heute soll es n der Sommerpredigtreihe
„Liebesgeschichten“ um eine Beziehung gehen, die wie keine andere im Neuen Testament
seit jeher zu geheimnisvollen Spekulationen und raunenden Vermutungen Anlass
gegeben hat: Es geht um die Beziehung zwischen Maria Magdalena und
Jesus.
Wer war diese Frau, die in den Evangelien im Neuen Testament
mehrmals erwähnt wird und ganz offensichtlich zum engeren Umfeld um Jesus
gehört hat?
War Maria vielleicht nicht nur eine von vielen
Jüngerinnen, sondern Jesu besondere Vertraute, vielleicht sogar die Geliebte
Jesu? Hatte Jesus ein Verhältnis mit einer ehemaligen Prostituierten?
War Maria Magdalena womöglich eine von den männlichen Aposteln später
verdrängte Apostelin, die Jesus als Leiterin der Jüngerschaft eingesetzt
hatte?
Oder war sie gar die Frau von Jesus und die Mutter von
gemeinsamen Kindern mit Jesus? Der Film „Sakrileg“, der gerade in den Kinos
läuft nach dem Buch „Der Da Vinci-Code“ treibt die Vermutungen sogar so weit
auf die Spitze, dass darin nahe gelegt wird, über die ganze
Kirchengeschichte hinweg seien die leiblichen Nachfahren Jesu von der Kirche
totgeschwiegen und verfolgt worden, um auf keinen Fall die Göttlichkeit Jesu zu
gefährden.
Viele solcher sensationellen und abenteuerlichen Vermutungen
haben zurzeit Konjunktur im Kielwasser dieses Bestsellers von Dan Brown. Ich
habe allein 18 neue deutschsprachige Romane und Populärsachbücher gezählt, die
zwischen 2004 und 2006 zum Thema Jesus und Maria Magdalena erschienen sind.
Warum bietet gerade die Beziehung zwischen Jesus und
Maria Magdalena so viel Anlass für geheimnisumwitterte Verschwörungstheorien?
Ich möchte versuchen, mich mit ihnen auf eine Spurensuche
zu begeben, die uns helfen soll, das Wichtige vom Unwichtigen und das
Wahrscheinliche vom Unwahrscheinlichen zu trennen.
Eine erste wichtige Wurzel für die Spekulationen um
Maria Magdalena ist die Gleichsetzung von Maria Magdalena mit der
„großen Sünderin“. Im Lukasevangelium wird von einer Frau berichtet, die Jesu
Füße mit ihren Tränen benetzt und seine Füße salbt - und dass die Anwesenden
sich darüber ärgern, weil sie als stadtbekannte Sünderin gilt. Man vermutet, dass
diese „Sünderin“ vielleicht eine Ehebrecherin oder eine Prostituierte
gewesen ist.
Es gibt allerdings in der Bibel keinen Namen von
dieser Frau. Und es gibt erst recht keinerlei
Hinweis, dass diese Frau und Maria Magdalena ein und dieselbe Person
gewesen wäre.
Erst relativ spät - im Jahr 519 - hatte Papst Gregor der
Erste in einer Predigt Maria von Magdala mit dieser anonymen Prostituierten gleichgesetzt
- und seitdem hielt sich diese legendäre Verbindung hartnäckig bis heute,
obwohl es dafür keinerlei biblischen Beleg gibt. Diese legendäre Sicht von
Maria als ehemaliger Dirne hat in gewisser Weise die Beziehung zwischen Jesus
und Maria Magdalena erotisch aufgeladen. Jesus und eine Liebesverhältnis
- das war spannend für alle, denen sowieso die oft enge moralistische Haltung
der Kirche ein Dorn im Auge war. Bestärkt werden konnte das durch eine späte
gnostische Schrift, das so genannten Philippus-Evangelium von etwa 150 nach
Christus: Dort wird erzählt, dass Jesus Maria wiederholt auf den Mund geküsst habe
und sie als seine Gefährtin bezeichnet wurde. Geprägt ist diese spätchristliche
Schrift von einer deutlichen sektiererischen Kritik am Hauptkurs der damaligen
Christenheit - und da hat man dann eben auch
das traditionelle Verständnis von Jesus kräftig umgedeutet!
Jesus und Maria Magdalena als seine Geliebte! Eine solche Vorstellung
von einer Liebesbeziehung Jesu mit einer Frau, noch dazu mit einer „gefallenen“
Frau, war für die etablierte Kirche immer ein Provokation ersten Ranges.
Hier konnte sich alle Kirchenkritik, alle
Kritik am Männerklerus und der Leibfeindlichkeit der Kirche besonders gut
anlagern und ausdrücken. Und so ist es bis heute geblieben! Die behauptete verbotene
Liebe zwischen Maria Magdalena und Jesus wurde zum Symbol für den Verdacht,
dass die Macht und die Lehre der Kirche die Wahrheit immer wieder
unterdrückt und verbogen habe.
