Freitag, 23. September 2016

Prädikantin Barbara Birk-Häcker: Aufstieg in der Erbfolge - 4.Mose 27, 1-11

1 Und die Töchter Zelofhads, des Sohnes Hefers, des Sohnes Gileads, des Sohnes Machirs, des Sohnes Manasses, von den Geschlechtern Manasses, des Sohnes Josefs, mit Namen Machla, Noa, Hogla, Milka und Tirza kamen herzu 2 und traten vor Mose und vor Eleasar, den Priester, und vor die Stammesfürsten und die ganze Gemeinde vor der Tür der Stiftshütte und sprachen: 3 Unser Vater ist gestorben in der Wüste und war nicht mit unter der Rotte, die sich gegen den HERRN empörte, unter der Rotte Korach, sondern ist um seiner eigenen Sünde willen gestorben und hatte keine Söhne. 4 Warum soll denn unseres Vaters Name in seinem Geschlecht untergehen, weil er keinen Sohn hat? Gebt uns auch ein Erbgut unter den Brüdern unseres Vaters. 5 Mose brachte ihre Sache vor den HERRN. 6 Und der HERR sprach zu ihm: 7 Die Töchter Zelofhads haben recht geredet. Du sollst ihnen ein Erbgut unter den Brüdern ihres Vaters geben und sollst ihres Vaters Erbe ihnen zuwenden. 8 Und sage den Israeliten: Wenn jemand stirbt und keinen Sohn hat, so sollt ihr sein Erbe seiner Tochter zuwenden. 9 Hat er keine Tochter, sollt ihr's seinen Brüdern geben. 10 Hat er keine Brüder, sollt ihr's den Brüdern seines Vaters geben. 11 Hat sein Vater keine Brüder, sollt ihr's seinen nächsten Verwandten geben, die ihm angehören in seinem Geschlecht, damit sie es in Besitz nehmen. Das soll den Israeliten Gesetz und Recht sein, wie der HERR dem Mose geboten hat.  

Dies ist ein Text, der nicht in der württembergischen Perikopenordnung vorgesehen ist. Ist er Ihnen schon einmal begegnet beim eigenen Bibelstudium ? Oder vielleicht beim Weltgebetstag der Frauen 2004?
Obwohl ich auch als 5. Tochter meiner Eltern geboren wurde und keinen Bruder habe, muss ich gestehen, mir waren Zelofhads Töchter und die Sache mit dem Erbrecht des Volkes Israel neu. Als meine Eltern starben, war es selbstverständlich, dass das Erbe unter uns 5 Töchtern gerecht aufgeteilt wurde, und auch den Geburtsnamen kann eine Frau heute ohne weiteres an ihre Nachkommen vererben. Aber damals – damals musste man schon sehr mutig sein, um gleiche Rechte für Frauen einzufordern Fünf Frauen machen sich auf den Weg.

Schwestern sind sie, aufgewachsen in derselben Familie. Ob sie die Enttäuschung der Eltern zu spüren bekamen, dass sie „nur“ Mädchen sind?


Ganz sicher haben sich Eltern auch damals über die Geburt eines jeden Kindes gefreut. Über einen neu geborenen Sohn freute sich die Familie riesig. Er, der Stammhalter und Versorger der Eltern im Alter, wurde als großes Glück und Segen empfunden. Die Geburt eines kleinen Mädchens war auch schön, aber nicht zu vergleichen mit der eines Jungen. Bedenken sie, ein Mädchen wird vielleicht schon mit 12, 13 oder 14 Jahren die Familie verlassen und mit einem jungen Mann einer anderen Familie verheiratet werden. Sie wird sozusagen in den Besitz eines anderen übergehen, deshalb hält sich die Freude bei der Geburt eines kleinen Mädchens in Grenzen.

Nichts erfahren wir über die Mutter der Frauen. Wertschätzend sprechen sie von ihrem Vater. Er ist gestorben in der Wüste. Offenbar hat er den Strapazen der langen Wüstenwanderung nicht standgehalten, Hitze und Dürre, Entsagung und Durststrecken nicht ausgehalten. Er gehörte nicht zu denen, die sich gegen Gottes Wegführung empört haben. Er hat sich nicht aufgebäumt und gemeutert gegen Mose und Aaron, er ist nicht angestürmt gegen Gott, er hat nicht sein Lebensziel verfehlt in Vergehen und Schuld.
Dennoch bedeutet sein Sterben ohne männlichen Nachkommen nach gängigem Recht, dass sein Name ausgelöscht wird. Nichts wird künftig mehr an ihn erinnern. Seine Familie wird keinen Anteil am gelobten Land erhalten. Sie verschwindet im Nichts, obwohl fünf Frauen da sind, die leben wollen und die Zukunft so hoffnungsvoll vor ihnen liegen könnte. Doch erben dürfen nur Söhne. Ein trauriges Schicksal!

Diese 5 Frauen resignieren nicht. Sie versinken nicht in der Haltung: Man muss das Leben nehmen wie es ist, man kann ja doch nichts ändern. Sie nehmen die Missstände und die Ungerechtigkeit wahr. Gemeinsam werden sie initiativ. Sie wählen den geradlinigen, direkten Weg zum Führer des Volkes, zum Priester, zur Gemeinde, zu Gott. Bei ihnen wird nicht getrennt zwischen: Hier weltlich – da geistlich, hier Politik – da Kirche. An der Tür der Stiftshütte, in der Gegenwart Gottes, unter seiner Nähe bringen sie die Fragen des Lebens, die offensichtliche Ungerechtigkeit im Erbrecht zur Sprache, klar, deutlich, unmissverständlich. Sie legen ihre Argumente auf den Tisch: Wieso soll ein Geschlecht ganz ausgelöscht werden, nur weil keine Männer als Nachkommen da sind? Die Forderung ist deutlich: Gebt uns auch ein Erbteil!

