Mein
Predigttext ist heute das Buch Jona. Da es vier Kapitel umfasst, will ich Ihnen
eine Kurzfassung erzählen:
Mitten
im schönen Land Israel sitzt Jona. Eines Tages hört er eine Stimme. Gott sagt
zu ihm: „Jona steh auf. Geh in die große Stadt Ninive. Die Menschen dort sind
so böse, dass ich nicht länger zusehen kann. Sage zu ihnen: Gott wird euch
bestrafen.“ Jona geht – aber nicht nach Ninive. Er läuft weg. Er geht in die
andere Richtung. Er geht ans Meer. Er bezahlt Fahrgeld. Er steigt in ein
Schiff. Das Schiff fährt weit weg. Immer weiter weg von Ninive. Da schickt Gott
einen schweren Sturm. Die Wellen sind hoch. Das Schiff ist in Gefahr. Die
Matrosen haben schreckliche Angst. Sie schreien: „Hilf uns Gott! Lass uns nicht
ertrinken.“ Jona hat nichts gemerkt. Er liegt unten und schläft. Einer der Matrosen
geht hinunter und ruft: „Wach auf Jona. Hilf uns beten, damit Gott uns erhört.“
Jona sagt: „Gott wird mich nicht hören. Ich bin an allem schuld. Ich habe ihm
nicht gehorcht. Darum hat er den Sturm geschickt.“ Jona sagt zu den Matrosen. „Werft
mich ins Meer. Dann hört der Sturm auf.“ Die Matrosen werfen Jona ins Wasser.
Ein großer Fisch verschluckt ihn. Sofort hört der Sturm auf. Der Fisch ist tief
unten im Meer. Jona ist im Bauch des Fisches, drei Tage und drei Nächte lang. Jona
ruft zu Gott: „Hilf mir. Hol mich heraus.“ Gott hört Jonas Gebet. Er hilft ihm.
Der Fisch spuckt Jona ans Ufer. Noch einmal sagt Gott zu Jona: „Geh nach
Ninive. Sage den Leuten dort: Gott wird euch bestrafen.“ Jona geht in die große
Stadt. Er ruft den Menschen zu: „Gott wird eure Stadt zerstören. Ihr tut so viel
Böses. Ihr unterdrückt die Armen. Ihr raubt und mordet. Ihr müsst alle sterben.
Nur noch vierzig Tage.“ Die Leute von Ninive erschrecken. Sie ziehen
Trauerkleider an. Sie sagen: „Wir wollen uns bessern.“ Sie beten zu Gott: „Vergib uns. Es tut uns Leid.“ Gott
hört die Menschen von Ninive. Er sagt: “Ich schenke ihnen das Leben. Ich will
die Stadt nicht zerstören.“ Jona ist sauer und sagt: „Ach Herr, genau das habe
ich vermutet, als ich noch zu Hause war. Darum wollte ich ja auch nach Spanien
fliehen. Ich wusste es doch: Du bist voll Liebe und Erbarmen, du hast Geduld,
deine Güte kennt keine Grenzen.
Das Unheil, das du androhst, tut dir hinterher Leid.“
So sitzt Jona vor der Stadt. Eine Staude gibt ihm Schatten. Jona ist zornig. Er sagt: „Gott muss die Stadt zerstören! Die Menschen waren böse. Gott muss sie bestrafen.“ Gott fragt Jona: „Warum bist du zornig? Hast du Grund dazu? Warum freust du dich nicht?“ Gott lässt die Staude verdorren. Jona sitzt in der heißen Sonne. Jona ist zornig. Er hat keinen Schatten mehr. Gott fragt Jona: „Warum bist du zornig? Hast du Grund dazu?“ Jona sagt: „Mit Recht bin ich zornig. Die Blätter waren so schön.“ Gott sagt: „Dir tun die Blätter Leid. Mir tun die Menschen Leid. Sie sollen nicht sterben. Alle Menschen sind meine Kinder.“
So sitzt Jona vor der Stadt. Eine Staude gibt ihm Schatten. Jona ist zornig. Er sagt: „Gott muss die Stadt zerstören! Die Menschen waren böse. Gott muss sie bestrafen.“ Gott fragt Jona: „Warum bist du zornig? Hast du Grund dazu? Warum freust du dich nicht?“ Gott lässt die Staude verdorren. Jona sitzt in der heißen Sonne. Jona ist zornig. Er hat keinen Schatten mehr. Gott fragt Jona: „Warum bist du zornig? Hast du Grund dazu?“ Jona sagt: „Mit Recht bin ich zornig. Die Blätter waren so schön.“ Gott sagt: „Dir tun die Blätter Leid. Mir tun die Menschen Leid. Sie sollen nicht sterben. Alle Menschen sind meine Kinder.“
Liebe
Gemeinde!
