KEIN TAG WIE JEDER ANDERE!!!Unsere Reporter waren heute bei der Ankunft der 1500 #Flüchtlinge am #Dortmunder Hauptbahnhof. Was sich dort abgespielt hat, war Gänsehaut pur. Das passiert wenn Menschen auf Menschen treffen. Wir lassen das Video wohl lieber unkommentiert. Nur eine Sache sei gesagt: #Welcome
Posted by 17:30 SAT.1 NRW on Sonntag, 6. September 2015
Montag, 7. September 2015
Dortmund Hauptbahnhof Anfang September 2015
Markus Frank: Jakobs Flucht vor Esau. Oder: Schreibt Gott auf krummen Linien schön? Predogt zu Genesis 27-31 in Auswahl
Vorbemerkung des Verfassers:
Beim Predigen ist Vieles dann doch wieder nochmal ziemlich anders geworden als im Manuskript festgehalten. Verbindlich ist das gesprochene Wort. Bitte alle Formfehler stillschweigend zu überlesen.
Und: Fast alle Entdeckungen und Einsichten zur Erzählung von Jakob und Esau sind nicht auf meinem Mist gewachsen.
Und: Fast alle Entdeckungen und Einsichten zur Erzählung von Jakob und Esau sind nicht auf meinem Mist gewachsen.
Liebe Gemeinde,
Geschichten zu Flucht, Vertreibung und Heimat.
Ein älterer Mann aus Aleppo ist mir über den
Fernseher vor Augen. Er ist dort geblieben. In Aleppo. In seiner Heimat. Er ist
nicht geflohen aus dieser Stadt voller zerbombter Häuser und sinnlos getöteter
Menschen. Ein verzweifelter Rufer in der Wüste der Zerstörung: „Gott,/Allah,
was haben wir getan, dass Du das über uns hereinbrechen lässt?“
Geschichten zu Flucht, Vertreibung und Heimat.
Menschen an den Grenzen, die ihren oft
traumatisierten Menschengeschwister die Aufnahme verweigern, Ängste schüren und
Schutzbedürftige bedrohen (Heidenau), aber auch bis an die Grenze ihrer Kräfte
gehen, dass die Fliehenden Zuflucht finden. Mitten in Europa.
Geschichten zu Flucht, Vertreibung und Heimat.
Es ist schon eine Zumutung an den Glauben an
die Fähigkeit von uns Menschen zum Guten und immer wieder auch für den Glauben
an einen liebenden Gott, der auch das Schlimmste zum Guten wenden kann und
will.
Biblische zu Flucht, Vertreibung und
Heimat. Wie gut, dass die Bibel
solche Geschichten kennt und erzählt.
Und damit ermutigt, dass auch die schlimmste Geschichte erzählt werden
kann. Vielleicht ist es das Vornehmlichste, was wir als Kirche Jesu Christ, als
Kirche des auferstandenen Schmerzensmanns tun können: Räume zu schaffen, in dem
solche Geschichten erzählt werden.
So auch heute morgen.
Als ich vor Monaten das Thema diesen
Gottesdienst angeben musste, wählt ich als Unterüberschrift der Geschichte von
Jakobs Flucht vor seinem Bruder Esau die Frage: „Schreibt Gott auf krummen
Linien schön?“
Die krummen Linien sollten in einem Bild
ausdrücken, dass es wohl kein Menschenleben gibt, das völlig glatt und
gradlinig verläuft. Wir alle sind bis heute so manchem Umweg gegangen. Wir alle
tragen Verletzungen und Enttäuschungen
in unserer Seele, manche auch an ihrem Leib. Nicht wenige der Menschen, die z. B. aus Syrien zu uns
kommen, haben Unaussprechliches erlebt tragen Traumata in sich, die sie wohl ein
Leben lang begleiten werden. Allein, dass solche Erfahrungen in einer von Gott
sehr gut geschaffenen Welt möglich sind, kann einen am Leben und wohl auch an Gott
irre werden lassen und vor allem wütend über die Verdreher alles Guten, auch
des Glaubens.
Es ist aber ist aber auch möglich, den Blick
auf die Hoffnung und Kraft zu
richten, dass es nicht dabei bleiben muss und wird: Gott schreibt auf krummen Linien schön!
Deshalb begraben wir unsere Träume von einer
möglichen bessern Welt nicht und auch nicht von einem Himmel, in dem einst
alles zurecht gebracht wird. Und die verwaisten Kindersoldaten wieder sorglos mit
ihren Eltern spielen. Und kein Mensch mehr auf der Flucht ist.
Ein Leben in diesem Glauben an einen liebenden
Gott, der auf den krummen Linien unseres Lebens schön schreibt, hat allerdings
einen Preis, den das Evangelium zu zahlen auffordert. Von diesem Preis erzählte uns schon die
Schriftlesung und auf ganz eigene unsere heutige Geschichte, die Erzählung von
Jakob und Esau. Zu finden im 1. Mosebuch, besonders ab Kapitel 27. Und sie tut
es so nah an unsrem menschlichen Leben entlang, dass sie unsere Träume und
Wünsche vom Himmel auf wunderbare Weise erdet.
In der
Bibel finden sich eine ganze Reihe von Brüdererzählungen. Oft sind es
Konfliktgeschichten. Sie handeln von Konflikten zwischen den Brüdern und deren
Lösung. Gleich beim ersten Brüderpaar Kain und Abel besteht die Lösung im
Brudermord – die denkbar schlechteste Lösung. Bei Ismael und Isaak steht der
Konflikt zwischen den Müttern im Vordergrund, und so wird die Mutter Ismaels mit
ihrem Sohn vertrieben. Bei Josef und seinen Brüdern geht bekanntlich alles gut
aus. In Jesu Gleichnis vom verlorenen Sohn hat der Vater eine wichtige Rolle.
Aber auch da spielt im Hintergrund ein Bruderkonflikt mit –die Lösung bleibt
offen. Heute nun richtet sich unser Blick auf Jakob und Esau.