Mose reagiert klug. Er weist sie nicht zurück, sondern handelt seines Amtes gemäß und nimmt die Angelegenheit mit ins Heiligtum, breitet die Bitte vor Gott aus. Er ist Mittler zwischen Mensch und Gott. Offen und hörbereit, aufmerksam und in der Verantwortung Gott gegenüber nimmt Mose die Anliegen der Frauen auf.

Faszinierend die Antwort Gottes: Die Töchter des Zelofhads haben recht geredet. Du sollst ihres Vaters Erbe ihnen zuwenden.

Mehr noch: Es bleibt nicht bei der kleinen, individuellen Lösung, so dass die 5 Frauen für ihre persönliche Lebenssituation zufrieden gestellt werden.
Auf Grund ihres engagierten Vorgehens kommt es zu einer generellen Klärung in Erbangelegenheiten. Künftig sollen immer die Frauen als Erbinnen eingesetzt werden, wenn keine Söhne da sind. Ja, sogar alle weitergehende Erbfolge wird klar geregelt.
Das war für Frauen im Volk Israel ein enormer Aufstieg um 1260 vor Christi Geburt!
Am Ende des 4. Mosebuches erfahren wir übrigens, dass führende Männer der Sippe noch einmal nachgekartet haben: Was passiert, wenn diese Frauen Männer aus anderen Stämmen heiraten?
Dann wird ihr Land Eigentum der Familie in die sie einheiraten und wir verlieren das Land endgültig.
Auch das regelte Mose – nach Rücksprache mit dem Herrn – für alle Zeiten.

Frauen gestalten die Zukunft! Was bedeutet dieses unerschrockene Auftreten der 5 Töchter in der Wüste für uns Frauen des 21. Jahrhunderts?

Unrecht, das wir sehen und empfinden, muss zur Sprache kommen, damit Veränderung geschehen kann. Auch für uns kann es zuweilen hilfreich sein, zusammen zu stehen, zusammen zu gehen, gemeinsam unser Anliegen auf den Weg zu bringen.
Für alle, die sich dem Urteil ausgesetzt sehen: Das Weib schweige in der Gemeinde können diese Frauen zur Ermutigung werden. Sie haben eben nicht geschwiegen, sie haben keine Instanz gescheut, sie sind hingetreten vor die Führungskräfte und Verantwortlichen und vor die ganze Gemeinde.
Ihr Gottvertrauen war größer als alle Widerstände, die aus Gewohnheitsrecht oder aus den traditionellen Vorteilen der Männer zu befürchten sind.

Und gerade dabei erfahren sie: Gott steht auf unsrer Seite, er hört uns, er erhört uns, er greift ein und verändert zum Guten.
Darauf können auch wir vertrauen, es Gott zutrauen. Er kann handeln, eingreifen, verändern auf allen Feldern unseres Lebens.
Darum können auch wir alles vor ihn bringen und gleichzeitig an den zuständigen „weltlichen“ Stellen zur Sprache bringen. Glauben und Handeln, Tun und Beten sind keine Gegensätze, sondern gehören auf´s Engste zusammen.
Zelofhads Töchter ermutigen uns die Zeit zum Handeln zu erkennen, Dinge beim Namen zu nennen, anstehende Aufgaben gemeinsam anzupacken mit großem Gottvertrauen und klarem unerschrockenem Auftreten Menschen gegenüber.

Schauen wir zum Schluss noch ins Neue Testament - wie verhält sich Jesus Frauen gegenüber?
Noch immer ist die Gesellschaftsordnung traditionell patriarchalisch geordnet.
Ja, er hat ausschließlich Männer als seine 12 Jünger gewählt. Sie stehen symbolisch für die 12 Stämme Israels.
Aber wir wissen von Frauen die ebenfalls mit ihm gezogen sind: Maria von Magdala, Johanna, die Frau des Chusa, Susanna und viele andere, die nicht namentlich genannt werden.
Jesus hatte nicht nur Schüler, sondern auch Schülerinnen, die an seinen Lippen hingen. Denken sie an die beiden Schwestern Maria und Martha und an die Auseinandersetzung zwischen den beiden. Und Jesus lobte Maria – sie hat den besten Teil gewählt.

Oder denken sie an die Frau am Brunnen von Samaria. Jesus hatte für damalige Verhältnisse gleich mehrere Grenzen überschritten. Er hat eine Frau angesprochen, dazu eine Samariterin, die von rechtgläubigen Juden eher abwertend gesehen werden. Außerdem war sie allein unterwegs, ohne männlichen Schutz und dann diskutiert er auch noch mit ihr und erzählt ihr vom Himmelreich. Undenkbar im traditionellen Denken der Menschen im Jahr 30 nach der Zeitenwende! Bei Jesus nicht!

Ein anderes Beispiel: Bei Matthäus Kap. 15 wird uns von Jesus erzählt, wie er mit einer nichtjüdischen Frau streitet und letzten Endes barmherzig ihre Tochter heilt.
Diese Frau war auch sehr mutig und gleichzeitig demütig. Als Jesus ihr erklärt, dass sein Auftrag allein dem Volk Israel gilt und es nicht richtig ist, wenn man den Kindern das Brot wegnimmt und es den Hunden vorwirft, argumentiert sie:“ Das stimmt, aber die kleinen Hunde dürfen doch die Krümel fressen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“
Eine Frau, die einem Mann Widerworte gibt! – und Jesus lobt ihren Glauben und tut was sie will! Unglaublich!

