Liebe
Gemeinde, hätten Sie gedacht, dass dieses Liebesgeflüster in der Bibel steht?
Im Lied der Lieder – schir haschirim – im Hohelied, das Salomo zugeeignet wird,
aber nicht wirklich von ihm stammt. Ja, da kann man, kann frau es lesen und
sich daran freuen. In wunderschönen Bildern wenden sich zwei Liebende einander
zu, beschwören ihre Liebe, besingen sie und geben so viel davon weiter: von
ihrer Freude, ihrem Überschwang, ihrer Erfüllung! Heute dürfen sie zu Wort
kommen, wenn ich das überhaupt mit Worten beschreiben kann, was da passiert.
Ich möchte Sie einladen, Sie dürfen ruhig zuschauen und zuhören bei dem
Liebesspiel der beiden. Nicht umsonst ist dieses Liebeslied ja in der Bibel
aufgeschrieben, nicht umsonst. Nein, gewiss nicht! Aber warum eigentlich? Warum
dürfen wir Bibel Lesenden teilhaben an dem Liebesgeflüster dieser beiden?
Früher
haben die Bibelausleger – und das waren ausschließlich Männer – sie haben
versucht, das Hohelied anders zu lesen und zu verstehen: als Allegorie, im
übertragenen Sinn, als Bild für die Liebe zwischen Gott und den Menschen. Den
strengen Kirchenvätern der alten Kirche mag es peinlich gewesen sein, diese
Texte überhaupt zu lesen, für alles menschlich Körperliche und erst recht für
Sexualität hatten sie keinen Sinn
oder durften zumindest keinen Sinn – keine Sinne - dafür haben.
Inzwischen
sind sich fast alle Theologinnen und Theologen darin einig, dass es im Hohelied
um eine leidenschaftliche, erotische Liebe zwischen zwei Menschen geht. Und
gerade deshalb ist es gut, dass dieses Lied in der Bibel steht. Denn ist es
nicht eines der schönsten Gaben göttlicher Schöpfung, wenn sich Menschen in
gegenseitiger Liebe aneinander und miteinander erfreuen können? Und diese
Schöpfergabe darf, ja sie soll besungen werden, zum Lobe Gottes und der
Menschen als Gottes Geschöpfe! Von Gott in diese Welt gestellt mit ihren vielen
Möglichkeiten und Gefährdungen, mit der Gabe zu lieben - so erlebe ich mich, so
mögen auch Sie sich erleben - als Mann oder als Frau: zur Liebe fähig; und doch
will sie mir immer wieder entgleiten, die Liebe, die große. Im Hohelied kommt
sie mir wirklich groß entgegen - und nimmt mich mit auf einen wunderbaren
Liebespfad. Lassen auch Sie sich einladen, versuchen Sie einfach, sich zu
öffnen für diese außergewöhnliche Liebeslyrik der hebräischen Bibel, die weder
Scheu noch Scham kennt!
Wie
schön werden die beiden Liebenden! Wie schön in den Augen des geliebten
Partners, der geliebten Partnerin! „Mein Freund ist weiß und rot, auserkoren
unter vielen Tausenden. Sein Haupt ist das feinste Gold. Seine Locken sind
kraus, schwarz wie ein Rabe. Seine Augen sind wie tauben an den Wasserbächen,
sie baden in Milch und sitzen an reichen Wassern. Seine Wangen sind wie
Balsambeete, in denen Gewürzkräuter wachsen. Seine Lippen sind wie Lilien, die
von fließender Myrrhe triefen. Seine Finger sind wie goldene Stäbe, voller
Türkise. Sein Leib ist wie reines Elfenbein, mit Saphiren geschmückt. Seine Beine
sind wie Marmorsäulen, gegründet auf goldenen Füßen. Seine Gestalt ist wie der
Libanon, auserwählt wie Zedern. Sein Mund ist süß, und alles an ihm ist
lieblich. – So ist mein Freund, ihr Töchter Jerusalems!“ (Hld 5,10-16)
Stolz spricht sie von ihrem Geliebten, in diesen von orientalischer Natur und
Kultur geprägten Bildern! Ganz unverblümt beschreibt sie ihn so, wie sie sich
von ihm angezogen fühlt. Das ist das besondere an ihm, das für sie so besondere:
nur er hat, was sie begehrt. Er allein ist es, der sie mit Liebe erfüllt.
