Sonntag, 6. September 2015

Michael Waldmann: Jonas Flucht vor Gott. Predigt zum Buch Jona

Mein Predigttext ist heute das Buch Jona. Da es vier Kapitel umfasst, will ich Ihnen eine Kurzfassung erzählen:
Mitten im schönen Land Israel sitzt Jona. Eines Tages hört er eine Stimme. Gott sagt zu ihm: „Jona steh auf. Geh in die große Stadt Ninive. Die Menschen dort sind so böse, dass ich nicht länger zusehen kann. Sage zu ihnen: Gott wird euch bestrafen.“ Jona geht – aber nicht nach Ninive. Er läuft weg. Er geht in die andere Richtung. Er geht ans Meer. Er bezahlt Fahrgeld. Er steigt in ein Schiff. Das Schiff fährt weit weg. Immer weiter weg von Ninive. Da schickt Gott einen schweren Sturm. Die Wellen sind hoch. Das Schiff ist in Gefahr. Die Matrosen haben schreckliche Angst. Sie schreien: „Hilf uns Gott! Lass uns nicht ertrinken.“ Jona hat nichts gemerkt. Er liegt unten und schläft. Einer der Matrosen geht hinunter und ruft: „Wach auf Jona. Hilf uns beten, damit Gott uns erhört.“ Jona sagt: „Gott wird mich nicht hören. Ich bin an allem schuld. Ich habe ihm nicht gehorcht. Darum hat er den Sturm geschickt.“ Jona sagt zu den Matrosen. „Werft mich ins Meer. Dann hört der Sturm auf.“ Die Matrosen werfen Jona ins Wasser. Ein großer Fisch verschluckt ihn. Sofort hört der Sturm auf. Der Fisch ist tief unten im Meer. Jona ist im Bauch des Fisches, drei Tage und drei Nächte lang. Jona ruft zu Gott: „Hilf mir. Hol mich heraus.“ Gott hört Jonas Gebet. Er hilft ihm. Der Fisch spuckt Jona ans Ufer. Noch einmal sagt Gott zu Jona: „Geh nach Ninive. Sage den Leuten dort: Gott wird euch bestrafen.“ Jona geht in die große Stadt. Er ruft den Menschen zu: „Gott wird eure Stadt zerstören. Ihr tut so viel Böses. Ihr unterdrückt die Armen. Ihr raubt und mordet. Ihr müsst alle sterben. Nur noch vierzig Tage.“ Die Leute von Ninive erschrecken. Sie ziehen Trauerkleider an. Sie sagen: „Wir wollen uns bessern.“ Sie beten zu Gott:  „Vergib uns. Es tut uns Leid.“ Gott hört die Menschen von Ninive. Er sagt: “Ich schenke ihnen das Leben. Ich will die Stadt nicht zerstören.“ Jona ist sauer und sagt: „Ach Herr, genau das habe ich vermutet, als ich noch zu Hause war. Darum wollte ich ja auch nach Spanien fliehen. Ich wusste es doch: Du bist voll Liebe und Erbarmen, du hast Geduld, deine Güte kennt  keine Grenzen. Das Unheil, das du androhst, tut dir hinterher Leid.“
So sitzt Jona  vor der Stadt. Eine Staude gibt ihm Schatten. Jona ist zornig. Er sagt: „Gott muss die Stadt zerstören! Die Menschen waren böse. Gott muss sie bestrafen.“ Gott fragt Jona: „Warum bist du zornig? Hast du Grund dazu? Warum freust du dich nicht?“ Gott lässt die Staude verdorren. Jona sitzt in der heißen Sonne. Jona ist zornig. Er hat keinen Schatten mehr. Gott fragt Jona: „Warum bist du zornig? Hast du Grund dazu?“ Jona sagt: „Mit Recht bin ich zornig. Die Blätter waren so schön.“ Gott sagt: „Dir tun die Blätter Leid. Mir tun die Menschen Leid. Sie sollen nicht sterben. Alle Menschen sind meine Kinder.“

Liebe Gemeinde!