Und Paulus, dessen Auftrag es wurde, dass Evangelium über die ganze bekannte Welt auszubreiten, fand in Lydia, einer Frau in Philippi, den ersten Menschen in Europa, der zum Glauben an Jesus gekommen war.

Im Galaterbrief schreibt er von der großen christlichen Freiheit des Evangeliums: Hier ist nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.
Welch ein Aufstieg für die ganze Menschheit!
Amen.

Mittwoch, 21. September 2016

Pfarrer Markus Frank: Meinst du, dass Hiob Gott umsonst fürchtet? - Wer glaubt, gewinnt? (Hiob 1,9)

Das gesprochene Wort ist verbindlich.

Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Schicksal ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.
Dietrich Bonhoeffer (1906-1945)

Liebe Gemeinde,
es bröckelt.
Alte Gewissheiten bröckeln:

Der Friede in Europa. Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Die Formen und Inhalte, in denen wir unseren Glauben leben.

Einen lückenlosen Plan, wie unser Leben gelingen kann, gibt es jedenfalls nicht. Weder im Großen, noch im ganz Persönlichen.
Die Suche nach der Fülle des Lebens ist oft mühsam, braucht einen langen Atem und kostet Kraft. Besonders für Leute wie uns, denen es nicht nur darum geht, das eigene, kleine, private Glück zu finden, sondern in allem Gott, den lieben Vater im Himmel, und seinen guten Plan für unser Leben und diese leidgeschundene Erde.

Es bröckelt. Vielleicht spürst Du es an der einen oder anderen Stelle auch in deinem Leben?

Aufstiege, darum geht es ja in unserer Sommerpredigtreihe. Das hört sich eigentlich nicht nach Bröckeln an. Schnell kommen mir Geschichten von ‚Erfolgsmodellen‘ und ‚Erfolgsgeschichten‘ in den Sinn: Eine tolle Geschäftsidee, und dann nie wieder arbeiten müssen. Ein paar super Events und schon brummt der Laden wieder, gerne auch der Kirchenladen.
Wir leben in einer Welt der Aufsteiger, inmitten von Selbst-Optimierern, von Alles-im-Griff-Habern und von Zeit-Auspressern. Soweit wir bisher gehört haben, passt Hiob da ganz gut dazu.

‚Hiobs Frömmigkeit und Glück‘ steht da als Überschrift in der Lutherbibel. Wer glaubt, gewinnt!
Meine 10 Kinder, meine 7000 Schafe und 3000 Kamele, meine Angestellten. Mein makelloses Leben. Erfolge sind sexy. Misserfolg, naja. – Wir hatten Ende Juni 20-jähriges Abi-Treffen. Da ist diese Frage, zu was man selbst es im Vergleich zu den anderen gebracht hat, durchaus präsent.

Doch Hiob hat nicht nur Erfolg. Er ist auch fromm. Er weiß nur zu gut, wie gefährdet sein Glück ist. Und zumindest mit Blick auf seine Söhne macht er sich ausdrücklich Sorgen: Ob sie wohl den rechten Weg des Glaubens gehen oder womöglich Gott in ihrem Herzen abgesagt haben könnten.
Hiob hat es durch harte Arbeit, Rechtschaffenheit und Gottvertrauen weit gebracht im Leben.
Ich hoffe, es gibt heute viele unter uns, die das dankbar mitempfinden und die Segensspuren ihres Lebens voller Dankbarkeit und Zufriedenheit wahrnehmen können. „Lobe den Herren, der sichtbar dein Leben gesegnet!“
Viele Texte unserer Bibel bezeugen ja diese Erfahrung: Wer glaubt, gewinnt. Klassisch zu Beginn des Psalmenbuchs: Wer sich an Gott und seine Gebote hält, „der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht. Und was er macht, das gerät wohl.“ (Ps 1,1)

Doch zu Zeiten wird dieses schöne, ruhige Fahrwasser unserer Lebens- und Glaubensgewissheiten gehörig aufgewühlt.

Wir hören auf den Fortgang der Geschichte:
Hiob 1,6-12
Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, kam auch der Satan unter ihnen.

Der HERR aber sprach zu dem Satan: Wo kommst du her?
Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen.
Der HERR sprach zum Satan: Hast du Acht gehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn es ist seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse.
Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Meinst du, dass Hiob Gott umsonst fürchtet? Hast du doch ihn, sein Haus und alles, was er hat, ringsumher beschützt. Du hast das Werk seiner Hände gesegnet, und sein Besitz hat sich ausgebreitet im Lande. Aber strecke deine Hand aus und taste alles an, was er hat: was gilt's, er wird dir ins Angesicht absagen!
Der HERR sprach zum Satan: Siehe, alles, was er hat, sei in deiner Hand; nur an ihn selbst lege deine Hand nicht.
Da ging der Satan hinaus von dem HERRN.

Es bröckelt. Bei dem, was wir eben gehört haben, lösen sich ganze Felsbrocken aus dem schönen Himmelsgebäude und stürzen auf uns ein.

Wir lesen von himmlischen Wesen, die im Gespräch mit Gott und wie Berater eines mächtigen Königs auftreten. Auch das Böse, in Gestalt des Satans, hat Zugang zu Gott. Das Böse ist als Möglichkeit mit dabei in unmittelbarer, nächster, verwechselbarer Nähe des Guten. Der Satan will das tun, was sein Name schon sagt. Er will gründlich durcheinander bringen, das Gute ins Gegenteil verkehren, negieren.

Er sagt: ‚Meinst du, dass Hiob Gott umsonst (= d. h. ohne Gegenleistung) fürchtet?‘ Eine Hand wäscht die andere. Hiob ist anständig und fromm. Und Gott gewährt Glück und Segen. Es ist einfach, an einen guten Gott zu glauben, solange es einem gut geht. Satan spricht zu Gott: „Zieh Deine segnende Hand zurück und Hiob wird dir ins Gesicht absagen“.
Ein wahrhaft teuflisches Argument. Doch das Erschütternde ist doch, dass Gott sich darauf einlässt! Er lässt den Ankläger mit seinem teuflischen Plan gewähren.

Es bröckelt. Der liebende und gerechte Gott bröckelt.

Wir wissen um den Fortgang der Geschichte: Nach und nach lässt Gott zu, dass Satan Hiobs gesegnetes Leben zerstört. An die Stelle von Wohlstand und Glück treten Terror und Gewalt. Hiob bleibt nur das nackte Leben. Von einem Augenblick auf den anderen dreht sich das ganze Leben um. - Ich schreibe diese Zeilen am Morgen nach den sinnlosen Morden im Münchner Olympia-Kaufhaus.

Plötzlich kann man den Satz Satans nochmal ganz anders lesen: Vergeblich. ‚Meinst du nicht, dass Hiob Gott umsonst (= vergeblich) fürchtet?‘ Ich denke an die Eltern der Jugendlichen, die ihr Kind tot sehen müssen. Ich denke an den 16-jährigen …, der beim FELA mitgearbeitet hat und so unfassbar plötzlich starb. Abgrundtiefe Kraftlosigkeit. Das Leben läuft ins Leere. Der Glaube an einen liebenden, fürsorglichen Vater im Himmel droht zu zerbrechen.
Der Name Hiob bedeutet nach dem Muster akkadischer Parallelen ‚Vater, wo bist Du?‘. Ja, es gibt Stunden, da kann einem selbst das Vaterunser im Hals stecken bleiben. „Mein Gott, mein Gott,…“

Der liebende und gerechte Gott bröckelt und mit ihm die Gewissheiten, auf die wir unser Lebenshaus bauen.

In Hiobs Worten: „Warum bleiben die Frevler am Leben, werden alt und nehmen zu an Kraft?" (21,7) „Wer sagt dem Bösewicht seinen Lebensweg ins Gesicht, wer zahlt ihm heim, was er getan hat?“ (21,31)

‚Es gibt Tage, die bleiben ohne Sinn. Hilflos seh‘ ich wie die Zeit verrinnt.‘ (EGW 628) Auch ohne tiefe Schicksalsschläge, ja sogar mitten im Sommer und in der Urlauszeit kann einem die Lebensfrische abhanden kommen.
Jeden Tag rasieren. Immer wieder. Jeden Tag mehrmals die Wohnung aufräumen.
Jeden Tag malochen, auch wenn manchmal nichts dabei herauskommt. Jeden Tag was für die Beziehung zu meinen Nächsten tun, auch ohne Gegenleistung.
Vergeblichkeitserfahrungen wie im Mythos des Sisyphos: Mühsam wälzen wir den Stein auf den Berg mit aller Kraft und können doch nicht verhindern, dass er auf der anderen Seite wieder herunterrollt.

Das Hiobbuch bietet in all seinen 42 Kapiteln kein abschließendes Anti-Vergeblichkeitsprogramm.

Heinrich Heine bezeichnet es als „Hohelied der Skepsis“. „Es zischen und pfeifen darin die entsetzlichen Schlangen ihr ewiges Warum?“ Und er fragt sich: „Wie kommt es, dass […] die fromme Tempelarchivkommission“ überhaupt in „den Kanon der heiligen Schriften aufgenommen“ wurde. Und Sie fragen sich vielleicht: Warum solch schwere Kost, mitten im Sommer zu einer Predigtreihe „Aufstiege“?

Nun, ich meine, dass der Glaube nur dann lebendig bleiben kann, wenn er dem Leben auch in all den Unerklärlichkeiten auf der Spur bleibt.

Keine Frage: Man kann und muss erschrecken über den Gott, der dieses grausame Spiel des Satans mit Hiob zulässt, ja mitspielt. Man kann sogar verzweifeln an diesem Gott, der diese Welt und uns Menschen mit all ihren Möglichkeiten zum Bösen geschaffen hat.

Mir hilft das Hiobbuch wie kaum ein anderer Text der Heiligen Schrift, mit dem, was mir begegnet in dieser Welt im Gespräch zu bleiben mit Gott. Gerade und besonders im Ringen mit den Abstiegen und Enttäuschungen seines Lebens bleibt Hiob ehrlich und wahrhaftig.
Er verweigert sich konsequent allen einfach Erklärungsmustern und bleibt doch, wie in seinem Namen anklingt, auf der Suche nach dem liebenden Vater im Himmel. An ihm hält er fest. Auch wenn Gottes Wirken oder Nicht-Wirken sein Verstehen übersteigt.

In dieser Haltung begegnet mir in Hiob der Menschenfreund und Gottessohn Jesus von Nazareth, an dem wir im ‚Glauben hangen und hangen‘ bleiben (Vgl. EG 112, 6). Er geht mit Dir auch durch Deine Hölle. Er wird nicht zulassen, dass Dein oder mein Leben verloren geht! Deshalb singen wir heute, mitten im Sommer Oster- und Weihnachtslieder.

Hiob zeigt mir neu, was glauben heißt: Nämlich im Ringen bleiben um das Leben. Die Segnungen sehen, die Größe und Schönheit des Lebens, sogar noch wenn der Tod nach uns greift.

Es bröckelt. Ja, es bröckelt. Doch auch das Bröckeln ist Teil des Wegs.

Der Glaube ist keine Garantie für Erfolg und Glück im Leben. Und je länger ich lebe, desto wertvoller finde ich Menschen, die genau so selbstverständlich über die Abstiege ihres Lebens reden können wie über die Erfolge. Ich meine, auch darin zeigt sich der Geist einer christlichen Gemeinde.

Der Gott der Bibel fordert uns zu Zeiten mehr als uns lieb sein kann. In den Worten von Esther Maria Magnis: „Gott ist schrecklich. Gott brüllt. Gott schweigt. Gott scheint abwesend. Und Gott liebt in einer Radikalität, vor der man sich fürchten kann.“

In Niederlagen und Enttäuschungen zeigt sich oft in besonderer Weise die Kraft des Glaubens. Das sagt mir das Hiobbuch und das ist auch meine Erfahrungen, an vielen Stellen.

Und durch das Erschrecken hindurch entdecke ich das unerschütterliche Zutrauen, das Gott zu seinen Menschen hat: Mit und in und durch uns Menschen kämpft Gott gegen das Böse. Gott bewahrt Hiob nicht vor Unheil und Gefahr. In Unheil und Gefahr spricht Gott sein Vertrauen aus, dass Hiob ihm die Treue hält und auf diese Art die Mächte überwindet, die das Leben verhindern.

Hiob wird so zum Urbild eines freien, erwachsenen, vertrauenden Menschen. Der Gott, an den er sich hält, ist für uns der Gott, der uns in Jesus Christus sein liebendes und gerechtes Angesicht zeigt.

Es bröckelt. Irgendwo wird es immer bröckeln für uns, die wir leiden wo immer das Leben leidet, zu dem Gott seine Menschen doch geschaffen hat. Doch auch das Bröckeln ist Teil des Wegs.

Hiob stellt sich mit seinem Leben aller Ungerechtigkeit, Unwahrhaftigkeit und Feigheit entgegen. Es gibt wohl nichts, was unseren guten Vater im Himmel mehr freut und was diese leidgeschundene Erde mehr braucht.
Konsequent verweigert er der Gewalt, die ihn getroffen hat, die Herrschaft. Er hält sich an den guten Vater im Himmel und findet so einen Weg nicht zu verzweifeln. Auf diese Weise wirkt Hiob mit an der Entmachtung des Bösen. Am Ende des Hiobbuches lobt ihn Gott ausdrücklich für seine Wahrhaftigkeit. Den Freunden mit ihren frommen Korrektheiten erteilt er eine Absage. „Denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob.“ (Hiob 42,8)

So mancher Mensch hat seither diese Haltung angenommen, viele Märtyrer waren darunter.
Ich schließe die Predigt mit einem Text von der holländischen Jüdin Etty Hillesum über die Gefahr, in die Hände der Nazis zu fallen:
„Das Komische ist: Ich fühle mich gar nicht in ihren Klauen, weder wenn ich bleibe, noch wenn ich abtransportiert werde. ... ich fühle mich in niemandes Klauen, ich fühle mich nur in Gottes Armen, um es mal pathetisch zu sagen, und ob ich nun hier an dem mir so lieben und vertrauten Schreibtisch sitze oder ob ich nächsten Monat in einer armseligen Kammer im Judenviertel hause oder vielleicht in einem Arbeitslager unter SS-Bewachung stehe, ich werde mich überall und immer, glaube ich, in Gottes Armen fühlen. Man wird mich möglicherweise körperlich zugrunde richten, aber mir weiter nichts anhaben können“.

Denn wer Gott zum Vater hat, besiegt die Welt. Dabei ist es unser Glaube, mit dem wir den Sieg über die Welt erringen. (1. Johannes 5,4)
Es bleibt dabei: Wer glaubt, gewinnt Gott, unseren liebenden Vater im Himmel und mit ihm das Leben, das bleibt.

Amen.

Dienstag, 13. September 2016

Pfarrerin Bärbel Brückner-Walter: Hinausgehoben aus dem Alltag – die Geschichte einer Verklärung Matthäus 17,1-9

Liebe Gemeinde,
Kennen Sie das auch? Die Sehnsucht, einmal über allem zu stehen? Den Alltag hinter mir zu lassen ? Manchmal gibt es solche glücklichen Augenblicke, dann wird diese Sehnsucht ein wenig gestillt. Zum Beispiel im Urlaub, wenn ich einen Gipfel erklommen habe und von ganz weit oben auf einem Berg ins Tal hinunter schaue. Mir ging es so in diesen Wochen - bei den Wanderungen durch die ligurischen Berge: auf diesen Pfaden – manchmal durch Dickicht und Dornengestrüpp hindurch – dann plötzlich ein atemberaubender Ausblick, und ganz unten das Meer! Hinausgehoben aus dem Alltag, so ein Gefühl der Weite, ein Glücksgefühl inmitten wunderbarer Natur!

