Freitag, 23. September 2016

Prädikantin Barbara Birk-Häcker: Aufstieg in der Erbfolge - 4.Mose 27, 1-11

1 Und die Töchter Zelofhads, des Sohnes Hefers, des Sohnes Gileads, des Sohnes Machirs, des Sohnes Manasses, von den Geschlechtern Manasses, des Sohnes Josefs, mit Namen Machla, Noa, Hogla, Milka und Tirza kamen herzu 2 und traten vor Mose und vor Eleasar, den Priester, und vor die Stammesfürsten und die ganze Gemeinde vor der Tür der Stiftshütte und sprachen: 3 Unser Vater ist gestorben in der Wüste und war nicht mit unter der Rotte, die sich gegen den HERRN empörte, unter der Rotte Korach, sondern ist um seiner eigenen Sünde willen gestorben und hatte keine Söhne. 4 Warum soll denn unseres Vaters Name in seinem Geschlecht untergehen, weil er keinen Sohn hat? Gebt uns auch ein Erbgut unter den Brüdern unseres Vaters. 5 Mose brachte ihre Sache vor den HERRN. 6 Und der HERR sprach zu ihm: 7 Die Töchter Zelofhads haben recht geredet. Du sollst ihnen ein Erbgut unter den Brüdern ihres Vaters geben und sollst ihres Vaters Erbe ihnen zuwenden. 8 Und sage den Israeliten: Wenn jemand stirbt und keinen Sohn hat, so sollt ihr sein Erbe seiner Tochter zuwenden. 9 Hat er keine Tochter, sollt ihr's seinen Brüdern geben. 10 Hat er keine Brüder, sollt ihr's den Brüdern seines Vaters geben. 11 Hat sein Vater keine Brüder, sollt ihr's seinen nächsten Verwandten geben, die ihm angehören in seinem Geschlecht, damit sie es in Besitz nehmen. Das soll den Israeliten Gesetz und Recht sein, wie der HERR dem Mose geboten hat.  

Dies ist ein Text, der nicht in der württembergischen Perikopenordnung vorgesehen ist. Ist er Ihnen schon einmal begegnet beim eigenen Bibelstudium ? Oder vielleicht beim Weltgebetstag der Frauen 2004?
Obwohl ich auch als 5. Tochter meiner Eltern geboren wurde und keinen Bruder habe, muss ich gestehen, mir waren Zelofhads Töchter und die Sache mit dem Erbrecht des Volkes Israel neu. Als meine Eltern starben, war es selbstverständlich, dass das Erbe unter uns 5 Töchtern gerecht aufgeteilt wurde, und auch den Geburtsnamen kann eine Frau heute ohne weiteres an ihre Nachkommen vererben. Aber damals – damals musste man schon sehr mutig sein, um gleiche Rechte für Frauen einzufordern Fünf Frauen machen sich auf den Weg.

Schwestern sind sie, aufgewachsen in derselben Familie. Ob sie die Enttäuschung der Eltern zu spüren bekamen, dass sie „nur“ Mädchen sind?


Ganz sicher haben sich Eltern auch damals über die Geburt eines jeden Kindes gefreut. Über einen neu geborenen Sohn freute sich die Familie riesig. Er, der Stammhalter und Versorger der Eltern im Alter, wurde als großes Glück und Segen empfunden. Die Geburt eines kleinen Mädchens war auch schön, aber nicht zu vergleichen mit der eines Jungen. Bedenken sie, ein Mädchen wird vielleicht schon mit 12, 13 oder 14 Jahren die Familie verlassen und mit einem jungen Mann einer anderen Familie verheiratet werden. Sie wird sozusagen in den Besitz eines anderen übergehen, deshalb hält sich die Freude bei der Geburt eines kleinen Mädchens in Grenzen.

