was sie immer ahnten. Wenn sich diese beiden Momente der Erkenntnis synchronisieren, ist alles klar. Keine Fragen.
Erst als der Moment der Offenbarung vorbei ist, setzt der alte Schleier der Blödigkeit wieder ein: Appartments bauen, Gewinnmaximierung und ‚Augenblick, verweile doch‘.
So wird aus zwei Blickrichtungen eine dritte, die beiden widerfährt. Wie alle großen Momente. Sie kommen über mich. Und nur die taugen auf Sicht dazu in Ruhe zu leben und zu sterben.

Thomas Hirsch-Hüffell