Manchmal sind es auch Begegnungen mit Menschen, in kostbaren Augenblicken des Glücks – ein Gefühl zu schweben! Über den Dingen zu stehen, die sonst so schwer nach unten ziehen können.

So ähnlich stelle ich es mir vor, damals; so mag es angefangen haben, als Jesus mit seinen engsten Vertrauten auf einen hohen Berg gegangen ist.

Ich lese aus dem Matthäus-Evangelium 17,1-9:
1 Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. 2 Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. 3 Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. 4 Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. 5 Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! 6 Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. 7 Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! 8 Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. 9 Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. 

Petrus, Jakobus und Johannes hatte er mitgenommen. An diesen hervorgehobenen Ort. Und da auf einmal sehen sie den, dem sie nachfolgen: ganz anders als bisher. Ganz neu wird der Blick, die Perspektive ist eine andere hier oben. Sie sehen ihn hier oben in neuem Licht – es überstrahlt jedes natürliche Licht: „…sein Angesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß…“ Doch damit nicht genug – bei dem verklärten Jesus erscheinen auch noch Mose und Elia! Die Großen der Geschichte Israels! Und gleich denken wir an den Berg Sinai oder Horeb: an Elia, an die Begegnung Moses mit Gott selbst, als er die 10 Gebote empfing. Und auch Elia darf auf dem Horeb Gottes Gegenwart spüren, ganz anders zwar als er jemals erwartet hat: überraschend anders, ja irritierend, fast verstörend. Nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer. Nicht in all dem, was er sich vorgestellt hat, begegnet er Gott. Nein, in einem stillen sanften Sausen – so heißt es in der Bibel nach Martin Luther. Der Jude Martin Buber übersetzt hier viel näher am hebräischen Text und kommt zu den wunderbaren Wortschöpfung: „eine Stimme verschwebenden Schweigens“.

So überraschend schnell diese beiden Figuren – Mose und Elia – erschienen sind, so schnell verschwinden sie auch schon wieder. Man kann sie nicht festhalten . „Herr, hier ist gut sein! Willst du, so wollen wir hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.“ Gerne hätte er es anders gehabt, der Petrus, der Fels. Erst recht nach seinem ganz persönlichen Gipfelerlebnis, dem Bekenntnis zu Jesus als dem Messias – Matthäus erzählt an anderer Stelle davon. Jetzt scheint doch alles erreicht zu sein! Petrus sieht den verklärten Gottessohn mit eigenen Augen! Bald wird der Messias seine Herrschaft aufrichten, und sie, seine Jünger, sind beteiligt! Was für eine glänzende Aussicht!

Doch es kommt ganz anders. Eine lichte Wolke überschattet sie; und sie macht Angst, die Stimme aus der Wolke: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören!“ Warum so ängstlich, Petrus? Und auch die beiden anderen. „Den sollt ihr hören!“ Das wolltet ihr doch!

Aber hast du wirklich alles gehört, Petrus? Auch die Andeutungen dieses so anderen Weges Jesu, eines Weges jenseits aller herrschaftlichen Aufstiege? Eines Weges bis hin zum Kreuz?

Das wollte dir nicht gefallen, dass der Sohn Gottes würde leiden müssen. Hast du vergessen, dass Jesus schon einmal auf einem hohen Berg stand? Allein über allem zu stehen, das hat er abgelehnt auf dem Berg der Versuchung, wo es doch so verlockend klingt! Es wäre ein Dienst an Satan gewesen. Sein Weg aber ist der Dienst an den Menschen – als Dienst an Gott.

Hast du nicht mehr im Ohr, Petrus, was Jesus auf jenem anderen Berg gepredigt hat: Selig sind die Leidenden, die Sanftmütigen, die Barmherzigen, die Friedensstifter.

„Den sollt ihr hören!“

Der aber sagt: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“ Und er berührt sie, und geht mit ihnen den Berg hinunter – mitten hinein in ihren Alltag und mitten hinein in das Elend der Welt. Mitten hinein auch in mein Leben, in meinen und deinen Alltag.

Um Aufstieg und Abstieg geht es also. Und um neu sehen, anders sehen und anders gesehen werden. Es geht darum, dass mein Blick nach oben Hoffnung in mir weckt, wo ich mich ganz unten am Boden fühle. Und – wenn ich meine, ganz oben angekommen zu sein, den Weg nach unten frei halte. Es geht darum, mit Christus den Berg auch wieder hinunter zu gehen. Hinunter in die Ebene alltäglichen Lebens und in die Niederungen menschlichen Lebens - und Leidens.

So gesehen werden die „Aufstiege“ des Lichtkunstfestivals um „Abstiege“ erweitert. Aber vielleicht wird diese andere Dimension in den Kunstwerken in der Region ja auch zu sehen sein. In diesem Festival, das uns als Predigerinnen und Prediger zu unserer Sommerpredigtreihe inspiriert hat. Es geht hier ja um das Medium »Licht«, es berührt den Bereich des Geistigen und Geistlichen– so schreiben die Veranstalter selbst. Und im Licht wird das gesamte Spektrum seiner metaphorischen Bedeutung erfahrbar, in allen Schattierungen. Wir dürfen gespannt sein, welche Lichtinstallationen an den fünf Nürtinger Orten zu sehen ein werden!

Berggeschichten könnten wir uns viele erzählen: unsere ganz persönlichen Geschichten von Aufstieg und Abstieg, von Erfolg und Misserfolg, von Licht und Schatten. Und vielleicht können wir deshalb auch die Hoffnungen, die enttäuschten Erwartungen, die Ängste und Irrwege, wie sie Petrus und die anderen beiden erlebt haben, ein gutes Stück weit mitgehen.