Im Fall
von Jakob und Esau geht es um einen handfesten Streit zwischen Brüdern,
zwischen Zwillinge sogar. Schon im Mutterleib geht das Gerangel los. Rebekka,
die Mutter, klagt:
Wenn mir's so gehen soll, warum bin ich
schwanger geworden? Und sie ging hin, den HERRN zu befragen. 23 Und der HERR sprach zu
ihr: Zwei Völker sind in deinem Leibe, und zweierlei Volk wird sich scheiden
aus deinem Leibe; und ein Volk wird dem andern überlegen sein, und der Ältere
wird dem Jüngeren dienen. 24 Als
nun die Zeit kam, dass sie gebären sollte, siehe, da waren Zwillinge in ihrem
Leibe. 25 Der erste,
der herauskam, war rötlich, ganz rauh wie ein Fell, und sie nannten ihn
Esau. 26 Danach kam
heraus sein Bruder, der hielt mit seiner Hand die Ferse des Esau, und sie
nannten ihn Jakob. (Gen 25,22-26)
Als erstes kauft Jakob dem Älteren seinen Vorrang als
Erstgeborener ab – um ein Linsengericht, was bekanntlich bei uns zum Sprichwort
geworden ist. Das scheint noch tragbar, verglichen mit dem, was dann kommt.
In enger Zusammenarbeit mit seiner Mutter macht sich Jakob, der Jüngere, daran,
den blinden Vater willentlich und arglistig zu täuschen, um Esau den
Erstgeburtssegen abzuluchsen. Rebekka hatte Jakob lieb steht da.
Esau
plant Jakob umzubringen, aber erst nach dem Tod des Vaters und Rebekka rät
Jakob, zur Verwandtschaft zu fliehen.
Mach dich auf und flieh zu meinem Bruder Laban
nach Haran 44 und bleib
eine Weile bei ihm, bis sich der Grimm deines Bruders legt 45 und bis sein Zorn wider
dich sich von dir wendet und er vergisst, was du ihm getan hast. (Gen 27,43-45)
„… bis er
vergisst, was du ihm angetan hast“, hatte Rebekka zu Jakob gesagt. 20 Jahre
blieb Jakob in der Fremde. Er heiratete zwei Frauen, er bekam elf Söhne und
eine Tochter. Er wurde sehr reich an Herden, Vieh und Menschen. Doch als er
endlich zurückkehrt, weiß er: Sein Bruder hat nichts vergessen. Einfach Wegsein – und wenn es 20 Jahre sind
– ist keine Versöhnung. Und wo die Wunden so tief sind, kann es auch kein
Vergessen geben.
Als Jakob zurückkehrt, ist ihm klar, dass er
nicht so tun kann, als sei nichts gewesen. Er schickt – noch aus sicherem
Abstand – Boten zu seinem Bruder.
Und er
beauftragte sie: So sprecht zu Esau, meinem
Herrn: Dein Knecht Jakob lässt dir sagen: Ich bin bisher bei Laban lange in der
Fremde gewesen 6 und
habe Rinder und Esel, Schafe, Knechte und Mägde, und habe ausgesandt, es dir,
meinem Herrn, anzusagen, damit ich Gnade vor deinen Augen fände. (Gen 32,5-6)
Die
Antwort der Boten ist wenig ermutigend. Sie sagen, Esau sei schon unterwegs,
ihm entgegen, und bei sich habe er 400 Mann. 400 Mann? Für eine
freundschaftliche Begrüßung sind das etwas viel. Der Erzähler vermerkt: Da fürchtete sich Jakob sehr, und ihm wurde bange.
(Gen 32,8) Doch
sogleich erwacht in ihm wieder das alte Schlitzohr. Er teilt sein Lager in zwei
Teile. Seine Rechnung ist einfach:
»Wenn
Esau kommt und das eine Lager schlägt, ist das übrig gebliebene Lager die
Rettung.« (Gen 32,9, BIGS)
Die
Hälfte also schreibt er vorsorglich schon einmal ab. Außerdem stellt er eine
gewaltige Abgabe für seinen Bruder zusammen, um ihn zu besänftigen. Der Text
zählt es auf – es ist ein schier unermesslicher Reichtum: „200 Ziegen und 20
Ziegenböcke; 200 Schafe und 20 Widder; 30 säugende Kamele mit ihren Jungen; 40
Kühe und 10 Stiere; 20 Eselinnen und 10 Eselhengste.“ Mehr als ein kleines
Vermögen bietet er Esau als Geschenk an. Die Worte, die er dazu sagt führen uns
ins Herz der Erzählung.
»Versöhnen
will ich sein Angesicht durch die Abgabe, die vor meinem Angesicht herzieht.
Danach werde ich sein Angesicht sehen, vielleicht hebt er mein Angesicht zu
sich empor.«
So ging die Abgabe vor
seinem Angesicht her …
Das entscheidende Wort
klingt uns im Ohr: Fünfmal ist in diesen wenigen Sätzen vom Angesicht die Rede:
»Versöhnen
will ich sein Angesicht durch die Abgabe, die vor meinem Angesicht herzieht.
Danach werde ich sein Angesicht sehen, vielleicht hebt er mein Angesicht zu
sich empor.«
So weit Jakobs Plan: Die Hälfte seines Besitzes will er durch
Teilung der Herden ganz retten. Von der andern Hälfte macht er eine riesige
Abgabe. Seine Hoffnung ist, dass er so Versöhnung mit seinem Bruder erreicht.
Er weiß: Versöhnung ist nicht umsonst. Zunächst im ganz materiellen Sinn: Sie
ist nicht gratis zu haben.
Und doch kommt es ziemlich anders, als er denkt. Denn bevor Jakob Esau
trifft, macht er eine ganz andere Begegnung. Es ist noch tiefe Nacht. Jakob
schickt seinen ganzen Besitz über den Fluss Jabbok, Esau entgegen. Er bleibt
zurück. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte
anbrach. (Gen, 32,2)
Lesen wir da äußerst lapidar.
