Mittwoch, 21. September 2016

Pfarrer Markus Frank: Meinst du, dass Hiob Gott umsonst fürchtet? - Wer glaubt, gewinnt? (Hiob 1,9)

Das gesprochene Wort ist verbindlich.

Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Schicksal ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.
Dietrich Bonhoeffer (1906-1945)

Liebe Gemeinde,
es bröckelt.
Alte Gewissheiten bröckeln:

Der Friede in Europa. Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Die Formen und Inhalte, in denen wir unseren Glauben leben.

Einen lückenlosen Plan, wie unser Leben gelingen kann, gibt es jedenfalls nicht. Weder im Großen, noch im ganz Persönlichen.
Die Suche nach der Fülle des Lebens ist oft mühsam, braucht einen langen Atem und kostet Kraft. Besonders für Leute wie uns, denen es nicht nur darum geht, das eigene, kleine, private Glück zu finden, sondern in allem Gott, den lieben Vater im Himmel, und seinen guten Plan für unser Leben und diese leidgeschundene Erde.

Es bröckelt. Vielleicht spürst Du es an der einen oder anderen Stelle auch in deinem Leben?

Aufstiege, darum geht es ja in unserer Sommerpredigtreihe. Das hört sich eigentlich nicht nach Bröckeln an. Schnell kommen mir Geschichten von ‚Erfolgsmodellen‘ und ‚Erfolgsgeschichten‘ in den Sinn: Eine tolle Geschäftsidee, und dann nie wieder arbeiten müssen. Ein paar super Events und schon brummt der Laden wieder, gerne auch der Kirchenladen.
Wir leben in einer Welt der Aufsteiger, inmitten von Selbst-Optimierern, von Alles-im-Griff-Habern und von Zeit-Auspressern. Soweit wir bisher gehört haben, passt Hiob da ganz gut dazu.

‚Hiobs Frömmigkeit und Glück‘ steht da als Überschrift in der Lutherbibel. Wer glaubt, gewinnt!
Meine 10 Kinder, meine 7000 Schafe und 3000 Kamele, meine Angestellten. Mein makelloses Leben. Erfolge sind sexy. Misserfolg, naja. – Wir hatten Ende Juni 20-jähriges Abi-Treffen. Da ist diese Frage, zu was man selbst es im Vergleich zu den anderen gebracht hat, durchaus präsent.

Doch Hiob hat nicht nur Erfolg. Er ist auch fromm. Er weiß nur zu gut, wie gefährdet sein Glück ist. Und zumindest mit Blick auf seine Söhne macht er sich ausdrücklich Sorgen: Ob sie wohl den rechten Weg des Glaubens gehen oder womöglich Gott in ihrem Herzen abgesagt haben könnten.
Hiob hat es durch harte Arbeit, Rechtschaffenheit und Gottvertrauen weit gebracht im Leben.
Ich hoffe, es gibt heute viele unter uns, die das dankbar mitempfinden und die Segensspuren ihres Lebens voller Dankbarkeit und Zufriedenheit wahrnehmen können. „Lobe den Herren, der sichtbar dein Leben gesegnet!“
Viele Texte unserer Bibel bezeugen ja diese Erfahrung: Wer glaubt, gewinnt. Klassisch zu Beginn des Psalmenbuchs: Wer sich an Gott und seine Gebote hält, „der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht. Und was er macht, das gerät wohl.“ (Ps 1,1)

Doch zu Zeiten wird dieses schöne, ruhige Fahrwasser unserer Lebens- und Glaubensgewissheiten gehörig aufgewühlt.

Wir hören auf den Fortgang der Geschichte:
Hiob 1,6-12
Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, kam auch der Satan unter ihnen.

Der HERR aber sprach zu dem Satan: Wo kommst du her?
Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen.
Der HERR sprach zum Satan: Hast du Acht gehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn es ist seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse.
Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Meinst du, dass Hiob Gott umsonst fürchtet? Hast du doch ihn, sein Haus und alles, was er hat, ringsumher beschützt. Du hast das Werk seiner Hände gesegnet, und sein Besitz hat sich ausgebreitet im Lande. Aber strecke deine Hand aus und taste alles an, was er hat: was gilt's, er wird dir ins Angesicht absagen!
Der HERR sprach zum Satan: Siehe, alles, was er hat, sei in deiner Hand; nur an ihn selbst lege deine Hand nicht.
Da ging der Satan hinaus von dem HERRN.

Es bröckelt. Bei dem, was wir eben gehört haben, lösen sich ganze Felsbrocken aus dem schönen Himmelsgebäude und stürzen auf uns ein.

Wir lesen von himmlischen Wesen, die im Gespräch mit Gott und wie Berater eines mächtigen Königs auftreten. Auch das Böse, in Gestalt des Satans, hat Zugang zu Gott. Das Böse ist als Möglichkeit mit dabei in unmittelbarer, nächster, verwechselbarer Nähe des Guten. Der Satan will das tun, was sein Name schon sagt. Er will gründlich durcheinander bringen, das Gute ins Gegenteil verkehren, negieren.

