Mittwoch, 17. August 2016

Dekan Michael Waldmann: Aufstieg Josefs

Predigttext 1. Mose 41
37 Die Rede gefiel dem Pharao und allen seinen Großen gut. 38 Und der Pharao sprach zu seinen Großen: Wie könnten wir einen Mann finden, in dem der Geist Gottes ist wie in diesem?

39 Und er sprach zu Josef: Weil dir Gott dies alles kundgetan hat, ist keiner so verständig und weise wie du. 40 Du sollst über mein Haus sein, und deinem Wort soll all mein Volk gehorsam sein; allein um den königlichen Thron will ich höher sein als du. 41 Und weiter sprach der Pharao zu Josef: Siehe, ich habe dich über ganz Ägyptenland gesetzt. 42 Und er tat seinen Ring von seiner Hand und gab ihn Josef an seine Hand und kleidete ihn mit kostbarer Leinwand und legte ihm eine goldene Kette um seinen Hals 43 und ließ ihn auf seinem zweiten Wagen fahren und ließ vor ihm her ausrufen: Der ist des Landes Vater! Und setzte ihn über ganz Ägyptenland.
47 Und das Land trug in den sieben reichen Jahren die Fülle. 48 Und Josef sammelte die ganze Ernte der sieben Jahre, da Überfluss im Lande Ägypten war, und tat sie in die Städte. Was an Getreide auf dem Felde rings um eine jede Stadt wuchs, das tat er hinein. 49 So schüttete Josef das Getreide auf, über die Maßen viel wie Sand am Meer, sodass er aufhörte zu zählen; denn man konnte es nicht zählen. Und Josef wurden zwei Söhne geboren, bevor die Hungerzeit kam; 51 Und er nannte den ersten Manasse; denn Gott, sprach er, hat mich vergessen lassen all mein Unglück und mein ganzes Vaterhaus. 52 Den andern nannte er Ephraim; denn Gott, sprach er, hat mich wachsen lassen in dem Lande meines Elends.
53Als nun die sieben reichen Jahre um waren im Lande Ägypten, 54 da fingen an die sieben Hungerjahre zu kommen, wie Josef gesagt hatte. Und es ward eine Hungersnot in allen Landen, aber in ganz Ägyptenland war Brot. 55 Als nun ganz Ägyptenland auch Hunger litt, schrie das Volk zum Pharao um Brot. Aber der Pharao sprach zu allen Ägyptern: Geht hin zu Josef; was der euch sagt, das tut. 56 Als nun im ganzen Lande Hungersnot war, tat Josef alle Kornhäuser auf und verkaufte den Ägyptern; denn der Hunger ward je länger je größer im Lande. 57 Und alle Welt kam nach Ägypten, um bei Josef zu kaufen; denn der Hunger war groß in allen Landen.

