Dienstag, 13. September 2016

Pfarrerin Bärbel Brückner-Walter: Hinausgehoben aus dem Alltag – die Geschichte einer Verklärung Matthäus 17,1-9

Liebe Gemeinde,
Kennen Sie das auch? Die Sehnsucht, einmal über allem zu stehen? Den Alltag hinter mir zu lassen ? Manchmal gibt es solche glücklichen Augenblicke, dann wird diese Sehnsucht ein wenig gestillt. Zum Beispiel im Urlaub, wenn ich einen Gipfel erklommen habe und von ganz weit oben auf einem Berg ins Tal hinunter schaue. Mir ging es so in diesen Wochen - bei den Wanderungen durch die ligurischen Berge: auf diesen Pfaden – manchmal durch Dickicht und Dornengestrüpp hindurch – dann plötzlich ein atemberaubender Ausblick, und ganz unten das Meer! Hinausgehoben aus dem Alltag, so ein Gefühl der Weite, ein Glücksgefühl inmitten wunderbarer Natur!

Manchmal sind es auch Begegnungen mit Menschen, in kostbaren Augenblicken des Glücks – ein Gefühl zu schweben! Über den Dingen zu stehen, die sonst so schwer nach unten ziehen können.

So ähnlich stelle ich es mir vor, damals; so mag es angefangen haben, als Jesus mit seinen engsten Vertrauten auf einen hohen Berg gegangen ist.

Ich lese aus dem Matthäus-Evangelium 17,1-9:
1 Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. 2 Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. 3 Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. 4 Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. 5 Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! 6 Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. 7 Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! 8 Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. 9 Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. 

Petrus, Jakobus und Johannes hatte er mitgenommen. An diesen hervorgehobenen Ort. Und da auf einmal sehen sie den, dem sie nachfolgen: ganz anders als bisher. Ganz neu wird der Blick, die Perspektive ist eine andere hier oben. Sie sehen ihn hier oben in neuem Licht – es überstrahlt jedes natürliche Licht: „…sein Angesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß…“ Doch damit nicht genug – bei dem verklärten Jesus erscheinen auch noch Mose und Elia! Die Großen der Geschichte Israels! Und gleich denken wir an den Berg Sinai oder Horeb: an Elia, an die Begegnung Moses mit Gott selbst, als er die 10 Gebote empfing. Und auch Elia darf auf dem Horeb Gottes Gegenwart spüren, ganz anders zwar als er jemals erwartet hat: überraschend anders, ja irritierend, fast verstörend. Nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer. Nicht in all dem, was er sich vorgestellt hat, begegnet er Gott. Nein, in einem stillen sanften Sausen – so heißt es in der Bibel nach Martin Luther. Der Jude Martin Buber übersetzt hier viel näher am hebräischen Text und kommt zu den wunderbaren Wortschöpfung: „eine Stimme verschwebenden Schweigens“.

So überraschend schnell diese beiden Figuren – Mose und Elia – erschienen sind, so schnell verschwinden sie auch schon wieder. Man kann sie nicht festhalten . „Herr, hier ist gut sein! Willst du, so wollen wir hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.“ Gerne hätte er es anders gehabt, der Petrus, der Fels. Erst recht nach seinem ganz persönlichen Gipfelerlebnis, dem Bekenntnis zu Jesus als dem Messias – Matthäus erzählt an anderer Stelle davon. Jetzt scheint doch alles erreicht zu sein! Petrus sieht den verklärten Gottessohn mit eigenen Augen! Bald wird der Messias seine Herrschaft aufrichten, und sie, seine Jünger, sind beteiligt! Was für eine glänzende Aussicht!

Doch es kommt ganz anders. Eine lichte Wolke überschattet sie; und sie macht Angst, die Stimme aus der Wolke: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören!“ Warum so ängstlich, Petrus? Und auch die beiden anderen. „Den sollt ihr hören!“ Das wolltet ihr doch!

Aber hast du wirklich alles gehört, Petrus? Auch die Andeutungen dieses so anderen Weges Jesu, eines Weges jenseits aller herrschaftlichen Aufstiege? Eines Weges bis hin zum Kreuz?

Das wollte dir nicht gefallen, dass der Sohn Gottes würde leiden müssen. Hast du vergessen, dass Jesus schon einmal auf einem hohen Berg stand? Allein über allem zu stehen, das hat er abgelehnt auf dem Berg der Versuchung, wo es doch so verlockend klingt! Es wäre ein Dienst an Satan gewesen. Sein Weg aber ist der Dienst an den Menschen – als Dienst an Gott.

Hast du nicht mehr im Ohr, Petrus, was Jesus auf jenem anderen Berg gepredigt hat: Selig sind die Leidenden, die Sanftmütigen, die Barmherzigen, die Friedensstifter.

„Den sollt ihr hören!“

Der aber sagt: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“ Und er berührt sie, und geht mit ihnen den Berg hinunter – mitten hinein in ihren Alltag und mitten hinein in das Elend der Welt. Mitten hinein auch in mein Leben, in meinen und deinen Alltag.