Er sagt: ‚Meinst du, dass Hiob Gott umsonst (= d. h. ohne Gegenleistung) fürchtet?‘ Eine Hand wäscht die andere. Hiob ist anständig und fromm. Und Gott gewährt Glück und Segen. Es ist einfach, an einen guten Gott zu glauben, solange es einem gut geht. Satan spricht zu Gott: „Zieh Deine segnende Hand zurück und Hiob wird dir ins Gesicht absagen“.
Ein wahrhaft teuflisches Argument. Doch das Erschütternde ist doch, dass Gott sich darauf einlässt! Er lässt den Ankläger mit seinem teuflischen Plan gewähren.

Es bröckelt. Der liebende und gerechte Gott bröckelt.

Wir wissen um den Fortgang der Geschichte: Nach und nach lässt Gott zu, dass Satan Hiobs gesegnetes Leben zerstört. An die Stelle von Wohlstand und Glück treten Terror und Gewalt. Hiob bleibt nur das nackte Leben. Von einem Augenblick auf den anderen dreht sich das ganze Leben um. - Ich schreibe diese Zeilen am Morgen nach den sinnlosen Morden im Münchner Olympia-Kaufhaus.

Plötzlich kann man den Satz Satans nochmal ganz anders lesen: Vergeblich. ‚Meinst du nicht, dass Hiob Gott umsonst (= vergeblich) fürchtet?‘ Ich denke an die Eltern der Jugendlichen, die ihr Kind tot sehen müssen. Ich denke an den 16-jährigen …, der beim FELA mitgearbeitet hat und so unfassbar plötzlich starb. Abgrundtiefe Kraftlosigkeit. Das Leben läuft ins Leere. Der Glaube an einen liebenden, fürsorglichen Vater im Himmel droht zu zerbrechen.
Der Name Hiob bedeutet nach dem Muster akkadischer Parallelen ‚Vater, wo bist Du?‘. Ja, es gibt Stunden, da kann einem selbst das Vaterunser im Hals stecken bleiben. „Mein Gott, mein Gott,…“

Der liebende und gerechte Gott bröckelt und mit ihm die Gewissheiten, auf die wir unser Lebenshaus bauen.

In Hiobs Worten: „Warum bleiben die Frevler am Leben, werden alt und nehmen zu an Kraft?" (21,7) „Wer sagt dem Bösewicht seinen Lebensweg ins Gesicht, wer zahlt ihm heim, was er getan hat?“ (21,31)

‚Es gibt Tage, die bleiben ohne Sinn. Hilflos seh‘ ich wie die Zeit verrinnt.‘ (EGW 628) Auch ohne tiefe Schicksalsschläge, ja sogar mitten im Sommer und in der Urlauszeit kann einem die Lebensfrische abhanden kommen.
Jeden Tag rasieren. Immer wieder. Jeden Tag mehrmals die Wohnung aufräumen.
Jeden Tag malochen, auch wenn manchmal nichts dabei herauskommt. Jeden Tag was für die Beziehung zu meinen Nächsten tun, auch ohne Gegenleistung.
Vergeblichkeitserfahrungen wie im Mythos des Sisyphos: Mühsam wälzen wir den Stein auf den Berg mit aller Kraft und können doch nicht verhindern, dass er auf der anderen Seite wieder herunterrollt.

Das Hiobbuch bietet in all seinen 42 Kapiteln kein abschließendes Anti-Vergeblichkeitsprogramm.

Heinrich Heine bezeichnet es als „Hohelied der Skepsis“. „Es zischen und pfeifen darin die entsetzlichen Schlangen ihr ewiges Warum?“ Und er fragt sich: „Wie kommt es, dass […] die fromme Tempelarchivkommission“ überhaupt in „den Kanon der heiligen Schriften aufgenommen“ wurde. Und Sie fragen sich vielleicht: Warum solch schwere Kost, mitten im Sommer zu einer Predigtreihe „Aufstiege“?

Nun, ich meine, dass der Glaube nur dann lebendig bleiben kann, wenn er dem Leben auch in all den Unerklärlichkeiten auf der Spur bleibt.

Keine Frage: Man kann und muss erschrecken über den Gott, der dieses grausame Spiel des Satans mit Hiob zulässt, ja mitspielt. Man kann sogar verzweifeln an diesem Gott, der diese Welt und uns Menschen mit all ihren Möglichkeiten zum Bösen geschaffen hat.

Mir hilft das Hiobbuch wie kaum ein anderer Text der Heiligen Schrift, mit dem, was mir begegnet in dieser Welt im Gespräch zu bleiben mit Gott. Gerade und besonders im Ringen mit den Abstiegen und Enttäuschungen seines Lebens bleibt Hiob ehrlich und wahrhaftig.
Er verweigert sich konsequent allen einfach Erklärungsmustern und bleibt doch, wie in seinem Namen anklingt, auf der Suche nach dem liebenden Vater im Himmel. An ihm hält er fest. Auch wenn Gottes Wirken oder Nicht-Wirken sein Verstehen übersteigt.