Und
er steht ihr in nichts nach, auch sie wird unter seinem liebenden Blick
wunderschön. So redet er sie an: „Siehe, meine Freundin, du bist schön!
Siehe, schön bist du! Deine Augen sind wie Taubenaugen hinter deinem Schleier.
Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die herabsteigen vom Gebirge Gilead. Deine
Zähne sind wie eine Herde geschorener Schafe, die aus der Schwemme kommen; alle
haben sie Zwillinge, und keines unter ihnen ist unfruchtbar. Deine Lippen sind
wie eine scharlachrote Schnur, und dein Mund ist lieblich. Deine Schläfen sind
hinter deinem Schleier wie eine Scheibe vom Granatapfel. Dein Hals ist wie der
Turm Davids…deine beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen, die
unter den Lilien weiden. Bis der Tag kühl wird und die Schatten schwinden, will
ich zum Myrrhenberge gehen und zum Weihrauchhügel. Du bist wunderschön, meine
Freundin, und kein Makel ist an dir.“ (Hld 4,1-7).
Und
so verzehren sie sich in Sehnsucht und lassen sich rufen. Er lockt sie zum
Liebesspiel: „Steh auf, meine Freundin! Komm mit mir, meine Braut!“ Sie wird
für ihn zur Lilie unter den Dornen, und er für sie wie ein Apfelbaum unter den
wilden Bäumen. „…unter
seinem Schatten zu sitzen begehre ich, und seine Frucht ist meinem Gaumen
süß…Seine Linke liegt unter meinem Haupte, und seine Rechte herzt mich….Mein
Freund gleicht einer Gazelle oder einem jungen Hirsch.“ -
„Du
hast mir das Herz genommen, meine Schwester, liebe Braut“ -seine Worte verraten ein bisschen
davon, um wie viel es geht: um alles! Das Körperliche steht im Mittelpunkt
dieser Liebeslyrik, aber ihre Liebe erschöpft sich nicht darin. Ihre Sexualität
ist vielmehr Ausdruck einer großen Liebe, die den und die andere ganz meint,
als Person, nicht als Objekt der eigenen Begierde. Als größtes Geschenk
vielmehr, das Menschen einander machen können. So singt sie: „Mein
Freund ist mein, und ich bin sein“. „Meinem Freund gehöre ich, und
nach mir steht sein Verlangen.“ Beide finden sie ihr Glück und ihre
Erfüllung nicht in sich selbst, sondern im andern. Beide werden für den
anderen, für die andere zur Quelle der Lust!
Und
so bleibt auch offen, wer führt und wer geführt wird. Es ist ein Spiel auf
Augenhöhe – welch revolutionäre Liebe in jener biblischen Zeit der Männerherrschaft! Es ist die
Frau, die begehrend das Lied eröffnet: „Er küsse mich mit dem Kusse seines
Mundes…!“ Das Spiel geht hin und her, ein Geben und Nehmen, es wechseln
aktiv und passiv, es wechselt, wer oben ist und wer unten. Alles bewegt sich,
die Dinge sind im Fluss. Natürlich gibt es männliches und weibliches, aber die
Zuteilung fließt: das Männliche ist nicht nur des Mannes, das Weibliche nicht
nur der Frau. In dieser Liebe verschwimmen die Grenzen, und die Liebenden
verlieren sich, aneinander und ineinander.