Wer das
ist, erfahren wir nicht. „Jemand, ein Mann“ heißt es. Der Kampf geht
unentschieden aus. Der Mann haut Jakob aufs Hüftgelenk und verrenkt es ihm.
Jakob hält den Mann fest und nötigt ihm einen Segen ab. Der Mann benennt Jakob
um. Er soll jetzt Israel heißen. Die Begründung ist: 29 Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob
heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und
hast gewonnen. (Gen 32,29)
Als der
Mann fort ist, versteht Jakob, was da geschehen ist. Er benennt den Ort des
Geschehens Pniel“, „Angesicht Gottes“. Da
ist es wieder, das Angesicht. Aber diesmal nicht das Angesicht Esaus oder das
Angesicht Jakobs, sondern das Angesicht Gottes.
Und Jakob nannte die Stätte Pnuël; denn, sprach
er, ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet. 32
Und als er an Pnuël vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an
seiner Hüfte. (Gen 32,31f)
Zwei Bewegungen finden sich
in der berühmten Geschichte vom Jakobskampf am Jabbok. Scheinbar sind sie
gegenläufig. In Wahrheit aber sind sie eng aufeinander bezogen.
Die eine Entwicklung besteht darin, dass zu Beginn des Geschehens
Jakob unversehrt und im Vollbesitz seiner Kräfte ist. Am Schluss dagegen ist er
„ein Hinkender wegen seiner Hüfte“. Der Mann hat ihn bleibend verletzt. Jakob
ist für den Rest seines Lebens eingeschränkt. Er, der ewig Erfolgreiche, dem
bisher alles gelungen ist, muss eine massive Einschränkung hinnehmen. Das sieht
aus wie eine Bewegung vom Guten zum Schlechten, vom Gesunden zum Behinderten,
vom Erfolgreichen zum Geschlagenen.
Es sieht
so aus – wenn da nicht im Hintergrund noch eine andere Bewegung wäre.
Als es
losgeht und Jakob noch gesund ist, ist es tiefe Nacht. Der Ringkampf, bei dem
Jakob auf die Hüfte geschlagen wird und doch nicht unterliegt, geht bis zum
Morgengrauen. Und als feststeht, dass er nun dauerhaft hinken wird, heißt es: 32 Und als
er an Pnuël vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte.
(Gen 32,31f)
Von der Nacht über das
Morgengrauen bis zur aufgehenden Sonne: Diese Bewegung ist keineswegs
gegenläufig zu der vom Gesundsein zum Hinken.
Im Gegenteil! Sie erklärt
erst das Geheimnis dieses Vorgangs. Solange Jakob der Erfolgreiche ist, der
seinen Bruder in der Vergangenheit zweimal aufs Kreuz gelegt hat und es jetzt
wieder mit gut kalkulierten Tricks versucht, kann es nicht zur Versöhnung mit
ihm kommen. Jakob muss im Ringen mit Gott erfahren, dass er in seinen
Möglichkeiten begrenzt wird, dass er eingeschränkt wird, um zur Versöhnung
fähig zu werden.
Versöhnung ist nicht
umsonst. Sie hat nicht nur ihren materiellen Preis. Dass Jakob zur Versöhnung
fähig wird, setzt voraus, dass er zuvor Abschied von seinem Selbstbild des ewig
Erfolgreichen nimmt. In seinem Hinken, über dem die Sonne aufgeht, findet das
seinen symbolischen Ausdruck.
Kaum ist
die Sonne über dem hinkenden Jakob aufgegangen, kommt schon Esau mit seinen 400
Mann heran. Aber er fällt nicht über ihn her– wie befürchtet. Vielmehr, so der
Erzähler, „lief er ihm entgegen, umarmte
ihn, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Da weinten sie“. Die beiden
Männer weinen. Sie lassen sich gehen. Sie haben verstanden, dass es Versöhnung
nicht geben kann, wo jeder nur seine Machtmittel einsetzt, Esau seine 400 Mann,
Jakob seinen Reichtum und seine schier unerschöpfliche Listigkeit.
Jakob
nimmt das Geschenk, das er für Esau gedacht hatte, nicht zurück. Esaus Einwand,
er habe selbst genug, weist er ab.
Doch
Jakob sagte: »Nicht doch. Wenn ich wirklich
Wohlwollen und Zuwendung in deinen Augen gefunden habe, dann nimmst du auch
meine Abgabe aus meiner Hand an. Schließlich habe ich dein Angesicht gesehen,
wie man das Angesicht Gottes sieht, und du hast mich wohlwollend angenommen.
Nimm nun meinen Segen an, der dir überbracht wurde. Denn Gott hat sich
freundlich gezeigt, und ich besitze die Fülle.« So drang er in ihn und der
nahm es an.
Durch die
Annahme des Geschenkes ist die Versöhnung hergestellt. Sie ist nicht umsonst –
sie hat Jakob etwas gekostet.
Aber sie ist auch nicht umsonst in dem andern Sinn
dieses Wortes: Sie ist nicht vergeblich. Indem beide auf ihre
Machtmittel verzichten, kann die Versöhnung von Dauer sein. Jakob selbst stellt
den Zusammenhang mit seiner Gottesbegegnung am Jabbok her. „Schließlich habe ich dein Angesicht gesehen, wie man das Angesicht
Gottes sieht, und du hast mich wohlwollend angenommen.“ In der
Gottesbegegnung hat er eine dauerhafte Beschränkung erfahren, aber er ist nicht
vernichtet worden. Diese Beschränkung ermöglicht ihm den Verzicht darauf, Esau
erneut übervorteilen zu wollen. Es kommt zur Versöhnung.
Zwei
Beobachtungen sind mir noch wichtig:
1. Die Aussöhnung ist gelungen. Aber Jakob drängt
darauf, entgegen Esaus erstem Wunsch, dass die Brüder sich räumlich trennen.
Jeder zieht in seine Richtung, Esau ins Gebirge Seïr, Jakob nach Sukkot. Manchmal ist räumliche Trennung hilfreich,
wenn Versöhnung gelebt werden soll.
2. Am Ende der Geschichte von Jakob und Esau stirbt ihr
Vater Isaak. Knapp notiert die Erzählung: „Esau
und Jakob, seine Söhne, begruben ihn.“ „Esau
und Jakob“ – der Erstgeborene wird wieder an erster Stelle genannt. Das
Machtspiel zwischen den Zwillingen, das schon im Mutterleib begonnen hatte, ist
zum Ende gekommen.
Jakob, der in der
Schlüsselszene des Gotteskampfes am Jabbok gelernt hat, seine Beschränkung
anzunehmen, kann wieder an die zweite Stelle zurücktreten. Die Versöhnung war
wirklich nicht umsonst.
Gott
schreibt auf krummen Linien schön!
Amen.
Lesung
aus Matthäus 5,21-26 in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache:
Jesus
lehrte seine Jüngerinnen und Jünger:
21 Ihr
habt gehört, dass Gott zu früheren Generationen sprach: Du sollst nicht
töten. Wer aber tötet, wird vor Gericht als schuldig gelten. 22 Ich lege
euch das heute so aus: Die das Leben ihrer Geschwister im Zorn beschädigen,
werden vor Gericht als schuldig gelten. Und die ihre Geschwister durch
Herabwürdigung beschädigen, werden in der Ratsversammlung als schuldig gelten.
Und wer ihnen das Lebensrecht abspricht, wird im Gottesgericht als schuldig
gelten. 23Wenn du also im Begriff bist, deine Gabe auf dem Altar darzubringen
und dich dort erinnerst, dass eines deiner Geschwister etwas gegen dich hat, 24
so lass dein Opfer dort vor dem Altar und geh’, vertrage dich erst mit deinem
Bruder oder deiner Schwester, und dann magst du kommen und dein Opfer
darbringen. 25 Einige dich schnell mit Menschen, die dich vor Gericht bringen
wollen, solange du noch mit ihnen auf dem Weg bist, damit sie dich nicht
aburteilen lassen und du dem Gerichtsdiener übergeben wirst und ins Gefängnis
musst. 26 Wahrhaftig, ich sage dir, du wirst von dort nicht freikommen, ehe du
nicht den letzten Rest deiner Schulden bezahlt hast.
Sonntag, 6. September 2015
Birgit Mattausch: Aber der Menschensohn hat nichts. Predigt zu Lukas 9,57-62
Text: Lukas 9,57-62
Und als sie auf dem Weg waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst.
Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.
Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!
Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind.
Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.
Ich will dir folgen, Herr, wohin du gehst
Ich will dir folgen, Herr, wohin du gehst
Ich zieh nur eben andere Schuhe an
Und dann gehen wir
von hier bis ans Meer
Du, ich, die anderen
Über Feldwege und durch Dörfer
Machen Rast unter Birke und Apfelbaum
Und zählen nachts die Sterne
Wir sprechen von Liebe und Traum
Waschen uns im Fluß und haben einander
Ich will dir folgen, Herr
Ich geh fort von Tisch und Bett
Geh weg von Streit und Tod
Und dann laufen wir
Laufen von hier bis ans Meer
Hatices Koffer
Ein Land und eine Grenze und eine Hoffnung und ein Koffer.
Braunes Leder mit Flecken und innen seidengrün.
Was hast du in den einen Koffer gepackt, Valentina, damals?
Und was Du, Hatice?
In den einen Koffer, den ihr mitnehmen konntet?
Ein letztes Mal die Katze füttern.
Der Kuh übers weiche Maul streicheln.
Wer hat euch gewunken, damals?
Wem gabt ihr den Schlüssel eures alten Hauses?
Wo stiegt ihr in den Zug?
Im Koffer vielleicht: ein Foto mit Knick.
An deiner Hand der goldene Ring der Mutter.
Später wirst du ihn tauschen gegen ein Kinderbett.
Aber das weißt du jetzt noch nicht.
Tränen und Schweigen. So viel Schmerz und so viel Mut.
Was hast du in deine Seele gepackt, damals, Valentina?
Und was du, Hatice?
Eure seidengrünen, eure samtroten Seelen.
Den Schatten von Birken, Geschmack von Oliven. Die heimlich gesprochene Sprache, die alten Worte.
Und den Blick der Soldaten an jenem einen Morgen. Der Geruch nach Angst und nach Blut, als du wusstest: du musst gehen.
Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.
Arturs Großvater
Arturs Großvater damals.
Ein kleines Haus. Mit kleinen Zimmern. Mit niedriger Decke.
Dahinter ein Garten.
2 Bäume.
4 Sträucher.
1 Hund
Ein kleiner Junge. Und ein alter Mann.
Ein Knie in einer grauen Hose.
Und zwei Kinderarme klammern sich daran.
Das war eine Stimme: Artur, wir müssen gehen.
Und ein lautes Weinen und ein: Nein. Nein. Nein.
Das war die alte Hand auf dem blonden Jungenskopf.
Und ein Streicheln und ein: Wir werden uns doch wieder sehen.
Und dann war es eine andere Hand und ein klappriges Auto, ein Koffer, ein Zug, eine Grenze, Pässe, ein Arzt.
Später Straßen ohne Müll.
Häuser ohne Hund.
Eine Wohnung, eine Schrankwand, eine Schule, eine Kirche, eine Gang: Bushaltestelle.
Und ein Grab – 5000 Kilometer ostwärts.
Ein Foto davon auf dem Handy: Mein heiliger Ort.
Lass die Toten ihre Toten begraben?
Aber der Menschensohn hat nichts
Das war ein Vogelruf am Morgen und der Geruch von Holz.
Und später war es der Wind vom Meer her und eine Stimme aus den Wolken:
Dies ist mein lieber Sohn. Auf ihn sollt ihr hören.
Und sie ließen die Netze fallen, die Spindeln, Spaten, Teller, Bücher. Und folgten ihm nach.
Wollten sein wie er.
Leben von der Hand in den Mund und von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kam.
Sein Mantel hatte keine Tasche.
Licht war um ihn und Kraft. Und Einsamkeit. Ja. Die auch.
Die Vögel hatten Nester. Und die Füchse hatten Gruben.
Aber er hatte nichts.
Mein Herz will dir folgen, Herr
Ich will dir folgen, Herr. Hab zwar Tisch und Bett, Konto, Kreditkarte, Krankenversicherung, Kühlschrank.
Hab Lohn und Brot und Himmel vorm Fenster und WLAN fast for free.
Und hab doch auch oft nichts, wohin ich mein Haupt legen könnte. Und mein Herz. Und meine Seele.
Ich will dir folgen, Herr.
Und ich will nie vergessen: du heißt auch Artur, heißt Valentina, heißt Hatice.
Und dein Reich beginnt unter Birken, Apfelbäumen.
An Grenzen, Übergängen, Wegkreuzungen.
Es ist eine Handvoll Oliven. Ist Schafgarbe im Wasserglas.
Fremde Sprache. Und ist Neuanfang.
Ich will dir folgen, Herr
ch geh fort von Streit und Tod
Weg von Neid und engen Gedanken
Und dann laufen wir
Laufen von hier bis ans Meer
Du, ich und die anderen
Aus Zeiten, aus Welten
Wir sitzen am Ufer dann
Die Füße im Sand
Den Salzwind im Haar
Unsere Gesichter leuchten
Unsere Träume werden wahr
Der Horizont verschwimmt
Wir säen nicht. Wir ernten nicht. Wir sammeln nicht.
Sitzen nur da.
Und unser himmlischer Vater ernährt uns doch.
Amen.
Und als sie auf dem Weg waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst.
Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.
Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!
Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind.
Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.
Ich will dir folgen, Herr, wohin du gehst
Ich will dir folgen, Herr, wohin du gehst
Ich zieh nur eben andere Schuhe an
Und dann gehen wir
von hier bis ans Meer
Du, ich, die anderen
Über Feldwege und durch Dörfer
Machen Rast unter Birke und Apfelbaum
Und zählen nachts die Sterne
Wir sprechen von Liebe und Traum
Waschen uns im Fluß und haben einander
Ich will dir folgen, Herr
Ich geh fort von Tisch und Bett
Geh weg von Streit und Tod
Und dann laufen wir
Laufen von hier bis ans Meer
Hatices Koffer
Ein Land und eine Grenze und eine Hoffnung und ein Koffer.
Braunes Leder mit Flecken und innen seidengrün.
Was hast du in den einen Koffer gepackt, Valentina, damals?
Und was Du, Hatice?
In den einen Koffer, den ihr mitnehmen konntet?
Ein letztes Mal die Katze füttern.
Der Kuh übers weiche Maul streicheln.
Wer hat euch gewunken, damals?
Wem gabt ihr den Schlüssel eures alten Hauses?
Wo stiegt ihr in den Zug?
Im Koffer vielleicht: ein Foto mit Knick.
An deiner Hand der goldene Ring der Mutter.
Später wirst du ihn tauschen gegen ein Kinderbett.
Aber das weißt du jetzt noch nicht.
Tränen und Schweigen. So viel Schmerz und so viel Mut.
Was hast du in deine Seele gepackt, damals, Valentina?
Und was du, Hatice?
Eure seidengrünen, eure samtroten Seelen.
Den Schatten von Birken, Geschmack von Oliven. Die heimlich gesprochene Sprache, die alten Worte.
Und den Blick der Soldaten an jenem einen Morgen. Der Geruch nach Angst und nach Blut, als du wusstest: du musst gehen.
Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.
Arturs Großvater
Arturs Großvater damals.
Ein kleines Haus. Mit kleinen Zimmern. Mit niedriger Decke.
Dahinter ein Garten.
2 Bäume.
4 Sträucher.
1 Hund
Ein kleiner Junge. Und ein alter Mann.
Ein Knie in einer grauen Hose.
Und zwei Kinderarme klammern sich daran.
Das war eine Stimme: Artur, wir müssen gehen.
Und ein lautes Weinen und ein: Nein. Nein. Nein.
Das war die alte Hand auf dem blonden Jungenskopf.
Und ein Streicheln und ein: Wir werden uns doch wieder sehen.
Und dann war es eine andere Hand und ein klappriges Auto, ein Koffer, ein Zug, eine Grenze, Pässe, ein Arzt.
Später Straßen ohne Müll.
Häuser ohne Hund.
Eine Wohnung, eine Schrankwand, eine Schule, eine Kirche, eine Gang: Bushaltestelle.
Und ein Grab – 5000 Kilometer ostwärts.
Ein Foto davon auf dem Handy: Mein heiliger Ort.
Lass die Toten ihre Toten begraben?
Aber der Menschensohn hat nichts
Das war ein Vogelruf am Morgen und der Geruch von Holz.
Und später war es der Wind vom Meer her und eine Stimme aus den Wolken:
Dies ist mein lieber Sohn. Auf ihn sollt ihr hören.
Und sie ließen die Netze fallen, die Spindeln, Spaten, Teller, Bücher. Und folgten ihm nach.
Wollten sein wie er.
Leben von der Hand in den Mund und von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kam.
Sein Mantel hatte keine Tasche.
Licht war um ihn und Kraft. Und Einsamkeit. Ja. Die auch.
Die Vögel hatten Nester. Und die Füchse hatten Gruben.
Aber er hatte nichts.
Mein Herz will dir folgen, Herr
Ich will dir folgen, Herr. Hab zwar Tisch und Bett, Konto, Kreditkarte, Krankenversicherung, Kühlschrank.
Hab Lohn und Brot und Himmel vorm Fenster und WLAN fast for free.
Und hab doch auch oft nichts, wohin ich mein Haupt legen könnte. Und mein Herz. Und meine Seele.
Ich will dir folgen, Herr.
Und ich will nie vergessen: du heißt auch Artur, heißt Valentina, heißt Hatice.
Und dein Reich beginnt unter Birken, Apfelbäumen.
An Grenzen, Übergängen, Wegkreuzungen.
Es ist eine Handvoll Oliven. Ist Schafgarbe im Wasserglas.
Fremde Sprache. Und ist Neuanfang.
Ich will dir folgen, Herr
ch geh fort von Streit und Tod
Weg von Neid und engen Gedanken
Und dann laufen wir
Laufen von hier bis ans Meer
Du, ich und die anderen
Aus Zeiten, aus Welten
Wir sitzen am Ufer dann
Die Füße im Sand
Den Salzwind im Haar
Unsere Gesichter leuchten
Unsere Träume werden wahr
Der Horizont verschwimmt
Wir säen nicht. Wir ernten nicht. Wir sammeln nicht.
Sitzen nur da.
Und unser himmlischer Vater ernährt uns doch.
Amen.
"Das Menschengeschlecht ist durch Migration zu dem geworden, was es heute ist."
Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler in der NZZ zur Geschichte menschlicher Wanderungsbewegungen:
http://www.nzz.ch/feuilleton/ein-blick-in-die-geschichte-menschlicher-wanderungsbewegungen-1.18607660
http://www.nzz.ch/feuilleton/ein-blick-in-die-geschichte-menschlicher-wanderungsbewegungen-1.18607660
Michael Waldmann: Jonas Flucht vor Gott. Predigt zum Buch Jona
Mein
Predigttext ist heute das Buch Jona. Da es vier Kapitel umfasst, will ich Ihnen
eine Kurzfassung erzählen:
Mitten
im schönen Land Israel sitzt Jona. Eines Tages hört er eine Stimme. Gott sagt
zu ihm: „Jona steh auf. Geh in die große Stadt Ninive. Die Menschen dort sind
so böse, dass ich nicht länger zusehen kann. Sage zu ihnen: Gott wird euch
bestrafen.“ Jona geht – aber nicht nach Ninive. Er läuft weg. Er geht in die
andere Richtung. Er geht ans Meer. Er bezahlt Fahrgeld. Er steigt in ein
Schiff. Das Schiff fährt weit weg. Immer weiter weg von Ninive. Da schickt Gott
einen schweren Sturm. Die Wellen sind hoch. Das Schiff ist in Gefahr. Die
Matrosen haben schreckliche Angst. Sie schreien: „Hilf uns Gott! Lass uns nicht
ertrinken.“ Jona hat nichts gemerkt. Er liegt unten und schläft. Einer der Matrosen
geht hinunter und ruft: „Wach auf Jona. Hilf uns beten, damit Gott uns erhört.“
Jona sagt: „Gott wird mich nicht hören. Ich bin an allem schuld. Ich habe ihm
nicht gehorcht. Darum hat er den Sturm geschickt.“ Jona sagt zu den Matrosen. „Werft
mich ins Meer. Dann hört der Sturm auf.“ Die Matrosen werfen Jona ins Wasser.
Ein großer Fisch verschluckt ihn. Sofort hört der Sturm auf. Der Fisch ist tief
unten im Meer. Jona ist im Bauch des Fisches, drei Tage und drei Nächte lang. Jona
ruft zu Gott: „Hilf mir. Hol mich heraus.“ Gott hört Jonas Gebet. Er hilft ihm.
Der Fisch spuckt Jona ans Ufer. Noch einmal sagt Gott zu Jona: „Geh nach
Ninive. Sage den Leuten dort: Gott wird euch bestrafen.“ Jona geht in die große
Stadt. Er ruft den Menschen zu: „Gott wird eure Stadt zerstören. Ihr tut so viel
Böses. Ihr unterdrückt die Armen. Ihr raubt und mordet. Ihr müsst alle sterben.
Nur noch vierzig Tage.“ Die Leute von Ninive erschrecken. Sie ziehen
Trauerkleider an. Sie sagen: „Wir wollen uns bessern.“ Sie beten zu Gott: „Vergib uns. Es tut uns Leid.“ Gott
hört die Menschen von Ninive. Er sagt: “Ich schenke ihnen das Leben. Ich will
die Stadt nicht zerstören.“ Jona ist sauer und sagt: „Ach Herr, genau das habe
ich vermutet, als ich noch zu Hause war. Darum wollte ich ja auch nach Spanien
fliehen. Ich wusste es doch: Du bist voll Liebe und Erbarmen, du hast Geduld,
deine Güte kennt keine Grenzen.
Das Unheil, das du androhst, tut dir hinterher Leid.“
So sitzt Jona vor der Stadt. Eine Staude gibt ihm Schatten. Jona ist zornig. Er sagt: „Gott muss die Stadt zerstören! Die Menschen waren böse. Gott muss sie bestrafen.“ Gott fragt Jona: „Warum bist du zornig? Hast du Grund dazu? Warum freust du dich nicht?“ Gott lässt die Staude verdorren. Jona sitzt in der heißen Sonne. Jona ist zornig. Er hat keinen Schatten mehr. Gott fragt Jona: „Warum bist du zornig? Hast du Grund dazu?“ Jona sagt: „Mit Recht bin ich zornig. Die Blätter waren so schön.“ Gott sagt: „Dir tun die Blätter Leid. Mir tun die Menschen Leid. Sie sollen nicht sterben. Alle Menschen sind meine Kinder.“
So sitzt Jona vor der Stadt. Eine Staude gibt ihm Schatten. Jona ist zornig. Er sagt: „Gott muss die Stadt zerstören! Die Menschen waren böse. Gott muss sie bestrafen.“ Gott fragt Jona: „Warum bist du zornig? Hast du Grund dazu? Warum freust du dich nicht?“ Gott lässt die Staude verdorren. Jona sitzt in der heißen Sonne. Jona ist zornig. Er hat keinen Schatten mehr. Gott fragt Jona: „Warum bist du zornig? Hast du Grund dazu?“ Jona sagt: „Mit Recht bin ich zornig. Die Blätter waren so schön.“ Gott sagt: „Dir tun die Blätter Leid. Mir tun die Menschen Leid. Sie sollen nicht sterben. Alle Menschen sind meine Kinder.“
Liebe
Gemeinde!