In dieser Haltung begegnet mir in Hiob der Menschenfreund und Gottessohn Jesus von Nazareth, an dem wir im ‚Glauben hangen und hangen‘ bleiben (Vgl. EG 112, 6). Er geht mit Dir auch durch Deine Hölle. Er wird nicht zulassen, dass Dein oder mein Leben verloren geht! Deshalb singen wir heute, mitten im Sommer Oster- und Weihnachtslieder.

Hiob zeigt mir neu, was glauben heißt: Nämlich im Ringen bleiben um das Leben. Die Segnungen sehen, die Größe und Schönheit des Lebens, sogar noch wenn der Tod nach uns greift.

Es bröckelt. Ja, es bröckelt. Doch auch das Bröckeln ist Teil des Wegs.

Der Glaube ist keine Garantie für Erfolg und Glück im Leben. Und je länger ich lebe, desto wertvoller finde ich Menschen, die genau so selbstverständlich über die Abstiege ihres Lebens reden können wie über die Erfolge. Ich meine, auch darin zeigt sich der Geist einer christlichen Gemeinde.

Der Gott der Bibel fordert uns zu Zeiten mehr als uns lieb sein kann. In den Worten von Esther Maria Magnis: „Gott ist schrecklich. Gott brüllt. Gott schweigt. Gott scheint abwesend. Und Gott liebt in einer Radikalität, vor der man sich fürchten kann.“

In Niederlagen und Enttäuschungen zeigt sich oft in besonderer Weise die Kraft des Glaubens. Das sagt mir das Hiobbuch und das ist auch meine Erfahrungen, an vielen Stellen.

Und durch das Erschrecken hindurch entdecke ich das unerschütterliche Zutrauen, das Gott zu seinen Menschen hat: Mit und in und durch uns Menschen kämpft Gott gegen das Böse. Gott bewahrt Hiob nicht vor Unheil und Gefahr. In Unheil und Gefahr spricht Gott sein Vertrauen aus, dass Hiob ihm die Treue hält und auf diese Art die Mächte überwindet, die das Leben verhindern.

Hiob wird so zum Urbild eines freien, erwachsenen, vertrauenden Menschen. Der Gott, an den er sich hält, ist für uns der Gott, der uns in Jesus Christus sein liebendes und gerechtes Angesicht zeigt.

Es bröckelt. Irgendwo wird es immer bröckeln für uns, die wir leiden wo immer das Leben leidet, zu dem Gott seine Menschen doch geschaffen hat. Doch auch das Bröckeln ist Teil des Wegs.

Hiob stellt sich mit seinem Leben aller Ungerechtigkeit, Unwahrhaftigkeit und Feigheit entgegen. Es gibt wohl nichts, was unseren guten Vater im Himmel mehr freut und was diese leidgeschundene Erde mehr braucht.
Konsequent verweigert er der Gewalt, die ihn getroffen hat, die Herrschaft. Er hält sich an den guten Vater im Himmel und findet so einen Weg nicht zu verzweifeln. Auf diese Weise wirkt Hiob mit an der Entmachtung des Bösen. Am Ende des Hiobbuches lobt ihn Gott ausdrücklich für seine Wahrhaftigkeit. Den Freunden mit ihren frommen Korrektheiten erteilt er eine Absage. „Denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob.“ (Hiob 42,8)

So mancher Mensch hat seither diese Haltung angenommen, viele Märtyrer waren darunter.
Ich schließe die Predigt mit einem Text von der holländischen Jüdin Etty Hillesum über die Gefahr, in die Hände der Nazis zu fallen:
„Das Komische ist: Ich fühle mich gar nicht in ihren Klauen, weder wenn ich bleibe, noch wenn ich abtransportiert werde. ... ich fühle mich in niemandes Klauen, ich fühle mich nur in Gottes Armen, um es mal pathetisch zu sagen, und ob ich nun hier an dem mir so lieben und vertrauten Schreibtisch sitze oder ob ich nächsten Monat in einer armseligen Kammer im Judenviertel hause oder vielleicht in einem Arbeitslager unter SS-Bewachung stehe, ich werde mich überall und immer, glaube ich, in Gottes Armen fühlen. Man wird mich möglicherweise körperlich zugrunde richten, aber mir weiter nichts anhaben können“.

Denn wer Gott zum Vater hat, besiegt die Welt. Dabei ist es unser Glaube, mit dem wir den Sieg über die Welt erringen. (1. Johannes 5,4)
Es bleibt dabei: Wer glaubt, gewinnt Gott, unseren liebenden Vater im Himmel und mit ihm das Leben, das bleibt.

Amen.

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