Um Aufstieg und Abstieg geht es also. Und um neu sehen, anders sehen und anders gesehen werden. Es geht darum, dass mein Blick nach oben Hoffnung in mir weckt, wo ich mich ganz unten am Boden fühle. Und – wenn ich meine, ganz oben angekommen zu sein, den Weg nach unten frei halte. Es geht darum, mit Christus den Berg auch wieder hinunter zu gehen. Hinunter in die Ebene alltäglichen Lebens und in die Niederungen menschlichen Lebens - und Leidens.

So gesehen werden die „Aufstiege“ des Lichtkunstfestivals um „Abstiege“ erweitert. Aber vielleicht wird diese andere Dimension in den Kunstwerken in der Region ja auch zu sehen sein. In diesem Festival, das uns als Predigerinnen und Prediger zu unserer Sommerpredigtreihe inspiriert hat. Es geht hier ja um das Medium »Licht«, es berührt den Bereich des Geistigen und Geistlichen– so schreiben die Veranstalter selbst. Und im Licht wird das gesamte Spektrum seiner metaphorischen Bedeutung erfahrbar, in allen Schattierungen. Wir dürfen gespannt sein, welche Lichtinstallationen an den fünf Nürtinger Orten zu sehen ein werden!

Berggeschichten könnten wir uns viele erzählen: unsere ganz persönlichen Geschichten von Aufstieg und Abstieg, von Erfolg und Misserfolg, von Licht und Schatten. Und vielleicht können wir deshalb auch die Hoffnungen, die enttäuschten Erwartungen, die Ängste und Irrwege, wie sie Petrus und die anderen beiden erlebt haben, ein gutes Stück weit mitgehen.

Es ist doch so schön, ganz oben zu sein, auf dem Berg!

Es ist so schön, Erfolg zu haben.

Es war so schön, als mein Leben noch in geordneten Bahnen verlief, als ich Arbeit hatte und eine Wohnung. Als meine Frau noch da war und das Leben sich von seiner schönen Seite gezeigt hat.

Es war so schön, als ich noch Zukunftspläne hatte, alles hat sich so leicht und lebendig angefühlt Es war so schön, als es in meiner Heimat noch keinen Krieg gegeben hat.

Doch dann kam der Abstieg: dann habe ich meinen Arbeitsplatz verloren, dann ist meine Frau von mir fortgegangen.

Dann habe ich angefangen zu trinken.

Dann kam die Flucht.

Dann hat es sich plötzlich so angefühlt, als ob ich am Abgrund stehe.

Solche Geschichten gibt es. Menschen erleben so etwas. Mag sein, dass sich Ihre „Berggeschichten“ anders anhören.

„Steh auf, hab keine Angst!“

„…eine Stimme verschwebenden Schweigens…“

Kann ich sie hören, diese Stimme?

Jesus sieht mich anders; anders als andere mich sehen – anders als ich selbst mich sehe. „Steh auf, hab keine Angst!“ Ein zarter Ruf, fast nur ein Hauch – und doch: der mich so ruft, geht mit mir zusammen den Berg hinunter. Bewahrt mich vor allzu luftigen Höhenflügen. Der mich so ruft, erdet mich und öffnet mir gleichzeitig den Blick nach oben: der verklärte Christus - die Niederungen menschlichen Lebens und Leidens blieben ihm nicht erspart – und doch: jetzt sehen sie ihn in ganz neuem Licht!

„Komm“ ruft er mir zu. „Komm und lass dich anschauen! Ganz! Ganz anders!“

Und da – auf einmal: die rettende Hand. Und ich bin nicht mehr allein. Da sorgt sich jemand um mich, und ich kann es geschehen lassen. Ich kann Hilfe annehmen. Ich gehe meinen Weg durch Höhen und Tiefen, erlebe helle und dunkle Tage, mühsames Arbeiten und wunderbar erholsame Urlaubstage, erfolgreiches Schaffen und Nächte voller Unruhe. Ich gehe diesen Weg nicht allein. Gott selbst mit mir „…eine Stimme verschwebenden Schweigens…“
Amen


Fürbittgebet
So zart und so leise – und doch so deutlich - Du, unser Gott, gegen die anderen Stimmen, die lauten: die Stimmen der Angst und des Zweifels, der Angst vor dem Terror, vor der angeblichen Kriegs- und Krisengefahr in unserem Land, der Angst vor Krankheit und Einsamkeit.

Die „Stimme verschwebenden Schweigens“ lässt uns den Weg ins Leben wagen, auch wenn es immer wieder Einbrüche gibt, wenn das Bedrohliche nicht so einfach weggewischt werden kann – nicht im Urlaub und nicht auf den Gipfeln dieser Welt.

Lasst uns das Leben neu sehen in göttlichem Licht, in der Gestalt des verklärten Christus!

Lasst uns auf seine Verheißung vertrauen: dass die Trauernden und die Leidenden getröstet werden, die Sanftmütigen das Erdreich besitzen, die Friedensstifter Gottes Kinder heißen und den Verfolgten das Himmelreich gehört.

So soll es sein, dass auch das tiefste Tal und noch so viel Ungelöstes seine lähmenden Schrecken verliert.

Lasst es hier herein leuchten, das strahlende Licht!
Lasst es uns erspüren, dass wir davon berührt werden!
Amen.

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