Sonntag, 6. September 2015

Birgit Mattausch: Aber der Menschensohn hat nichts. Predigt zu Lukas 9,57-62

Text: Lukas 9,57-62
Und als sie auf dem Weg waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst.
Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.

Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.
Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!

Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind.
Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.


Ich will dir folgen, Herr, wohin du gehst
Ich will dir folgen, Herr, wohin du gehst
Ich zieh nur eben andere Schuhe an
Und dann gehen wir 
von hier bis ans Meer
Du, ich, die anderen

Über Feldwege und durch Dörfer
Machen Rast unter Birke und Apfelbaum
Und zählen nachts die Sterne
Wir sprechen von Liebe und Traum
Waschen uns im Fluß und haben einander

Ich will dir folgen, Herr
Ich geh fort von Tisch und Bett
Geh weg von Streit und Tod
Und dann laufen wir
Laufen von hier bis ans Meer
  

Hatices Koffer
Ein Land und eine Grenze und eine Hoffnung und ein Koffer.
Braunes Leder mit Flecken und innen seidengrün.
Was hast du in den einen Koffer gepackt, Valentina, damals?
Und was Du, Hatice?
In den einen Koffer, den ihr mitnehmen konntet?

Ein letztes Mal die Katze füttern.
Der Kuh übers weiche Maul streicheln.
Wer hat euch gewunken, damals?
Wem gabt ihr den Schlüssel eures alten Hauses?
Wo stiegt ihr in den Zug?
Im Koffer vielleicht: ein Foto mit Knick.
An deiner Hand der goldene Ring der Mutter.
Später wirst du ihn tauschen gegen ein Kinderbett.
Aber das weißt du jetzt noch nicht.

Tränen und Schweigen. So viel Schmerz und so viel Mut.
 Was hast du in deine Seele gepackt, damals, Valentina?
Und was du, Hatice?
Eure seidengrünen, eure samtroten Seelen. 
Den Schatten von Birken, Geschmack von Oliven. Die heimlich gesprochene Sprache, die alten Worte.
Und den Blick der Soldaten an jenem einen Morgen. Der Geruch nach Angst und nach Blut, als du wusstest: du musst gehen.

Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.


Arturs Großvater
Arturs Großvater damals.
Ein kleines Haus. Mit kleinen Zimmern. Mit niedriger Decke.
Dahinter ein Garten.
2 Bäume.
4 Sträucher.
1 Hund

Ein kleiner Junge. Und ein alter Mann.
Ein Knie in einer grauen Hose.
Und zwei Kinderarme klammern sich daran.

Das war eine Stimme: Artur, wir müssen gehen.
Und ein lautes Weinen und ein: Nein. Nein. Nein.
Das war die alte Hand auf dem blonden Jungenskopf.
Und ein Streicheln und ein: Wir werden uns doch wieder sehen.

Und dann war es eine andere Hand und ein klappriges Auto, ein Koffer, ein Zug, eine Grenze, Pässe, ein Arzt.

Später Straßen ohne Müll.
Häuser ohne Hund.
Eine Wohnung, eine Schrankwand, eine Schule, eine Kirche, eine Gang: Bushaltestelle.

Und ein Grab – 5000 Kilometer ostwärts.
Ein Foto davon auf dem Handy: Mein heiliger Ort.

Lass die Toten ihre Toten begraben?


Aber der Menschensohn hat nichts
Das war ein Vogelruf am Morgen und der Geruch von Holz.
Und später war es der Wind vom Meer her und eine Stimme aus den Wolken:
Dies ist mein lieber Sohn. Auf ihn sollt ihr hören.

Und sie ließen die Netze fallen, die Spindeln, Spaten, Teller, Bücher. Und folgten ihm nach.
Wollten sein wie er.
Leben von der Hand in den Mund und von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kam.

Sein Mantel hatte keine Tasche.
Licht war um ihn und Kraft. Und Einsamkeit. Ja. Die auch.

Die Vögel hatten Nester. Und die Füchse hatten Gruben.
Aber er hatte nichts.


Mein Herz will dir folgen, Herr
Ich will dir folgen, Herr. Hab zwar Tisch und Bett, Konto, Kreditkarte, Krankenversicherung, Kühlschrank.
Hab Lohn und Brot und Himmel vorm Fenster und WLAN fast for free.
Und hab doch auch oft nichts, wohin ich mein Haupt legen könnte. Und mein Herz. Und meine Seele.

Ich will dir folgen, Herr.
Und ich will nie vergessen: du heißt auch Artur, heißt Valentina, heißt Hatice.

Und dein Reich beginnt unter Birken, Apfelbäumen.
An Grenzen, Übergängen, Wegkreuzungen.
Es ist eine Handvoll Oliven. Ist Schafgarbe im Wasserglas.
Fremde Sprache. Und ist Neuanfang.

Ich will dir folgen, Herr 
ch geh fort von Streit und Tod
Weg von Neid und engen Gedanken
Und dann laufen wir
Laufen von hier bis ans Meer
Du, ich und die anderen
Aus Zeiten, aus Welten

Wir sitzen am Ufer dann
Die Füße im Sand
Den Salzwind im Haar
Unsere Gesichter leuchten
Unsere Träume werden wahr
Der Horizont verschwimmt
Wir säen nicht. Wir ernten nicht. Wir sammeln nicht.
Sitzen nur da.
Und unser himmlischer Vater ernährt uns doch. 
Amen.

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