Dieses
kleine Buch unterscheidet sich von allen anderen Prophetenbüchern. Es ist
ausschließlich eine Erzählung: die Geschichte von einem ungehorsamen Propheten,
der sich zuerst seiner Sendung entziehen will und sich dann über den
unerwarteten Erfolg seiner Predigt beklagt. Die Geschichte des ungehorsamen
Propheten ist berühmt geworden durch den großen Fisch, in dessen Bauch er drei
Tage und drei Nächte verbringen muss. Es fällt uns schwer vorzustellen, wie
Jona lebend wieder aus dem Fischmagen herausgekommen ist. Aber es gibt noch
mehr Auffälligkeiten in dieser Geschichte. Da ist die Riesenstadt Ninive, die
so groß geschildert wird, dass man zu Fuß drei Tage braucht, um sie zu
durchqueren. Da ist die erstaunliche Bußfertigkeit ihrer so sprichwörtlich
lasterhaften Bewohner, die ein Gegenstück hat in der überraschenden Frömmigkeit
der Matrosen – die beide den störrischen Gottesboten beschämen, der sich bis
zuletzt gegen Gottes Absichten sperrt. Was immer in Ninive geschehen ist – der
Erzähler macht ein Gleichnis daraus, mit dem er etwas Bestimmtes erzählen will.
Gerade die kleinen oder großen Übertreibungen sollen uns – sozusagen mit der
Nase – darauf stoßen. Es will keine historische Erzählung sein. Das Ganze ist
mit einem unverhüllten Spott erzählt, wie er der Geschichtsschreibung ganz
fremd ist. Das Buch will gefallen und belehren. Es ist eine kunstvolle
Lehrerzählung, die in ihrem Heilsverständnis einen Höhepunkt im Alten Testament
darstellt. Das Büchlein bricht mit einer engherzigen Auslegung der Weissagungen
und sagt, dass selbst die nachdrücklichen Drohungen Ausdruck des barmherzigen
Willens Gottes sind, der nur auf ein Zeichen der Reue wartet, um Vergebung zu
gewähren. Es bricht mit dem Konzept, dass das Heil auf einen kleinen Teil der
Welt beschränkt sei und predigt einen weiten Raum der Gnade Gottes, der alle
Welt umfasst. In dieser Geschichte ist die ganze Welt sympathisch: die
heidnischen Seeleute in Seenot, der König, die Bewohner und selbst die Tiere
Ninives, alle Welt. Gott ist barmherzig mit allen, er ist
sogar nachsichtig mit seinem rebellischen Propheten. Was kann aus dieser
vergnüglichen Geschichte gelernt werden? Wir bemerken es, wenn wir auf die
Hauptfigur blicken: Jona. Müsste er sich nicht freuen über den unerwarteten
Erfolg seiner Bußpredigt? Wenn man seine Geschichte aufmerksam liest, erfährt
man, dass schon seine Flucht am Anfang nicht aus Angst vor der bösen Stadt
erfolgt, nicht aus der Sorge vor eigener Erfolglosigkeit oder der Größe der
Aufgabe. Nein. Er bricht nicht nach Ninive auf und flieht vor seinem Auftrag
und vor Gott, weil er den Bewohnern die Umkehr nicht gönnt: „Ach Herr, genau
das habe ich vermutet, als ich noch zu Hause war. Darum wollte ich ja auch nach
Spanien fliehen. Ich wusste es doch: Du bist voll Liebe und Erbarmen, du hast
Geduld, deine Güte kennt keine
Grenzen. Das Unheil, das du androhst, tut dir hinterher Leid.“ Ist das nicht
widersinnig: Gott seine Güte zum Vorwurf zu machen? Aber wer ist Jona? An wen
richtet sich die humorvoll vorgetragene Moral von der Geschicht‘? Zu allen
Zeiten waren gerade die frommen, Gott treu ergebenen Menschen in der Gefahr aus
ihrer Frömmigkeit einen Anspruch abzuleiten und sich unduldsam abzusondern von
allen, die auf anderen Wegen zu Gott finden. So hat sich Israel gegen das
samaritanische Nachbarvolk abgeschlossen, obwohl es dasselbe Gesetz beachtet
und denselben Gott verehrt hat. Wahrscheinlich ist die Geschichte von Jona
gerade damals geschrieben worden. So haben es später die jüdischen Frommen
nicht verziehen, dass Jesus die Zöllner und Sünder in die Gemeinschaft der
Gotteskinder aufnahm. Ist der ältere Bruder des verlorenen Sohnes nicht ein
zweiter Jona, wenn er sich nicht mitfreuen will? Sind wir vielleicht selber
manchmal in der Gefahr, engherziger zu sein als Gott in seiner unendlichen Güte,
von der wir doch alle leben? Ich fürchte schon. Die Frommen und Gott treu
ergebenen Menschen sind heute nicht so viel anders als damals. Christliche
Gemeinde hat oft den Anspruch, dass Menschen auf die ihre Art und Weise zu Gott
finden sollen. Wo habe ich es schon einmal erlebt, dass die Gemeinde am
heiligen Abend den Gottesdienstbesuchern, die an diesem Abend kommen die
bevorzugten guten Plätze gaben? Wer ist selbst frei von dem Gedanken: wenn ich
schon soviel für Gott und seine Gemeinde aufwende, muss er es mir doch
vergelten. Und wenn nicht? Wenn mich Unglück und Unbill des Lebens trifft. Was
dann?
An
dieser Jonageschichte gefällt mir, dass sie mir für dieses Phänomen einen neuen
Blick schenkt. Wenn ich so mit den Menschen umgehe und mich zurückziehe und
nicht der Gnade Gottes öffne, dann fliehe ich nicht vor den Mitmenschen, nein
ich fliehe vor Gott selbst. Meine Abwendung von denen, die aus meiner Sicht
einen falschen oder gar keinen Weg zum Glauben finden, ist nicht allein eine Abwendung
von Menschen, sondern Flucht vor Gott. Dass ich ihm natürlich nicht entfliehen
kann, weiß ich und sagt mir die Jonageschichte noch einmal deutlich. Aber
versuchen tue ich es ja doch immer wieder. Weglaufen vor Gottes Güte, indem ich
den Menschen entfliehe, fliehe ich vor Gott und seiner Gnade, die ja auch mich
meint. Diese Flucht ist wahrscheinlich nicht weniger dramatisch wie die Flucht
vor Hunger und Verfolgung, die heute viele Menschen unfreiwillig auf sich
nehmen müssen. Sie suchen nach einem besseren Leben, das frei ist von
politischer Verfolgung oder Hunger und Not. Sie suchen Freiheit und die
Möglichkeit sich zu entfalten. Die Zahl dieser Menschen ist erschreckend hoch
auf der Welt, aber nichts Einmaliges in der Geschichte der Menschen. Menschenbewegungen
gab es schon immer in der Geschichte. Schwaben sind in den Osten gezogen, weil
es hier kein Auskommen gab. Zurück kamen sie wieder nach dem zweiten Weltkrieg
auf der Flucht vertrieben als Deutsche in einem fremden Land. Sie wurden hier
aufgenommen und integriert – eine der großen Friedensleistungen unserer
deutschen Geschichte. Denn so blieb Deutschland kein politischer Unruheherd,
sondern konnte sich zum Garanten des Friedens und Wohlstands entwickeln. Danke
an die Generation, die das geleistet hat. Jetzt leisten wir wieder so ein Stück
Friedensgeschichte, wenn wir die Flüchtlinge willkommen heißen, ihnen essen,
Trinken und Obdach geben, das Allernötigste zuerst sie freundlich aufnehmen,
ihnen den Weg zum Arzt zeigen und die deutsche Sprache beibringen. Unser Umgang
mit ihnen soll wieder zum Frieden in unserer Gesellschaft beitragen. Daran
erinnern uns die Wächter, die derzeit an vielen Stellen unserer Stadt als
Holzfiguren des Künstlers Robert König ausgestellt sind. Eine Figur wird in
Nürtingen bleiben und uns erinnern an Flucht und Vertreibung. Erinnern an
Flucht will uns auch das Buch Jona. An unsere Flucht vor Mitmenschen, die
letzten Endes Flucht vor Gott ist, vor seiner Gnade. Wenn wir uns heute mit den
Muslimen und der Religion des Islam so schwer tun, ist es dann solche Flucht
vor Gott. Religion soll Menschen verbinden und nicht trennen. Jede Religion und
jeder Gläubige, der das missachtet, entfernt sich von Gott, egal welcher
Religion er angehört. Wir können deutlich sagen, was wir glauben, um dann
neugierig zu fragen. Sie glauben das anders. Das interessiert mich. So kommt
man miteinander ins Gespräch über die großen Themen des Lebens und ist
miteinander verbunden, nicht weil alle dasselbe glauben, aber weil alle mit
Blick über die Wirklichkeit hinaus den Grund des Lebens erfassen wollen. Und
wir werden feststellen wie faszinierend und bereichernd das sein kann. Der Güte
Gottes können wir überlassen, was er daraus macht.
Wenn
wir heute erleben, dass uns die vielen Immobilien zur Last werden, dann frage
ich mich manchmal, was denn Gott uns damit sagen möchte. Wir haben viele
Kirchen und Gemeindehäuser gebaut und unser Gemeindeleben ganz in Gruppen und
Kreisen der Gemeindehäuser eingerichtet. So haben wir auf den Gemeindeaufbau
gesetzt. Erreicht haben wir nicht das, was wir wollten. Viele sagen wir hatten
gar keine Zeit neben dem Gemeindebau aus Steinen auch auf den Gemeindebau mit
Menschen zu achten. Manche haben den Eindruck, dass wir uns als Kirche hinter
den Mauern der Gebäude zu einer Vereinskirche umgebildet haben, die nicht mehr
dem Befehl Jesu gehorcht: Geht hinaus in alle Welt, sondern umgekehrt die
Menschen aufgefordert hat in die Gemeindehäuser zu kommen – kuschelig warm und
hilfreich, aber nicht Salz der Erde und Licht der Welt. Heute wird in der
Milieudiskussion deutlich wie gefährdet eine Vereinskirche ist, die
signalisiert nur Gleiche sammeln zu wollen. Wir werden weniger. Die Bedeutung
der Kirche schwindet. Vielleicht will Gott uns drei Tage lang in diesem Bauch
des Fisches halten, um uns dann auszuspeien mit dem Auftrag: Legt euch wieder
mehr für die Welt ins Zeug und für alle Menschen egal welcher Religion,
Auffassung und welchen Standes sie
sind. Es geht nicht darum sich selbst etwas Gutes zu tun, sondern glaubwürdig von
der Gnade Gottes zu erzählen. Sie ist so groß wie wir es uns alle nicht
vorstellen können.
So
wird die Geschichte von Jona ganz aktuell in der Frage, wo wir heute hinter der
Gnade Gottes zurück fallen und ob wir nicht selbst viel zu oft auf der Flucht
vor Gott sind. Gott ist barmherzig. Selbst seine nachdrücklichsten Drohungen
sind nichts weiter als Ausdruck seiner Barmherzigkeit mit uns. Und das Beste:
Seine Barmherzigkeit und Gnade gilt auch denen, die immer wider vor ihm
fliehen, weil sie das nicht aushalten. Also Ihnen und mir. Gott sei Dank.
Amen.
Dienstag, 1. September 2015
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