Sonntag, 4. September 2016

Pfarrerin Birgit Mattausch: Brot und Unterwelt. Die Totenbeschwörerin von En-Dor und Samuels Aufstieg aus der Unterwelt

Eine Geschichte
Eine Geschichte erzähl ich.
Ich weiß nicht, warum.
Ich weiß nicht, wozu.
Weiß nur: ich erzähle.
Eine Geschichte.
Aus uralter Zeit.
König. Propheten.
Schlachten und Kriege.
Dornenhecken. Spitze Steine.
Schwerter ohne Zahl.
Abgrund und Nacht.
Der Mond so rot.
Tod - und Brot.
Ich weiß nichts.
Erzähle.

Dunkelkönig
Aus uralter Zeit: Dunkel und Winter. Und Krieg.
Am Horizont die Armeen der Feinde.
Und Samuel tot. Der Prophet. Der Eine.
Begraben in Rama, seiner Stadt.
Beweint vom ganzen Volk.
Samuel. Der wusste, was zu tun war.
Jetzt: Niemand weiß. Niemand rät.
Ein Dunkel überm ganzen Land.
Und mittendrin: der glücklose König. Saul.
Erster seines Namens. Längst im freien Fall.
Heimgesucht von schwarzen Gedanken.
Seit Tagen, Wochen, Jahren.
Abstieg um Abstieg.
Verlust um Verlust.
Und er fragte Gott um Hilfe und Rat. Aber Gott antwortete ihm nicht – weder durch Träume, noch durch Orakel noch durch Menschen. 

Ich weiß nicht, weshalb.
Ich weiß nichts.
Ich erzähle.
Und Gott antwortet nicht.

Dunkelkammer En-Dor
Das ist wie im Traum.
Da legt der König die Krone ab Szepter und Mantel
Schwärzt sein Gesicht.
Und geht dann mitten hindurch.
Durch Heer und Armee
Durch Volk und Feind
Unsichtbar-unbemerkt.
Im Schatten der Nacht.
Bis En-Dor.
Dunkelkammer des Landes
En-Dor.
Der Ort, an dem aufsteigt, was unten ist
Das Begrabene
Verborgene
Das in die Keller der Seele Gesperrte.

En-Dor
Wo die Toten aus der Unterwelt steigen
Wie die ungeweinten Tränen
Die versteckten Wunden
Die verschwiegene Schuld
Dunkelkammer En-Dor
Und deine Wächterin: Eine Frau ohne Namen.

Text (1. Samuel 28 in Auszügen, entlang der Übersetzung von Irmtraud Fischer, leichte Änderungen)
Die fragte: Wen soll ich für dich heraufsteigen lassen?
Und Saul sagte: Samuel, den Propheten.
Und die Frau sah Samuel. 
Und Saul fragte: Was siehst du?
Und sie sagte: Ein alter Mann steigt herauf. Er ist in einen Mantel gehüllt.
Da erkannte Saul, dass es Samuel war.
Und er verneigte sich. Fiel nieder. Das Gesicht auf der Erde.
Da sagte Samuel: Was störst du mich auf, Saul? Was fragst du mich an?
Gott hat an dir getan, wie er sprach durch mich.
Hat die Königsherrschaft aus deiner Hand gerissen.
Er wird das Land in die Hände der Feinde geben.
Morgen werden deine Söhne und du tot sein.

Im Dunkeln stochern
Dunkelkammer En-Dor.
Und deine Wächterin: Eine Frau ohne Namen
Holt die Toten herauf
Was hilfts?
Ich weiß nichts. Erzähle.
Zähle die Tage die Stunden die Sterne
Das Unten und Drunten steigt auf
Das Früher und Damals und Jetzt
Die alten Kriege
Die längst geschlagenen Schlachten
Was störst du mich auf?
Was fragst du mich an?

En-Dor
Ich stochre im Dunkeln
Was war, ist nicht zu ändern, Saul
Was du getan hast, ist in der Welt
Hat Folge um Folge
Gutes und Böses
Ach Saul. Glückloser König.
Verlassen von Gott und von Menschen.
Morgen bist du tot.

Ich stochre im Dunkeln 
Erbarmungsloser Samuel
Im grauen Mantel
Mit nackten Füßen
Du weißt und tröstest nicht
Was für ein Prophet bist du?
Einer mit steinernem Herzen.
Du weißt nur Ja und Nein
Weißt richtig und falsch 
Wo sind die Orte, die Worte dazwischen?
Dahinter? Davor?

Text (1. Samuel 28 in Auszügen, entlang der Übersetzung von Irmtraud Fischer, leichte Änderungen)
Da fiel Saul. Fiel in seiner vollen Länge zur Erde. Keine Kraft war mehr in ihm.
Denn er hatte den ganzen Tag und die ganze Nacht kein Brot gegessen.
Die Frau sah seine Angst.
Und sie sagte zu ihm:
Sieh, ich habe auf deine Worte gehört. Jetzt aber hör du auf meine. Ich will dir einen Bissen Brot geben. Und du wirst essen und zu Kraft kommen und deinen Weg gehen.
Aber er weigerte sich.
Und sie nötigte ihn.
Und er hörte auf sie.
Die Frau hatte ein gemästetes Kalb im Haus. Das schlachtete sie.
Und nahm Mehl und knetete es und buk Saul Brot.
Und sie aßen.

Brot, nicht Tod
Der Mond so rot.
Und all die Fragen.
Ich weiß keine Antwort. Erzähle.
Zähle die Taten der Liebe
Eine backt Brot
In der Nacht
In En-Dor
Kurdistan
Jerusalem
München
Eine backt Brot
Und noch eine, noch einer

Um uns steigt auf so viel Böses
Und dennoch. Und deshalb: Nimm und iß
Der Weg ist weit
Doch da ist Liebe.

In München haben sie die Türen aufgemacht in jener dunklen Nacht
Nahmen Fremde mit an den Küchentisch
Zogen Sofas aus 
Deckten Kinder zu
Kochten Tee
Teilten Bier

Als ich damals kam
– zurück aus meinem Dunkel und aus meiner Angst -
und saß ganz hinten in der Kirchenbank
Da sagte Oma Elsa mir: Du bist ja unser Freind
Beugt sich vor, streicht mir übers Haar und flüstert: Scheein, dass du da bist
Und zuhaus in meiner Küche lagen Käs und Brot
Hatice Karakuyu hatte sie gebracht
Gesagt, ich solle essen, solle leben

Und sie aßen.
Und gingen noch in dieser Nacht.

Nimm und iß
Eine Geschichte hab ich erzählt. 
Ich wußt nicht, warum.
Ich wußt nicht, wozu.
Wußt nur: ich erzähle.
Eine Geschichte.
Aus uralter Zeit.
Der Mond so rot.
Und Dunkel.
Und Tod
Aber auch: Brot.

Die Welt ist schwer.
Dein Herz auch dann und wann
Heut oder morgen
Und manches steigt auf aus deiner Seele
Tränen
Wunden
Schuld 
Und Verrat

Aber eine backt Brot
Nimm. Iß.
Geh deinen Weg
Und lebe.
Amen.

2 Kommentare:

  1. Über die bildhafte Wucht des AT hätte ich gern viel öfter Predigten, besonders solche wie die hier.

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  2. Danke <3
    Und ich würde gern öfter welche über solche Texte schreiben. Immerhin: Perikopenrevision kommt.

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