Es ist doch so schön, ganz oben zu sein, auf dem Berg!

Es ist so schön, Erfolg zu haben.

Es war so schön, als mein Leben noch in geordneten Bahnen verlief, als ich Arbeit hatte und eine Wohnung. Als meine Frau noch da war und das Leben sich von seiner schönen Seite gezeigt hat.

Es war so schön, als ich noch Zukunftspläne hatte, alles hat sich so leicht und lebendig angefühlt Es war so schön, als es in meiner Heimat noch keinen Krieg gegeben hat.

Doch dann kam der Abstieg: dann habe ich meinen Arbeitsplatz verloren, dann ist meine Frau von mir fortgegangen.

Dann habe ich angefangen zu trinken.

Dann kam die Flucht.

Dann hat es sich plötzlich so angefühlt, als ob ich am Abgrund stehe.

Solche Geschichten gibt es. Menschen erleben so etwas. Mag sein, dass sich Ihre „Berggeschichten“ anders anhören.

„Steh auf, hab keine Angst!“

„…eine Stimme verschwebenden Schweigens…“

Kann ich sie hören, diese Stimme?

Jesus sieht mich anders; anders als andere mich sehen – anders als ich selbst mich sehe. „Steh auf, hab keine Angst!“ Ein zarter Ruf, fast nur ein Hauch – und doch: der mich so ruft, geht mit mir zusammen den Berg hinunter. Bewahrt mich vor allzu luftigen Höhenflügen. Der mich so ruft, erdet mich und öffnet mir gleichzeitig den Blick nach oben: der verklärte Christus - die Niederungen menschlichen Lebens und Leidens blieben ihm nicht erspart – und doch: jetzt sehen sie ihn in ganz neuem Licht!

„Komm“ ruft er mir zu. „Komm und lass dich anschauen! Ganz! Ganz anders!“

Und da – auf einmal: die rettende Hand. Und ich bin nicht mehr allein. Da sorgt sich jemand um mich, und ich kann es geschehen lassen. Ich kann Hilfe annehmen. Ich gehe meinen Weg durch Höhen und Tiefen, erlebe helle und dunkle Tage, mühsames Arbeiten und wunderbar erholsame Urlaubstage, erfolgreiches Schaffen und Nächte voller Unruhe. Ich gehe diesen Weg nicht allein. Gott selbst mit mir „…eine Stimme verschwebenden Schweigens…“
Amen


Fürbittgebet
So zart und so leise – und doch so deutlich - Du, unser Gott, gegen die anderen Stimmen, die lauten: die Stimmen der Angst und des Zweifels, der Angst vor dem Terror, vor der angeblichen Kriegs- und Krisengefahr in unserem Land, der Angst vor Krankheit und Einsamkeit.

Die „Stimme verschwebenden Schweigens“ lässt uns den Weg ins Leben wagen, auch wenn es immer wieder Einbrüche gibt, wenn das Bedrohliche nicht so einfach weggewischt werden kann – nicht im Urlaub und nicht auf den Gipfeln dieser Welt.

Lasst uns das Leben neu sehen in göttlichem Licht, in der Gestalt des verklärten Christus!

Lasst uns auf seine Verheißung vertrauen: dass die Trauernden und die Leidenden getröstet werden, die Sanftmütigen das Erdreich besitzen, die Friedensstifter Gottes Kinder heißen und den Verfolgten das Himmelreich gehört.

So soll es sein, dass auch das tiefste Tal und noch so viel Ungelöstes seine lähmenden Schrecken verliert.

Lasst es hier herein leuchten, das strahlende Licht!
Lasst es uns erspüren, dass wir davon berührt werden!
Amen.

Sonntag, 4. September 2016

Pfarrerin Birgit Mattausch: Brot und Unterwelt. Die Totenbeschwörerin von En-Dor und Samuels Aufstieg aus der Unterwelt

Eine Geschichte
Eine Geschichte erzähl ich.
Ich weiß nicht, warum.
Ich weiß nicht, wozu.
Weiß nur: ich erzähle.
Eine Geschichte.
Aus uralter Zeit.
König. Propheten.
Schlachten und Kriege.
Dornenhecken. Spitze Steine.
Schwerter ohne Zahl.
Abgrund und Nacht.
Der Mond so rot.
Tod - und Brot.
Ich weiß nichts.
Erzähle.

Dunkelkönig
Aus uralter Zeit: Dunkel und Winter. Und Krieg.
Am Horizont die Armeen der Feinde.
Und Samuel tot. Der Prophet. Der Eine.
Begraben in Rama, seiner Stadt.
Beweint vom ganzen Volk.
Samuel. Der wusste, was zu tun war.
Jetzt: Niemand weiß. Niemand rät.
Ein Dunkel überm ganzen Land.
Und mittendrin: der glücklose König. Saul.
Erster seines Namens. Längst im freien Fall.
Heimgesucht von schwarzen Gedanken.
Seit Tagen, Wochen, Jahren.
Abstieg um Abstieg.
Verlust um Verlust.
Und er fragte Gott um Hilfe und Rat. Aber Gott antwortete ihm nicht – weder durch Träume, noch durch Orakel noch durch Menschen. 

Ich weiß nicht, weshalb.
Ich weiß nichts.
Ich erzähle.
Und Gott antwortet nicht.

Dunkelkammer En-Dor
Das ist wie im Traum.
Da legt der König die Krone ab Szepter und Mantel
Schwärzt sein Gesicht.
Und geht dann mitten hindurch.
Durch Heer und Armee
Durch Volk und Feind
Unsichtbar-unbemerkt.
Im Schatten der Nacht.
Bis En-Dor.
Dunkelkammer des Landes
En-Dor.
Der Ort, an dem aufsteigt, was unten ist
Das Begrabene
Verborgene
Das in die Keller der Seele Gesperrte.

En-Dor
Wo die Toten aus der Unterwelt steigen
Wie die ungeweinten Tränen
Die versteckten Wunden
Die verschwiegene Schuld
Dunkelkammer En-Dor
Und deine Wächterin: Eine Frau ohne Namen.

Text (1. Samuel 28 in Auszügen, entlang der Übersetzung von Irmtraud Fischer, leichte Änderungen)
Die fragte: Wen soll ich für dich heraufsteigen lassen?
Und Saul sagte: Samuel, den Propheten.
Und die Frau sah Samuel. 
Und Saul fragte: Was siehst du?
Und sie sagte: Ein alter Mann steigt herauf. Er ist in einen Mantel gehüllt.
Da erkannte Saul, dass es Samuel war.
Und er verneigte sich. Fiel nieder. Das Gesicht auf der Erde.
Da sagte Samuel: Was störst du mich auf, Saul? Was fragst du mich an?
Gott hat an dir getan, wie er sprach durch mich.
Hat die Königsherrschaft aus deiner Hand gerissen.
Er wird das Land in die Hände der Feinde geben.
Morgen werden deine Söhne und du tot sein.

Im Dunkeln stochern
Dunkelkammer En-Dor.
Und deine Wächterin: Eine Frau ohne Namen
Holt die Toten herauf
Was hilfts?
Ich weiß nichts. Erzähle.
Zähle die Tage die Stunden die Sterne
Das Unten und Drunten steigt auf
Das Früher und Damals und Jetzt
Die alten Kriege
Die längst geschlagenen Schlachten
Was störst du mich auf?
Was fragst du mich an?

En-Dor
Ich stochre im Dunkeln
Was war, ist nicht zu ändern, Saul
Was du getan hast, ist in der Welt
Hat Folge um Folge
Gutes und Böses
Ach Saul. Glückloser König.
Verlassen von Gott und von Menschen.
Morgen bist du tot.

Ich stochre im Dunkeln 
Erbarmungsloser Samuel
Im grauen Mantel
Mit nackten Füßen
Du weißt und tröstest nicht
Was für ein Prophet bist du?
Einer mit steinernem Herzen.
Du weißt nur Ja und Nein
Weißt richtig und falsch 
Wo sind die Orte, die Worte dazwischen?
Dahinter? Davor?

Text (1. Samuel 28 in Auszügen, entlang der Übersetzung von Irmtraud Fischer, leichte Änderungen)
Da fiel Saul. Fiel in seiner vollen Länge zur Erde. Keine Kraft war mehr in ihm.
Denn er hatte den ganzen Tag und die ganze Nacht kein Brot gegessen.
Die Frau sah seine Angst.
Und sie sagte zu ihm:
Sieh, ich habe auf deine Worte gehört. Jetzt aber hör du auf meine. Ich will dir einen Bissen Brot geben. Und du wirst essen und zu Kraft kommen und deinen Weg gehen.
Aber er weigerte sich.
Und sie nötigte ihn.
Und er hörte auf sie.
Die Frau hatte ein gemästetes Kalb im Haus. Das schlachtete sie.
Und nahm Mehl und knetete es und buk Saul Brot.
Und sie aßen.

Brot, nicht Tod
Der Mond so rot.
Und all die Fragen.
Ich weiß keine Antwort. Erzähle.
Zähle die Taten der Liebe
Eine backt Brot
In der Nacht
In En-Dor
Kurdistan
Jerusalem
München
Eine backt Brot
Und noch eine, noch einer

Um uns steigt auf so viel Böses
Und dennoch. Und deshalb: Nimm und iß
Der Weg ist weit
Doch da ist Liebe.

In München haben sie die Türen aufgemacht in jener dunklen Nacht
Nahmen Fremde mit an den Küchentisch
Zogen Sofas aus 
Deckten Kinder zu
Kochten Tee
Teilten Bier

Als ich damals kam
– zurück aus meinem Dunkel und aus meiner Angst -
und saß ganz hinten in der Kirchenbank
Da sagte Oma Elsa mir: Du bist ja unser Freind
Beugt sich vor, streicht mir übers Haar und flüstert: Scheein, dass du da bist
Und zuhaus in meiner Küche lagen Käs und Brot
Hatice Karakuyu hatte sie gebracht
Gesagt, ich solle essen, solle leben

Und sie aßen.
Und gingen noch in dieser Nacht.

Nimm und iß
Eine Geschichte hab ich erzählt. 
Ich wußt nicht, warum.
Ich wußt nicht, wozu.
Wußt nur: ich erzähle.
Eine Geschichte.
Aus uralter Zeit.
Der Mond so rot.
Und Dunkel.
Und Tod
Aber auch: Brot.

Die Welt ist schwer.
Dein Herz auch dann und wann
Heut oder morgen
Und manches steigt auf aus deiner Seele
Tränen
Wunden
Schuld 
Und Verrat

Aber eine backt Brot
Nimm. Iß.
Geh deinen Weg
Und lebe.
Amen.

Freitag, 2. September 2016