Dieses kleine Buch unterscheidet sich von allen anderen Prophetenbüchern. Es ist ausschließlich eine Erzählung: die Geschichte von einem ungehorsamen Propheten, der sich zuerst seiner Sendung entziehen will und sich dann über den unerwarteten Erfolg seiner Predigt beklagt. Die Geschichte des ungehorsamen Propheten ist berühmt geworden durch den großen Fisch, in dessen Bauch er drei Tage und drei Nächte verbringen muss. Es fällt uns schwer vorzustellen, wie Jona lebend wieder aus dem Fischmagen herausgekommen ist. Aber es gibt noch mehr Auffälligkeiten in dieser Geschichte. Da ist die Riesenstadt Ninive, die so groß geschildert wird, dass man zu Fuß drei Tage braucht, um sie zu durchqueren. Da ist die erstaunliche Bußfertigkeit ihrer so sprichwörtlich lasterhaften Bewohner, die ein Gegenstück hat in der überraschenden Frömmigkeit der Matrosen – die beide den störrischen Gottesboten beschämen, der sich bis zuletzt gegen Gottes Absichten sperrt. Was immer in Ninive geschehen ist – der Erzähler macht ein Gleichnis daraus, mit dem er etwas Bestimmtes erzählen will. Gerade die kleinen oder großen Übertreibungen sollen uns – sozusagen mit der Nase – darauf stoßen. Es will keine historische Erzählung sein. Das Ganze ist mit einem unverhüllten Spott erzählt, wie er der Geschichtsschreibung ganz fremd ist. Das Buch will gefallen und belehren. Es ist eine kunstvolle Lehrerzählung, die in ihrem Heilsverständnis einen Höhepunkt im Alten Testament darstellt. Das Büchlein bricht mit einer engherzigen Auslegung der Weissagungen und sagt, dass selbst die nachdrücklichen Drohungen Ausdruck des barmherzigen Willens Gottes sind, der nur auf ein Zeichen der Reue wartet, um Vergebung zu gewähren. Es bricht mit dem Konzept, dass das Heil auf einen kleinen Teil der Welt beschränkt sei und predigt einen weiten Raum der Gnade Gottes, der alle Welt umfasst. In dieser Geschichte ist die ganze Welt sympathisch: die heidnischen Seeleute in Seenot, der König, die Bewohner und selbst die Tiere Ninives, alle Welt. Gott ist barmherzig mit allen, er ist sogar nachsichtig mit seinem rebellischen Propheten. Was kann aus dieser vergnüglichen Geschichte gelernt werden? Wir bemerken es, wenn wir auf die Hauptfigur blicken: Jona. Müsste er sich nicht freuen über den unerwarteten Erfolg seiner Bußpredigt? Wenn man seine Geschichte aufmerksam liest, erfährt man, dass schon seine Flucht am Anfang nicht aus Angst vor der bösen Stadt erfolgt, nicht aus der Sorge vor eigener Erfolglosigkeit oder der Größe der Aufgabe. Nein. Er bricht nicht nach Ninive auf und flieht vor seinem Auftrag und vor Gott, weil er den Bewohnern die Umkehr nicht gönnt: „Ach Herr, genau das habe ich vermutet, als ich noch zu Hause war. Darum wollte ich ja auch nach Spanien fliehen. Ich wusste es doch: Du bist voll Liebe und Erbarmen, du hast Geduld, deine Güte kennt  keine Grenzen. Das Unheil, das du androhst, tut dir hinterher Leid.“ Ist das nicht widersinnig: Gott seine Güte zum Vorwurf zu machen? Aber wer ist Jona? An wen richtet sich die humorvoll vorgetragene Moral von der Geschicht‘? Zu allen Zeiten waren gerade die frommen, Gott treu ergebenen Menschen in der Gefahr aus ihrer Frömmigkeit einen Anspruch abzuleiten und sich unduldsam abzusondern von allen, die auf anderen Wegen zu Gott finden. So hat sich Israel gegen das samaritanische Nachbarvolk abgeschlossen, obwohl es dasselbe Gesetz beachtet und denselben Gott verehrt hat. Wahrscheinlich ist die Geschichte von Jona gerade damals geschrieben worden. So haben es später die jüdischen Frommen nicht verziehen, dass Jesus die Zöllner und Sünder in die Gemeinschaft der Gotteskinder aufnahm. Ist der ältere Bruder des verlorenen Sohnes nicht ein zweiter Jona, wenn er sich nicht mitfreuen will? Sind wir vielleicht selber manchmal in der Gefahr, engherziger zu sein als Gott in seiner unendlichen Güte, von der wir doch alle leben? Ich fürchte schon. Die Frommen und Gott treu ergebenen Menschen sind heute nicht so viel anders als damals. Christliche Gemeinde hat oft den Anspruch, dass Menschen auf die ihre Art und Weise zu Gott finden sollen. Wo habe ich es schon einmal erlebt, dass die Gemeinde am heiligen Abend den Gottesdienstbesuchern, die an diesem Abend kommen die bevorzugten guten Plätze gaben? Wer ist selbst frei von dem Gedanken: wenn ich schon soviel für Gott und seine Gemeinde aufwende, muss er es mir doch vergelten. Und wenn nicht? Wenn mich Unglück und Unbill des Lebens trifft. Was dann?