Dieses
kleine Buch unterscheidet sich von allen anderen Prophetenbüchern. Es ist
ausschließlich eine Erzählung: die Geschichte von einem ungehorsamen Propheten,
der sich zuerst seiner Sendung entziehen will und sich dann über den
unerwarteten Erfolg seiner Predigt beklagt. Die Geschichte des ungehorsamen
Propheten ist berühmt geworden durch den großen Fisch, in dessen Bauch er drei
Tage und drei Nächte verbringen muss. Es fällt uns schwer vorzustellen, wie
Jona lebend wieder aus dem Fischmagen herausgekommen ist. Aber es gibt noch
mehr Auffälligkeiten in dieser Geschichte. Da ist die Riesenstadt Ninive, die
so groß geschildert wird, dass man zu Fuß drei Tage braucht, um sie zu
durchqueren. Da ist die erstaunliche Bußfertigkeit ihrer so sprichwörtlich
lasterhaften Bewohner, die ein Gegenstück hat in der überraschenden Frömmigkeit
der Matrosen – die beide den störrischen Gottesboten beschämen, der sich bis
zuletzt gegen Gottes Absichten sperrt. Was immer in Ninive geschehen ist – der
Erzähler macht ein Gleichnis daraus, mit dem er etwas Bestimmtes erzählen will.
Gerade die kleinen oder großen Übertreibungen sollen uns – sozusagen mit der
Nase – darauf stoßen. Es will keine historische Erzählung sein. Das Ganze ist
mit einem unverhüllten Spott erzählt, wie er der Geschichtsschreibung ganz
fremd ist. Das Buch will gefallen und belehren. Es ist eine kunstvolle
Lehrerzählung, die in ihrem Heilsverständnis einen Höhepunkt im Alten Testament
darstellt. Das Büchlein bricht mit einer engherzigen Auslegung der Weissagungen
und sagt, dass selbst die nachdrücklichen Drohungen Ausdruck des barmherzigen
Willens Gottes sind, der nur auf ein Zeichen der Reue wartet, um Vergebung zu
gewähren. Es bricht mit dem Konzept, dass das Heil auf einen kleinen Teil der
Welt beschränkt sei und predigt einen weiten Raum der Gnade Gottes, der alle
Welt umfasst. In dieser Geschichte ist die ganze Welt sympathisch: die
heidnischen Seeleute in Seenot, der König, die Bewohner und selbst die Tiere
Ninives, alle Welt. Gott ist barmherzig mit allen, er ist
sogar nachsichtig mit seinem rebellischen Propheten. Was kann aus dieser
vergnüglichen Geschichte gelernt werden? Wir bemerken es, wenn wir auf die
Hauptfigur blicken: Jona. Müsste er sich nicht freuen über den unerwarteten
Erfolg seiner Bußpredigt? Wenn man seine Geschichte aufmerksam liest, erfährt
man, dass schon seine Flucht am Anfang nicht aus Angst vor der bösen Stadt
erfolgt, nicht aus der Sorge vor eigener Erfolglosigkeit oder der Größe der
Aufgabe. Nein. Er bricht nicht nach Ninive auf und flieht vor seinem Auftrag
und vor Gott, weil er den Bewohnern die Umkehr nicht gönnt: „Ach Herr, genau
das habe ich vermutet, als ich noch zu Hause war. Darum wollte ich ja auch nach
Spanien fliehen. Ich wusste es doch: Du bist voll Liebe und Erbarmen, du hast
Geduld, deine Güte kennt keine
Grenzen. Das Unheil, das du androhst, tut dir hinterher Leid.“ Ist das nicht
widersinnig: Gott seine Güte zum Vorwurf zu machen? Aber wer ist Jona? An wen
richtet sich die humorvoll vorgetragene Moral von der Geschicht‘? Zu allen
Zeiten waren gerade die frommen, Gott treu ergebenen Menschen in der Gefahr aus