Nichts erfahren wir über die Mutter der Frauen. Wertschätzend sprechen sie von ihrem Vater. Er ist gestorben in der Wüste. Offenbar hat er den Strapazen der langen Wüstenwanderung nicht standgehalten, Hitze und Dürre, Entsagung und Durststrecken nicht ausgehalten. Er gehörte nicht zu denen, die sich gegen Gottes Wegführung empört haben. Er hat sich nicht aufgebäumt und gemeutert gegen Mose und Aaron, er ist nicht angestürmt gegen Gott, er hat nicht sein Lebensziel verfehlt in Vergehen und Schuld.
Dennoch bedeutet sein Sterben ohne männlichen Nachkommen nach gängigem Recht, dass sein Name ausgelöscht wird. Nichts wird künftig mehr an ihn erinnern. Seine Familie wird keinen Anteil am gelobten Land erhalten. Sie verschwindet im Nichts, obwohl fünf Frauen da sind, die leben wollen und die Zukunft so hoffnungsvoll vor ihnen liegen könnte. Doch erben dürfen nur Söhne. Ein trauriges Schicksal!

Diese 5 Frauen resignieren nicht. Sie versinken nicht in der Haltung: Man muss das Leben nehmen wie es ist, man kann ja doch nichts ändern. Sie nehmen die Missstände und die Ungerechtigkeit wahr. Gemeinsam werden sie initiativ. Sie wählen den geradlinigen, direkten Weg zum Führer des Volkes, zum Priester, zur Gemeinde, zu Gott. Bei ihnen wird nicht getrennt zwischen: Hier weltlich – da geistlich, hier Politik – da Kirche. An der Tür der Stiftshütte, in der Gegenwart Gottes, unter seiner Nähe bringen sie die Fragen des Lebens, die offensichtliche Ungerechtigkeit im Erbrecht zur Sprache, klar, deutlich, unmissverständlich. Sie legen ihre Argumente auf den Tisch: Wieso soll ein Geschlecht ganz ausgelöscht werden, nur weil keine Männer als Nachkommen da sind? Die Forderung ist deutlich: Gebt uns auch ein Erbteil!

Mose reagiert klug. Er weist sie nicht zurück, sondern handelt seines Amtes gemäß und nimmt die Angelegenheit mit ins Heiligtum, breitet die Bitte vor Gott aus. Er ist Mittler zwischen Mensch und Gott. Offen und hörbereit, aufmerksam und in der Verantwortung Gott gegenüber nimmt Mose die Anliegen der Frauen auf.

Faszinierend die Antwort Gottes: Die Töchter des Zelofhads haben recht geredet. Du sollst ihres Vaters Erbe ihnen zuwenden.

Mehr noch: Es bleibt nicht bei der kleinen, individuellen Lösung, so dass die 5 Frauen für ihre persönliche Lebenssituation zufrieden gestellt werden.
Auf Grund ihres engagierten Vorgehens kommt es zu einer generellen Klärung in Erbangelegenheiten. Künftig sollen immer die Frauen als Erbinnen eingesetzt werden, wenn keine Söhne da sind. Ja, sogar alle weitergehende Erbfolge wird klar geregelt.
Das war für Frauen im Volk Israel ein enormer Aufstieg um 1260 vor Christi Geburt!
Am Ende des 4. Mosebuches erfahren wir übrigens, dass führende Männer der Sippe noch einmal nachgekartet haben: Was passiert, wenn diese Frauen Männer aus anderen Stämmen heiraten?
Dann wird ihr Land Eigentum der Familie in die sie einheiraten und wir verlieren das Land endgültig.
Auch das regelte Mose – nach Rücksprache mit dem Herrn – für alle Zeiten.

Frauen gestalten die Zukunft! Was bedeutet dieses unerschrockene Auftreten der 5 Töchter in der Wüste für uns Frauen des 21. Jahrhunderts?