Wie
berührend schön diese Liebe besungen wird, so kennt sie doch eben auch das
andere, gefährdende. Aber vielleicht ist sie gerade deshalb so stark, die
Liebe, weil sie sich wehren muss. Gegen das dunkle, gewalttätige, und dagegen,
verloren zu gehen und zu verlieren. Da will sie ihm öffnen – „mein
Innerstes wallte ihm entgegen“. „Aber als ich meinem Freund aufgetan hatte,
war er weg und fortgegangen. Meine Seele war außer sich, dass er sich abgewandt
hatte. Ich suchte ihn, aber ich fand ihn nicht; ich rief, aber er antwortete
mir nicht.“ Der dunkle Untergrund, der die Liebe zerstört. Das Spiel
kann auch misslingen, die Liebe kann scheitern. Das kennen die Menschen zu
biblischer Zeit, auch davon wurde und wird gepredigt in diesem Sommer. Und das
kennen wir alle bis in unsere Tage. Wo Menschen einander ausnutzen, unter Druck
setzen, belügen, wo Gewalt im Spiel ist, wo die Würde des Partners, der
Partnerin mit Füßen getreten wird, wo Liebe mit Besitzenwollen oder mit der
Befriedigung der eigenen Bedürfnisse verwechselt wird, wo das Umfeld der
Liebenden einen störenden, ja zerstörerischen Einfluss ausübt, da ist die Liebe
in Gefahr. „Es
fanden mich die Wächter, die in der Stadt umhergehen; die schlugen mich wund.“ Gewalt
muss sie erleiden, schlimme Gewalt. „Die Wächter auf der Mauer nahmen mir meinen
Überwurf.“ Eine Andeutung oder Anspielung auf jene wohl schrecklichste,
entwürdigendste Form der Gewalt – vor schwarzen Abgründen also entfaltet sich der
helle Liebeszauber des Hohelieds. „Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems,
findet ihr meinen Freund, so sagt ihm, dass ich vor Liebe krank bin!“
Sie
finden sich. Gegen alles, was sich zwischen die Liebenden drängen will, über
alles, was ihre Liebe gefährdet, scheint sie erhaben, die Liebe: das Spiel geht
weiter. Aber am Ende dieser Liebeslyrik schwingt noch ein anderer, ein neuer Ton
mit hinein. „Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm.
Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich.
Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, sodass auch viele Wasser die
Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können. Wenn einer alles
Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so könnte das alles nicht
genügen.“ Er führt über die beiden Liebenden
hinaus, dieser neue Ton. Weil diese Liebe alles
überbietet. Es gibt nichts stärkeres – „Liebe ist stark wie der Tod…ihre Glut ist
feurig und eine Flamme des Herrn…“ In dieser so alles überbordenden
Liebe ist Gott selbst! Es ist das erste und einzige Mal, ganz am Schluss des
Hohelieds, dass sich Göttliches hinein mischt. Und mit welcher Kraft, mit
welchem Gewicht! Nichts könnte dies aufwiegen! Und auch nicht die dunkelsten
Gefährdungen der Liebe, die ja so menschlich sind, können dem trotzen. Denn
Göttliches ist ja immer schon da – in der Liebe, die beiden Liebenden haben’s
längst schon gespürt, auch wenn’s nicht so direkt ausgesprochen wurde. Aber was
ist’s denn anderes, wenn wir lieben, als dem entgegen zu leben, wofür uns Gott
geschaffen und befähigt hat! Und so darf diese Liebeslyrik am Ende – und
eigentlich schon von Anfang an – sich viel weiter gefasst und verstanden
wissen: als Weg der Liebe, der so verlockend besungen wird, auf dem ich Gott
begegnen und erspüren darf. Als Weg der Erotik – mit all den Schattierungen,
die weit über das liebende Miteinander zweier Menschen hinaus weisen. Und auf
diesem Weg darf ich mich immer wieder als Anfängerin bewegen – als Anfängerin
der Liebe, die auch Fehler macht, die anderen vieles schuldig bleibt und doch
immer wieder neu auf die Suche geht: auf die Suche nach der Liebe mit ihrer
feurigen Glut und ihrer unwiderstehlichen Leidenschaft! Amen.
Gott, du Melodie meines Lebens,
Gott, du Melodie meines Lebens,
du Klang und Musik –
sanft und zart
kraftvoll und stark –
geheimnisvoll mich
liebkosend
berührend umfassend
oft so fern – und
dann wieder
in mir, Gott.
Öffne meine Ohren –
damit ich deinen
Klang höre
streichle meine Haut
–
damit ich deine
Berührung spüre
nimm mich in den Arm
–
damit mein Herz Ruhe
findet in dir
damit mein Körper
Antwort ist
meine Lippen Worte
formen
kann ich zur Antwort
werden
und zögernd erklingt
mein Lied
in der Welt für dich
und die Menschen:
für alle, die sich
geliebt wissen und Liebe weiterschenken
für alle, die leiden
und sich nach Liebe sehnen –
für die Opfer von
Hass und Gewalt in der Ukraine, im nahen und mittleren Osten und überall auf
der Welt, wo Krieg und Unfrieden herrschen.
Gott – du Melodie
allen Lebens,
lass deine Menschen
das Lied des Lebens und der Liebe singen.
Vaterunser im Himmel...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen