Samstag, 13. September 2014

Barbara Brückner-Walter: Komm her, meine Schöne! (Hoheslied)

„Siehe, mein Freund, du bist schön und lieblich!“ Sagt sie. Und er:  „Siehe, meine Freundin, du bist schön; schön bist du, deine Augen sind wie Taubenaugen.“
Liebe Gemeinde, hätten Sie gedacht, dass dieses Liebesgeflüster in der Bibel steht? Im Lied der Lieder – schir haschirim – im Hohelied, das Salomo zugeeignet wird, aber nicht wirklich von ihm stammt. Ja, da kann man, kann frau es lesen und sich daran freuen. In wunderschönen Bildern wenden sich zwei Liebende einander zu, beschwören ihre Liebe, besingen sie und geben so viel davon weiter: von ihrer Freude, ihrem Überschwang, ihrer Erfüllung! Heute dürfen sie zu Wort kommen, wenn ich das überhaupt mit Worten beschreiben kann, was da passiert. Ich möchte Sie einladen, Sie dürfen ruhig zuschauen und zuhören bei dem Liebesspiel der beiden. Nicht umsonst ist dieses Liebeslied ja in der Bibel aufgeschrieben, nicht umsonst. Nein, gewiss nicht! Aber warum eigentlich? Warum dürfen wir Bibel Lesenden teilhaben an dem Liebesgeflüster dieser beiden?
Früher haben die Bibelausleger – und das waren ausschließlich Männer – sie haben versucht, das Hohelied anders zu lesen und zu verstehen: als Allegorie, im übertragenen Sinn, als Bild für die Liebe zwischen Gott und den Menschen. Den strengen Kirchenvätern der alten Kirche mag es peinlich gewesen sein, diese Texte überhaupt zu lesen, für alles menschlich Körperliche und erst recht für Sexualität  hatten sie keinen Sinn oder durften zumindest keinen Sinn – keine Sinne - dafür haben.   
Inzwischen sind sich fast alle Theologinnen und Theologen darin einig, dass es im Hohelied um eine leidenschaftliche, erotische Liebe zwischen zwei Menschen geht. Und gerade deshalb ist es gut, dass dieses Lied in der Bibel steht. Denn ist es nicht eines der schönsten Gaben göttlicher Schöpfung, wenn sich Menschen in gegenseitiger Liebe aneinander und miteinander erfreuen können? Und diese Schöpfergabe darf, ja sie soll besungen werden, zum Lobe Gottes und der Menschen als Gottes Geschöpfe! Von Gott in diese Welt gestellt mit ihren vielen Möglichkeiten und Gefährdungen, mit der Gabe zu lieben - so erlebe ich mich, so mögen auch Sie sich erleben - als Mann oder als Frau: zur Liebe fähig; und doch will sie mir immer wieder entgleiten, die Liebe, die große. Im Hohelied kommt sie mir wirklich groß entgegen - und nimmt mich mit auf einen wunderbaren Liebespfad. Lassen auch Sie sich einladen, versuchen Sie einfach, sich zu öffnen für diese außergewöhnliche Liebeslyrik der hebräischen Bibel, die weder Scheu noch Scham kennt!
Wie schön werden die beiden Liebenden! Wie schön in den Augen des geliebten Partners, der geliebten Partnerin! „Mein Freund ist weiß und rot, auserkoren unter vielen Tausenden. Sein Haupt ist das feinste Gold. Seine Locken sind kraus, schwarz wie ein Rabe. Seine Augen sind wie tauben an den Wasserbächen, sie baden in Milch und sitzen an reichen Wassern. Seine Wangen sind wie Balsambeete, in denen Gewürzkräuter wachsen. Seine Lippen sind wie Lilien, die von fließender Myrrhe triefen. Seine Finger sind wie goldene Stäbe, voller Türkise. Sein Leib ist wie reines Elfenbein, mit Saphiren geschmückt. Seine Beine sind wie Marmorsäulen, gegründet auf goldenen Füßen. Seine Gestalt ist wie der Libanon, auserwählt wie Zedern. Sein Mund ist süß, und alles an ihm ist lieblich. – So ist mein Freund, ihr Töchter Jerusalems!“ (Hld 5,10-16) Stolz spricht sie von ihrem Geliebten, in diesen von orientalischer Natur und Kultur geprägten Bildern! Ganz unverblümt beschreibt sie ihn so, wie sie sich von ihm angezogen fühlt. Das ist das besondere an ihm, das für sie so besondere: nur er hat, was sie begehrt. Er allein ist es, der sie mit Liebe erfüllt.