ihrer Frömmigkeit einen Anspruch abzuleiten und sich unduldsam abzusondern von
allen, die auf anderen Wegen zu Gott finden. So hat sich Israel gegen das
samaritanische Nachbarvolk abgeschlossen, obwohl es dasselbe Gesetz beachtet
und denselben Gott verehrt hat. Wahrscheinlich ist die Geschichte von Jona
gerade damals geschrieben worden. So haben es später die jüdischen Frommen
nicht verziehen, dass Jesus die Zöllner und Sünder in die Gemeinschaft der
Gotteskinder aufnahm. Ist der ältere Bruder des verlorenen Sohnes nicht ein
zweiter Jona, wenn er sich nicht mitfreuen will? Sind wir vielleicht selber
manchmal in der Gefahr, engherziger zu sein als Gott in seiner unendlichen Güte,
von der wir doch alle leben? Ich fürchte schon. Die Frommen und Gott treu
ergebenen Menschen sind heute nicht so viel anders als damals. Christliche
Gemeinde hat oft den Anspruch, dass Menschen auf die ihre Art und Weise zu Gott
finden sollen. Wo habe ich es schon einmal erlebt, dass die Gemeinde am
heiligen Abend den Gottesdienstbesuchern, die an diesem Abend kommen die
bevorzugten guten Plätze gaben? Wer ist selbst frei von dem Gedanken: wenn ich
schon soviel für Gott und seine Gemeinde aufwende, muss er es mir doch
vergelten. Und wenn nicht? Wenn mich Unglück und Unbill des Lebens trifft. Was
dann?
An
dieser Jonageschichte gefällt mir, dass sie mir für dieses Phänomen einen neuen
Blick schenkt. Wenn ich so mit den Menschen umgehe und mich zurückziehe und
nicht der Gnade Gottes öffne, dann fliehe ich nicht vor den Mitmenschen, nein
ich fliehe vor Gott selbst. Meine Abwendung von denen, die aus meiner Sicht
einen falschen oder gar keinen Weg zum Glauben finden, ist nicht allein eine Abwendung
von Menschen, sondern Flucht vor Gott. Dass ich ihm natürlich nicht entfliehen
kann, weiß ich und sagt mir die Jonageschichte noch einmal deutlich. Aber
versuchen tue ich es ja doch immer wieder. Weglaufen vor Gottes Güte, indem ich
den Menschen entfliehe, fliehe ich vor Gott und seiner Gnade, die ja auch mich
meint. Diese Flucht ist wahrscheinlich nicht weniger dramatisch wie die Flucht
vor Hunger und Verfolgung, die heute viele Menschen unfreiwillig auf sich
nehmen müssen. Sie suchen nach einem besseren Leben, das frei ist von
politischer Verfolgung oder Hunger und Not. Sie suchen Freiheit und die
Möglichkeit sich zu entfalten. Die Zahl dieser Menschen ist erschreckend hoch
auf der Welt, aber nichts Einmaliges in der Geschichte der Menschen. Menschenbewegungen
gab es schon immer in der Geschichte. Schwaben sind in den Osten gezogen, weil
es hier kein Auskommen gab. Zurück kamen sie wieder nach dem zweiten Weltkrieg
auf der Flucht vertrieben als Deutsche in einem fremden Land. Sie wurden hier
aufgenommen und integriert – eine der großen Friedensleistungen unserer
deutschen Geschichte. Denn so blieb Deutschland kein politischer Unruheherd,
sondern konnte sich zum Garanten des Friedens und Wohlstands entwickeln. Danke
an die Generation, die das geleistet hat. Jetzt leisten wir wieder so ein Stück
Friedensgeschichte, wenn wir die Flüchtlinge willkommen heißen, ihnen essen,
Trinken und Obdach geben, das Allernötigste zuerst sie freundlich aufnehmen,