Unrecht, das wir sehen und empfinden, muss zur Sprache kommen, damit Veränderung geschehen kann. Auch für uns kann es zuweilen hilfreich sein, zusammen zu stehen, zusammen zu gehen, gemeinsam unser Anliegen auf den Weg zu bringen.
Für alle, die sich dem Urteil ausgesetzt sehen: Das Weib schweige in der Gemeinde können diese Frauen zur Ermutigung werden. Sie haben eben nicht geschwiegen, sie haben keine Instanz gescheut, sie sind hingetreten vor die Führungskräfte und Verantwortlichen und vor die ganze Gemeinde.
Ihr Gottvertrauen war größer als alle Widerstände, die aus Gewohnheitsrecht oder aus den traditionellen Vorteilen der Männer zu befürchten sind.

Und gerade dabei erfahren sie: Gott steht auf unsrer Seite, er hört uns, er erhört uns, er greift ein und verändert zum Guten.
Darauf können auch wir vertrauen, es Gott zutrauen. Er kann handeln, eingreifen, verändern auf allen Feldern unseres Lebens.
Darum können auch wir alles vor ihn bringen und gleichzeitig an den zuständigen „weltlichen“ Stellen zur Sprache bringen. Glauben und Handeln, Tun und Beten sind keine Gegensätze, sondern gehören auf´s Engste zusammen.
Zelofhads Töchter ermutigen uns die Zeit zum Handeln zu erkennen, Dinge beim Namen zu nennen, anstehende Aufgaben gemeinsam anzupacken mit großem Gottvertrauen und klarem unerschrockenem Auftreten Menschen gegenüber.

Schauen wir zum Schluss noch ins Neue Testament - wie verhält sich Jesus Frauen gegenüber?
Noch immer ist die Gesellschaftsordnung traditionell patriarchalisch geordnet.
Ja, er hat ausschließlich Männer als seine 12 Jünger gewählt. Sie stehen symbolisch für die 12 Stämme Israels.
Aber wir wissen von Frauen die ebenfalls mit ihm gezogen sind: Maria von Magdala, Johanna, die Frau des Chusa, Susanna und viele andere, die nicht namentlich genannt werden.
Jesus hatte nicht nur Schüler, sondern auch Schülerinnen, die an seinen Lippen hingen. Denken sie an die beiden Schwestern Maria und Martha und an die Auseinandersetzung zwischen den beiden. Und Jesus lobte Maria – sie hat den besten Teil gewählt.

Oder denken sie an die Frau am Brunnen von Samaria. Jesus hatte für damalige Verhältnisse gleich mehrere Grenzen überschritten. Er hat eine Frau angesprochen, dazu eine Samariterin, die von rechtgläubigen Juden eher abwertend gesehen werden. Außerdem war sie allein unterwegs, ohne männlichen Schutz und dann diskutiert er auch noch mit ihr und erzählt ihr vom Himmelreich. Undenkbar im traditionellen Denken der Menschen im Jahr 30 nach der Zeitenwende! Bei Jesus nicht!

Ein anderes Beispiel: Bei Matthäus Kap. 15 wird uns von Jesus erzählt, wie er mit einer nichtjüdischen Frau streitet und letzten Endes barmherzig ihre Tochter heilt.
Diese Frau war auch sehr mutig und gleichzeitig demütig. Als Jesus ihr erklärt, dass sein Auftrag allein dem Volk Israel gilt und es nicht richtig ist, wenn man den Kindern das Brot wegnimmt und es den Hunden vorwirft, argumentiert sie:“ Das stimmt, aber die kleinen Hunde dürfen doch die Krümel fressen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“
Eine Frau, die einem Mann Widerworte gibt! – und Jesus lobt ihren Glauben und tut was sie will! Unglaublich!

Und Paulus, dessen Auftrag es wurde, dass Evangelium über die ganze bekannte Welt auszubreiten, fand in Lydia, einer Frau in Philippi, den ersten Menschen in Europa, der zum Glauben an Jesus gekommen war.

Im Galaterbrief schreibt er von der großen christlichen Freiheit des Evangeliums: Hier ist nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.
Welch ein Aufstieg für die ganze Menschheit!
Amen.

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