Und er steht ihr in nichts nach, auch sie wird unter seinem liebenden Blick wunderschön. So redet er sie an: „Siehe, meine Freundin, du bist schön! Siehe, schön bist du! Deine Augen sind wie Taubenaugen hinter deinem Schleier. Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die herabsteigen vom Gebirge Gilead. Deine Zähne sind wie eine Herde geschorener Schafe, die aus der Schwemme kommen; alle haben sie Zwillinge, und keines unter ihnen ist unfruchtbar. Deine Lippen sind wie eine scharlachrote Schnur, und dein Mund ist lieblich. Deine Schläfen sind hinter deinem Schleier wie eine Scheibe vom Granatapfel. Dein Hals ist wie der Turm Davids…deine beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen, die unter den Lilien weiden. Bis der Tag kühl wird und die Schatten schwinden, will ich zum Myrrhenberge gehen und zum Weihrauchhügel. Du bist wunderschön, meine Freundin, und kein Makel ist an dir.“ (Hld 4,1-7).
Und so verzehren sie sich in Sehnsucht und lassen sich rufen. Er lockt sie zum Liebesspiel: „Steh auf, meine Freundin! Komm mit mir, meine Braut!“ Sie wird für ihn zur Lilie unter den Dornen, und er für sie wie ein Apfelbaum unter den wilden Bäumen.  „…unter seinem Schatten zu sitzen begehre ich, und seine Frucht ist meinem Gaumen süß…Seine Linke liegt unter meinem Haupte, und seine Rechte herzt mich….Mein Freund gleicht einer Gazelle oder einem jungen Hirsch.“ -
„Du hast mir das Herz genommen, meine Schwester, liebe Braut“ -seine Worte verraten ein bisschen davon, um wie viel es geht: um alles! Das Körperliche steht im Mittelpunkt dieser Liebeslyrik, aber ihre Liebe erschöpft sich nicht darin. Ihre Sexualität ist vielmehr Ausdruck einer großen Liebe, die den und die andere ganz meint, als Person, nicht als Objekt der eigenen Begierde. Als größtes Geschenk vielmehr, das Menschen einander machen können. So singt sie: „Mein Freund ist mein, und ich bin sein“. „Meinem Freund gehöre ich, und nach mir steht sein Verlangen.“ Beide finden sie ihr Glück und ihre Erfüllung nicht in sich selbst, sondern im andern. Beide werden für den anderen, für die andere zur Quelle der Lust!
Und so bleibt auch offen, wer führt und wer geführt wird. Es ist ein Spiel auf Augenhöhe – welch revolutionäre Liebe in jener biblischen  Zeit der Männerherrschaft! Es ist die Frau, die begehrend das Lied eröffnet: „Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes…!“ Das Spiel geht hin und her, ein Geben und Nehmen, es wechseln aktiv und passiv, es wechselt, wer oben ist und wer unten. Alles bewegt sich, die Dinge sind im Fluss. Natürlich gibt es männliches und weibliches, aber die Zuteilung fließt: das Männliche ist nicht nur des Mannes, das Weibliche nicht nur der Frau. In dieser Liebe verschwimmen die Grenzen, und die Liebenden verlieren sich, aneinander und ineinander.
Wie berührend schön diese Liebe besungen wird, so kennt sie doch eben auch das andere, gefährdende. Aber vielleicht ist sie gerade deshalb so stark, die Liebe, weil sie sich wehren muss. Gegen das dunkle, gewalttätige, und dagegen, verloren zu gehen und zu verlieren. Da will sie ihm öffnen – „mein Innerstes wallte ihm entgegen“. „Aber als ich meinem Freund aufgetan hatte, war er weg und fortgegangen. Meine Seele war außer sich, dass er sich abgewandt hatte. Ich suchte ihn, aber ich fand ihn nicht; ich rief, aber er antwortete mir nicht.“ Der dunkle Untergrund, der die Liebe zerstört. Das Spiel kann auch misslingen, die Liebe kann scheitern. Das kennen die Menschen zu biblischer Zeit, auch davon wurde und wird gepredigt in diesem Sommer. Und das kennen wir alle bis in unsere Tage. Wo Menschen einander ausnutzen, unter Druck setzen, belügen, wo Gewalt im Spiel ist, wo die Würde des Partners, der Partnerin mit Füßen getreten wird, wo Liebe mit Besitzenwollen oder mit der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse verwechselt wird, wo das Umfeld der Liebenden einen störenden, ja zerstörerischen Einfluss ausübt, da ist die Liebe in Gefahr. „Es fanden mich die Wächter, die in der Stadt umhergehen; die schlugen mich wund.“ Gewalt muss sie erleiden, schlimme Gewalt. „Die Wächter auf der Mauer nahmen mir meinen Überwurf.“ Eine Andeutung oder Anspielung auf jene wohl schrecklichste, entwürdigendste Form der Gewalt – vor schwarzen Abgründen also entfaltet sich der helle Liebeszauber des Hohelieds. „Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, findet ihr meinen Freund, so sagt ihm, dass ich vor Liebe krank bin!“
Sie finden sich. Gegen alles, was sich zwischen die Liebenden drängen will, über alles, was ihre Liebe gefährdet, scheint sie erhaben, die Liebe: das Spiel geht weiter. Aber am Ende dieser Liebeslyrik schwingt noch ein anderer, ein neuer Ton mit hinein. „Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, sodass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so könnte das alles nicht genügen.“   Er führt über die beiden Liebenden hinaus, dieser neue Ton. Weil diese Liebe alles überbietet. Es gibt nichts stärkeres – „Liebe ist stark wie der Tod…ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn…“ In dieser so alles überbordenden Liebe ist Gott selbst! Es ist das erste und einzige Mal, ganz am Schluss des Hohelieds, dass sich Göttliches hinein mischt. Und mit welcher Kraft, mit welchem Gewicht! Nichts könnte dies aufwiegen! Und auch nicht die dunkelsten Gefährdungen der Liebe, die ja so menschlich sind, können dem trotzen. Denn Göttliches ist ja immer schon da – in der Liebe, die beiden Liebenden haben’s längst schon gespürt, auch wenn’s nicht so direkt ausgesprochen wurde. Aber was ist’s denn anderes, wenn wir lieben, als dem entgegen zu leben, wofür uns Gott geschaffen und befähigt hat! Und so darf diese Liebeslyrik am Ende – und eigentlich schon von Anfang an – sich viel weiter gefasst und verstanden wissen: als Weg der Liebe, der so verlockend besungen wird, auf dem ich Gott begegnen und erspüren darf. Als Weg der Erotik – mit all den Schattierungen, die weit über das liebende Miteinander zweier Menschen hinaus weisen. Und auf diesem Weg darf ich mich immer wieder als Anfängerin bewegen – als Anfängerin der Liebe, die auch Fehler macht, die anderen vieles schuldig bleibt und doch immer wieder neu auf die Suche geht: auf die Suche nach der Liebe mit ihrer feurigen Glut und ihrer unwiderstehlichen Leidenschaft! Amen.

Gott, du Melodie meines Lebens,
du Klang und Musik –
sanft und zart
kraftvoll und stark –
geheimnisvoll mich liebkosend
berührend umfassend
oft so fern – und dann wieder
in mir, Gott.
Öffne meine Ohren –
damit ich deinen Klang höre
streichle meine Haut –
damit ich deine Berührung spüre
nimm mich in den Arm –
damit mein Herz Ruhe findet in dir
damit mein Körper Antwort ist
meine Lippen Worte formen
geborgen in dir, du mein Gott,
kann ich zur Antwort werden
und zögernd erklingt mein Lied
in der Welt für dich
und die Menschen:
für alle, die sich geliebt wissen und Liebe weiterschenken
für alle, die leiden und sich nach Liebe sehnen –
für die Opfer von Hass und Gewalt in der Ukraine, im nahen und mittleren Osten und überall auf der Welt, wo Krieg und Unfrieden herrschen.
Gott – du Melodie allen Lebens,
lass deine Menschen das Lied des Lebens und der Liebe singen.
Vaterunser im Himmel...

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