ihnen den Weg zum Arzt zeigen und die deutsche Sprache beibringen. Unser Umgang
mit ihnen soll wieder zum Frieden in unserer Gesellschaft beitragen. Daran
erinnern uns die Wächter, die derzeit an vielen Stellen unserer Stadt als
Holzfiguren des Künstlers Robert König ausgestellt sind. Eine Figur wird in
Nürtingen bleiben und uns erinnern an Flucht und Vertreibung. Erinnern an
Flucht will uns auch das Buch Jona. An unsere Flucht vor Mitmenschen, die
letzten Endes Flucht vor Gott ist, vor seiner Gnade. Wenn wir uns heute mit den
Muslimen und der Religion des Islam so schwer tun, ist es dann solche Flucht
vor Gott. Religion soll Menschen verbinden und nicht trennen. Jede Religion und
jeder Gläubige, der das missachtet, entfernt sich von Gott, egal welcher
Religion er angehört. Wir können deutlich sagen, was wir glauben, um dann
neugierig zu fragen. Sie glauben das anders. Das interessiert mich. So kommt
man miteinander ins Gespräch über die großen Themen des Lebens und ist
miteinander verbunden, nicht weil alle dasselbe glauben, aber weil alle mit
Blick über die Wirklichkeit hinaus den Grund des Lebens erfassen wollen. Und
wir werden feststellen wie faszinierend und bereichernd das sein kann. Der Güte
Gottes können wir überlassen, was er daraus macht.
Wenn
wir heute erleben, dass uns die vielen Immobilien zur Last werden, dann frage
ich mich manchmal, was denn Gott uns damit sagen möchte. Wir haben viele
Kirchen und Gemeindehäuser gebaut und unser Gemeindeleben ganz in Gruppen und
Kreisen der Gemeindehäuser eingerichtet. So haben wir auf den Gemeindeaufbau
gesetzt. Erreicht haben wir nicht das, was wir wollten. Viele sagen wir hatten
gar keine Zeit neben dem Gemeindebau aus Steinen auch auf den Gemeindebau mit
Menschen zu achten. Manche haben den Eindruck, dass wir uns als Kirche hinter
den Mauern der Gebäude zu einer Vereinskirche umgebildet haben, die nicht mehr
dem Befehl Jesu gehorcht: Geht hinaus in alle Welt, sondern umgekehrt die
Menschen aufgefordert hat in die Gemeindehäuser zu kommen – kuschelig warm und
hilfreich, aber nicht Salz der Erde und Licht der Welt. Heute wird in der
Milieudiskussion deutlich wie gefährdet eine Vereinskirche ist, die
signalisiert nur Gleiche sammeln zu wollen. Wir werden weniger. Die Bedeutung
der Kirche schwindet. Vielleicht will Gott uns drei Tage lang in diesem Bauch
des Fisches halten, um uns dann auszuspeien mit dem Auftrag: Legt euch wieder
mehr für die Welt ins Zeug und für alle Menschen egal welcher Religion,
Auffassung und welchen Standes sie
sind. Es geht nicht darum sich selbst etwas Gutes zu tun, sondern glaubwürdig von
der Gnade Gottes zu erzählen. Sie ist so groß wie wir es uns alle nicht
vorstellen können.
So
wird die Geschichte von Jona ganz aktuell in der Frage, wo wir heute hinter der
Gnade Gottes zurück fallen und ob wir nicht selbst viel zu oft auf der Flucht
vor Gott sind. Gott ist barmherzig. Selbst seine nachdrücklichsten Drohungen
sind nichts weiter als Ausdruck seiner Barmherzigkeit mit uns. Und das Beste:
Seine Barmherzigkeit und Gnade gilt auch denen, die immer wider vor ihm
fliehen, weil sie das nicht aushalten. Also Ihnen und mir. Gott sei Dank.
Amen.
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