Liebe Gemeinde!
Aufstiege sind uns nur zu bekannt und beliebt. Die meisten wollen alle nach oben, hoch hinaus, möglichst in den Himmel. Die Welt von oben sehen. Der Turm der Stadtkirche ist immer wieder gefragt als Ort des Aufstiegs. Schulklassen kommen und gehen auf den Turm. Die Stadt Nürtingen liegt ihnen zu Füßen. Sie sehen den Neckar und auf die Dächer der Stadt. Es ist ein erhabenes Gefühl. Oder am vergangenen Donnerstag ging ich abends auf den Hohenneuffen. Es war ein Aufstieg nicht ganz ohne Beschwer. Aber oben angekommen hatte ich eine Aussicht- unvergleichlich. Kirchheim lag unter schwarzen Gewitterwolken. Nürtingen im Dunst und die Achalm von Sonne beleuchtet schien wie eine Vulkanlandschaft in Südostasien. Aufstiege sind oft beschwerlich, aber beliebt, weil man danach mit einer Aussicht belohnt wird. Ähnliches gilt für Aufstiege im übertragenen Sinn. Der VfB Stuttgart möchte nächste Saison unbedingt in die erste Liga wieder aufsteigen, nachdem er abgestiegen ist. Das wird harte Arbeit. So sagen es alle Fachleute. Oben gibt es mehr Zuschauer, mehr Aufmerksamkeit, bessere Gegner, mehr Einnahmen und größere Aufmerksamkeit. Also Aufstieg in die erste Liga ist das Motto und angesagt für die ganze Region. Das hat mit dem Kunstprojekt der Region nichts zu tun, passt aber ganz gut. Nach oben heißt für manche auch Karriere machen, mehr Verantwortung übernehmen, mehr Geld verdienen, Personalverantwortung wahrnehmen, gestalten können. Es gibt auch Aufstiege der Seele in ungeahnte Höhen. Die Liebe kann solche Aufstiege bewirken. Wir schweben nur noch. Nichts berührt. Ich fühle mich ganz obenauf. Alles wird leicht und nichts hält auf dem Boden. Wer Aufstiege kennt, kennt auch Abstiege. Es gibt in der Stuttgarter Zeitung eine Interviewform, in der ein Mensch in der Zacke auf dem Weg nach oben auf seine Höhepunkte angesprochen wird und dann auf der Fahrt nach unten auf seine Tiefpunkte. Jeder hat etwas über Aufstiege und Abstiege zu erzählen. Manchmal sind sie auch mit gesundheitlichen Einschränkungen verbunden oder mit dem Altwerden. Da geht nicht mehr alles, was früher möglich war. Abschied muss man nehmen von manchem, viele erleben es als Abstieg. Abstiege sind meist auch beschwerlich und ernüchternd. Vom Berg herab. Am Abend, wenn ohnehin die Müdigkeit größer wird. Im Sport aus einer Liga in die nächst tiefere. Eine sportliche Katastrophe sagt man dann. Gesundheitliche Einschränkungen, weniger hören, schlechter sehen, mehr vergessen, schneller müde werden, längere Zeit brauchen, um sich zu erholen. Abstiege des Lebens entsprechen den Aufstiegen des Lebens. Wer immer nur aufsteigt, kommt irgendwann der Sonne zu nahe und verbrennt. Das ist unser aller Lebenserfahrung, die sich in Geschichten widerspiegelt.

Die Josefsgeschichte in der Bibel erzählt auch die Geschichte eines jungen Mannes, der von seinen Brüdern aus Neid verkauft wird und dann nach etlichen Umwegen beim Pharao landet, der ihn auf Grund seiner Kenntnis und Weisheit zum höchsten Mann im Staat nach ihm selbst macht und das als einen Ausländer. Aus der Grube, in der ihn die Brüder warfen, geht sein Weg nach oben als Vizekönig von Ägypten. So haben wir es heute Morgen auch aus der Bibel gehört. Er steigt unaufhaltsam nach oben. Seine Karriere scheint unbegrenzt. Aus einem verkauften Sklaven wird einer der mächtigsten Herrscher der damaligen Welt. Wenn das keine Aufstieg ist. Kaum zu glauben kann man sagen. Aber Gott ist ja im Spiel. Denn Josef nennt einen seiner Söhne Ephraim und übersetzt: „Gott hat mich wachsen lassen in dem Land meines Elends.“ Ich bin aufgestiegen, weil es Gott so gewollt hat. Darin sehe ich ein Merkmal für einen Aufstieg wie ihn die Bibel schätzt. Gott will es. Ich werde geleitet und mit mir andere, damit ich einen Aufstiege machen kann. Es ist nicht allein mir zu verdanken, meinen Gaben und Fähigkeiten, meiner Zeit und Kraft, sondern Gott hat mich aufsteigen, wachsen lassen. Ihm sei Ehre und Dank! Das Zweite, was beim Aufstieg Josefs deutlich wird. Er wird Vizekönig und was tut er? Er sorgt für die Menschen. Er sammelt in den fetten Jahren so unvorstellbar viel Getreide, dass er es in den mageren Jahren ausgeben kann. Alle Welt, heißt es, kommt nach Ägypten und kauft dort Getreide. Oben auf der Spitze der Karriereleiter angekommen, bleibt er nicht für sich – welche Gefahr, denn oben wird die Luft dünner, es haben weniger Platz, die Not der Welt sieht aus der Ferne unscheinbar und unbedeutend aus – er bleibt nicht für sich, sondern er wendet sich den Menschen in Not zu und schaut nach unten, geht nach unten und hilft. Ich denke, das ist Aufstieg wie ihn der Gott der Bibel liebt. Er leitet und oben angekommen heißt dann auch sofort den Blick nach unten zu wenden. Oben ist Josef, um den Menschen, für die er Verantwortung hat, zu helfen. Oben heißt, den Blick nach unten zu richten, nicht um weit entfernt nichts mehr wahrzunehmen, sondern um in einer Draufschau den Überblick zu bekommen, der nötig ist, um zu helfen Hungernde werden gesättigt. Es wird nicht verschenkt, sondern verkauft. Josef hilft, aber lässt sich bezahlen. Geld kann man nicht essen, aber wer für Geld wenigstens Essen bekommt, kann überleben. So ist Josefs Aufstieg ein Aufstieg, den er Gott verdankt und dient dazu Menschen zu helfen, indem Not beseitigt wird. Aufstieg ist nicht um des Aufstiegs willen gut, sondern nur im Handeln für Andere. Wer aufsteigt, kommt Gott vielleicht näher, aber nur wenn er den Aufstieg zur Hilfe für andere verwendet.

Das liegt in Gott selbst, wie wir seit Jesus Christus wissen. Er ist ganz oben. Er ist Gottes Sohn. In ihm erkennen wir, wer Gott ist und was ihn ausmacht. Aber er behält dieses Gottsein nicht für sich, sondern wird Mensch. Er entäußert sich, nimmt die Gestalt eines kleinen Kindes im Stall an, erniedrigt sich bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn dann Gott wieder erhöht. Er gibt sich preis in einem Mensch, gibt sich hin, überbringt den Menschen die Liebe Gottes. Darum hat ihn dann Gott erhöht, sodass sich vor ihm beugen alle Knie und alle Zungen bekennen: er ist der Herr. So geht Aufstieg im christlichen Sinn: sich hingeben, sich preisgeben, sich entäußern um der anderen willen und dann dadurch wieder aufzusteigen nach oben. So ist Liebe. Sie gibt sich hin. Sie bleibt nicht bei sich, sondern drängt zum Geliebten, verliert sich und gibt sich preis, ohne Angst vor dem eigenen Verlust, um dann zu gewinnen an Leuchtkraft, an Menschlichkeit, an Stärke, an Hoffnung, mehr denn je an Liebe, um dann wieder sich hinzugeben. Solche Aufstiege hat Gott lieb. Er fördert sie wie bei Josef, er lebt sie wie in seinem Sohn Jesus Christus. Er ist die Liebe und verbindet in sich solches Auf und Ab. Der Höchste der Welt ist der Niedrigste. Der Niedrigste ist der Höchste. Alles wird auf den Kopf gestellt. Seit der Gekreuzigte auferstanden ist, von Gott dem Vater aus dem Tod zu sich genommen, ist der Aufstieg immer ein Abstieg und jeder Abstieg wird zum Aufstieg im Glauben an Jesus Christus. Die Werte der Welt werden durch gerüttelt. Wer oben ist, kann unten sein und wer sich unten wähnt ist in den Augen Gottes ganz oben. Aufstieg und Abstieg verschmelzen und werden zur Aufgabe des Lebens zum großen Auftrag der Liebe, die sich hingibt, von sich absieht und dadurch gewinnt. Ich wünsche Ihnen, dass sie spüren, dass Gott im Aufstieg wie im Abstieg bei ihnen ist und dass er Aufstiege wünscht, die den Abstieg mit hineinnehmen. Die Krankheit in das Leben wie die Gesundheit, das Traurigsein in die Gefühle wie das Frohsein. Nichts steht für sich. Wer Sicherheit wünscht, muss sich selbst aufgeben und findet Halt im anderen.

Für eine Kirchengemeinde kann das heißen, bei ihrer eigenen Entwicklung nicht den Verheißungen der Welt und der Zahlen zu folgen. Aufstieg für eine Kirchengemeinde kann heißen: Sich nicht immer nur selbst um sich zu kümmern, um die eigenen Belange, die eigenen Sorgen in den Mittelpunkt zu stellen. Wer das tut verliert die anderen aus dem Blick. Wer sich nur um sich dreht, dem wird schwindlig und die Umwelt verschwimmt, wird unklar und undeutlich. Kirche kann nur dann für andere sein, wenn sie sich frei und ohne Sorgen bewegt und sich nicht um ihre eigene Existenz sorgt. Wer die Josefsgeschichte hört, wer an Jesus Christus glaubt kann darauf vertrauen: Nur wer sich hingibt, gewinnt, nur wer sich preisgibt, ist Gott nahe. Im Tod ist das Leben. In der Hölle ist Gott. Im Himmel das Böse. Oben ist unten und unten ist oben. Nur die Liebe zählt. Gott ist die Liebe. Und wo die Liebe wohnt, da ist Gott, da ist Aufstieg, da ist Hoffnung, das ist Freude, da ist erfülltes Leben, da ist Freiheit, die sich lohnt.

Josefs Söhne stehen mit ihren Namen dafür: Gott hat mich vergessen lassen all mein Unglück. (Manasse) Gott hat mich wachsen lasen in dem Land meines Elends. (Ephraim).
Amen.

Montag, 1. August 2016

Verklärung: Etwas wird sichtbar, was immer da war

Zur Verklärung Jesu Markus 9,2ff par - dazu predigen Hans-Joachim Baumann, Bärbel Brückner-Walter und Karl-Heinz Graf

Es zeigt sich in der Schilderung, wie an einem Menschen etwas sichtbar wird, das immer da war. Nur in dem Moment eben ganz klar.
Im Fall von Jesus wird seine Herkunft sichtbar - er ist urverbunden mit seinem Lebensursprung, dieser Kraft, die er ‚Vater‘ nennt. Das wusste auch ahnungsweise, wer ihn heilen und reden sah.
Aber es gibt in diesem Leben wie in dem aller Menschen plötzliche Klarheiten. In Gesprächen: mein Gegenüber dreht sich zur Seite, und ich sehe einen ganz anderen Aspekt - eben noch lammfromm, jetzt frivol. Oder ein Mensch gerät vor Freude außer sich und man sieht ihn – vielleicht das einzige Mal - auf dem Gehweg tanzen.
Diese kurzen Momente sind nicht verlängerbar, man kann auf dem Trottoir keine Ferienwohnung bauen wie Petrus vorschlägt. Aber man kommt dahinter nicht zurück, auch wenn später alles scheint ‚wie immer‘ - man hat etwas anderes gesehen am Anderen.
Das gilt im Negativen, aber wichtiger - analog zu dieser Geschichte von Jesus - im Positiven.
Jeder Mensch ist noch unendlich viel mehr als er aus sich macht. Das macht das Geheimnis aus in jedem Leben - und das kann man manchmal ahnen oder gar sehen.
Jesus und den Jüngern geschieht Koinzidenz aus zwei Offenbarungen. Beide Seiten sehen Neues. Denn Offenbarungen gab‘s genug all die Jahre vorher. Man hätte sehen können und hat auch gesehen. Aber dies ist ein Moment, wo beiden etwas aufgeht: Jesus sieht sich in seiner ganzen Gestalt gesehen. 
So etwas widerfährt einem ja im Leben nicht so oft. Immer sehen Leute etwas Bestimmtes an mir. Jeder Blick sieht nur, was er sehen kann. An mir den Streithammel oder den Tröster. An Jesus den klugen Menschen oder den Verlierer oder den Gottessohn.
Hier sehen sie ihn ganz. Und er sieht, wie sie ihn ganz sehen. Das ist der Moment, der ihm zeigt, dass er gehen kann. Manche Menschen z.B. sind im Tod erst in ihrer eigentlichen Gestalt erkenntlich - ‚verklärt‘ nennt man das oft.
Und die Jünger andrerseits sehen, was sie immer ahnten. Wenn sich diese beiden Momente der Erkenntnis synchronisieren, ist alles klar. Keine Fragen.
Erst als der Moment der Offenbarung vorbei ist, setzt der alte Schleier der Blödigkeit wieder ein: Appartments bauen, Gewinnmaximierung und ‚Augenblick, verweile doch‘.
So wird aus zwei Blickrichtungen eine dritte, die beiden widerfährt. Wie alle großen Momente. Sie kommen über mich. Und nur die taugen auf Sicht dazu in Ruhe zu leben und zu sterben.

Thomas Hirsch-Hüffell