An dieser Jonageschichte gefällt mir, dass sie mir für dieses Phänomen einen neuen Blick schenkt. Wenn ich so mit den Menschen umgehe und mich zurückziehe und nicht der Gnade Gottes öffne, dann fliehe ich nicht vor den Mitmenschen, nein ich fliehe vor Gott selbst. Meine Abwendung von denen, die aus meiner Sicht einen falschen oder gar keinen Weg zum Glauben finden, ist nicht allein eine Abwendung von Menschen, sondern Flucht vor Gott. Dass ich ihm natürlich nicht entfliehen kann, weiß ich und sagt mir die Jonageschichte noch einmal deutlich. Aber versuchen tue ich es ja doch immer wieder. Weglaufen vor Gottes Güte, indem ich den Menschen entfliehe, fliehe ich vor Gott und seiner Gnade, die ja auch mich meint. Diese Flucht ist wahrscheinlich nicht weniger dramatisch wie die Flucht vor Hunger und Verfolgung, die heute viele Menschen unfreiwillig auf sich nehmen müssen. Sie suchen nach einem besseren Leben, das frei ist von politischer Verfolgung oder Hunger und Not. Sie suchen Freiheit und die Möglichkeit sich zu entfalten. Die Zahl dieser Menschen ist erschreckend hoch auf der Welt, aber nichts Einmaliges in der Geschichte der Menschen. Menschenbewegungen gab es schon immer in der Geschichte. Schwaben sind in den Osten gezogen, weil es hier kein Auskommen gab. Zurück kamen sie wieder nach dem zweiten Weltkrieg auf der Flucht vertrieben als Deutsche in einem fremden Land. Sie wurden hier aufgenommen und integriert – eine der großen Friedensleistungen unserer deutschen Geschichte. Denn so blieb Deutschland kein politischer Unruheherd, sondern konnte sich zum Garanten des Friedens und Wohlstands entwickeln. Danke an die Generation, die das geleistet hat. Jetzt leisten wir wieder so ein Stück Friedensgeschichte, wenn wir die Flüchtlinge willkommen heißen, ihnen essen, Trinken und Obdach geben, das Allernötigste zuerst sie freundlich aufnehmen, ihnen den Weg zum Arzt zeigen und die deutsche Sprache beibringen. Unser Umgang mit ihnen soll wieder zum Frieden in unserer Gesellschaft beitragen. Daran erinnern uns die Wächter, die derzeit an vielen Stellen unserer Stadt als Holzfiguren des Künstlers Robert König ausgestellt sind. Eine Figur wird in Nürtingen bleiben und uns erinnern an Flucht und Vertreibung. Erinnern an Flucht will uns auch das Buch Jona. An unsere Flucht vor Mitmenschen, die letzten Endes Flucht vor Gott ist, vor seiner Gnade. Wenn wir uns heute mit den Muslimen und der Religion des Islam so schwer tun, ist es dann solche Flucht vor Gott. Religion soll Menschen verbinden und nicht trennen. Jede Religion und jeder Gläubige, der das missachtet, entfernt sich von Gott, egal welcher Religion er angehört. Wir können deutlich sagen, was wir glauben, um dann neugierig zu fragen. Sie glauben das anders. Das interessiert mich. So kommt man miteinander ins Gespräch über die großen Themen des Lebens und ist miteinander verbunden, nicht weil alle dasselbe glauben, aber weil alle mit Blick über die Wirklichkeit hinaus den Grund des Lebens erfassen wollen. Und wir werden feststellen wie faszinierend und bereichernd das sein kann. Der Güte Gottes können wir überlassen, was er daraus macht.
Wenn wir heute erleben, dass uns die vielen Immobilien zur Last werden, dann frage ich mich manchmal, was denn Gott uns damit sagen möchte. Wir haben viele Kirchen und Gemeindehäuser gebaut und unser Gemeindeleben ganz in Gruppen und Kreisen der Gemeindehäuser eingerichtet. So haben wir auf den Gemeindeaufbau gesetzt. Erreicht haben wir nicht das, was wir wollten. Viele sagen wir hatten gar keine Zeit neben dem Gemeindebau aus Steinen auch auf den Gemeindebau mit Menschen zu achten. Manche haben den Eindruck, dass wir uns als Kirche hinter den Mauern der Gebäude zu einer Vereinskirche umgebildet haben, die nicht mehr dem Befehl Jesu gehorcht: Geht hinaus in alle Welt, sondern umgekehrt die Menschen aufgefordert hat in die Gemeindehäuser zu kommen – kuschelig warm und hilfreich, aber nicht Salz der Erde und Licht der Welt. Heute wird in der Milieudiskussion deutlich wie gefährdet eine Vereinskirche ist, die signalisiert nur Gleiche sammeln zu wollen. Wir werden weniger. Die Bedeutung der Kirche schwindet. Vielleicht will Gott uns drei Tage lang in diesem Bauch des Fisches halten, um uns dann auszuspeien mit dem Auftrag: Legt euch wieder mehr für die Welt ins Zeug und für alle Menschen egal welcher Religion, Auffassung  und welchen Standes sie sind. Es geht nicht darum sich selbst etwas Gutes zu tun, sondern glaubwürdig von der Gnade Gottes zu erzählen. Sie ist so groß wie wir es uns alle nicht vorstellen können.
So wird die Geschichte von Jona ganz aktuell in der Frage, wo wir heute hinter der Gnade Gottes zurück fallen und ob wir nicht selbst viel zu oft auf der Flucht vor Gott sind. Gott ist barmherzig. Selbst seine nachdrücklichsten Drohungen sind nichts weiter als Ausdruck seiner Barmherzigkeit mit uns. Und das Beste: Seine Barmherzigkeit und Gnade gilt auch denen, die immer wider vor ihm fliehen, weil sie das nicht aushalten. Also Ihnen und mir. Gott sei Dank.
Amen.

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