Was aber wissen wir nun eigentlich wirklich über
diese Maria?
Die ältesten und ersten Quellen sind die Evangelien.
Aus den Stellen, wo Maria namentlich erwähnt wird, können wir entnehmen: Maria stammte aus Magdala beim See Genezareth
- richtig übersetzt ist ihr Name also eigentlich
„Maria aus Magdala“. Im Lukasevangelium wird erwähnt, dass
ihr durch Jesus sieben Dämonen ausgetrieben wurden. Zusammen mit anderen
von Jesus geheilten Frauen hat sie Jesus und die 12 Jünger begleitet und
mit ihrem Besitz für den Unterhalt Jesu gesorgt. Dabei wird Maria aber
in keiner Weise den anderen namentlich genannten Frauen gegenüber - Johanna und
Susanna - irgendwie besonders herausgehoben. Sowohl Markus wie Lukas berichten,
dass Maria zusammen mit anderen Frauen bei der Kreuzigung Jesu zuschaute
und die Frauen auch mitverfolgten, wohin sein Leichnam gelegt wurde. Maria aus
Magdala war dann zusammen mit zwei anderen Frauen die erste Osterzeugin,
nachdem sie frühmorgens zum Grab gingen, um den toten Jesus zu salben.
Im Johannesevangelium Kapitel 20 wird dann
ausführlicher die Begegnung von Maria mit dem auferstandenen Jesus geschildert:
Das leere Grab lässt die tief traurige Maria von Magdala zuerst - ganz natürlich
- daran denken, dass der Leichnam Jesu irgendwie weggetragen worden sei. Sie
erkennt den Auferstandenen nicht, hält ihn für den Gärtner und erst als Jesus
sie beim Namen ruft, begreift sie, wer vor ihr steht. Als sie ihn erkennt, ruft
sie voll Freude aus: „Rabbuni“ - das heißt übersetzt: „Mein Lehrer!“. Diese
Bezeichnung beschreibt im Grunde das Verhältnis Marias zu Jesus: Er ist
der von ihr hoch verehrte, vertraute Lehrer, der sie geheilt hat.
Dafür war sie ihm dankbar und sie hat ihren Dank als
Fürsorge für Jesus zurückzugeben versucht. Entgegen aller damaligen Hintansetzung
der Frauen ließ Jesus sie zusammen mit anderen Frauen seine Schülerinnen sein,
die zusammen mit den männlichen Jüngern ihm nachfolgten.
Dass Maria und Jesus ein durchaus herzliches
Verhältnis zueinander hatten, könnte man dem Hinweis entnehmen, dass sie ihn nach
dem Bericht des Johannesevangelium gleich umarmen wollte, als sie ihn dann
am Ostermorgen erkannte. Es mag wohl auch möglich sein, dass sie für
diesen Mann als Frau liebevolle Gefühle empfunden hat. Und es ist nicht
einmal völlig auszuschließen, dass auch Jesus zu ihr eine besondere Zuneigung
gehabt hat. Immerhin redet das Johannesevangelium auch von dem Jünger, den er besonders
lieb gehabt hatte und gibt damit der Möglichkeit Raum, dass es auch bei
dem Menschen Jesus Gefühle schwächerer und stärkerer persönlicher Zuneigung
gab. Aber - wir wissen es nicht!
Nichts aber deutet darauf hin, dass Maria von Magdala
zu Jesus eine intime Liebesbeziehung gehabt hätte.
Jesu Worte zur Ehe, die in allen Evangelien gleich lautend
überliefert sind, zeigen, dass er das Gebot: „Du sollst nicht
ehebrechen!“ sehr ernst genommen hat. „Jeder, der eine Ehefrau
ansieht, um sie zu begehren, hat ihr gegenüber in seinem Herzen schon Ehebruch
begangen“, sagt Jesus radikal in der Bergpredigt. Und das
schließt nach damaligem Verständnis natürlich selbstverständlich jede außereheliche
intime Beziehung sowieso aus. Dass Jesus diesem hohen Ehe-Ideal mit
einer intimen Liebesbeziehung mit Maria Magdalena öffentlich völlig
selbst widersprochen hätte, das ist einfach ganz unwahrscheinlich und es
finden sich dafür in der biblischen Überlieferung tatsächlich auch keinerlei
Spuren.
Ist es denn dann überhaupt gar keine Liebesgeschichte
- diese Beziehung zwischen Jesus und Maria von Magdala?
Es kommt darauf an, was man unter Liebe versteht!
Dass Liebe sehr viel mehr umfasst, als die erotische
Liebe, das macht gerade das biblische Zeugnis klar.
Gerade die griechisch Sprache, in der das Neue Testament
verfasst ist, hat für die Liebe nicht nur ein Wort, sondern mehrere
Worte. Wenn von der väterlich-mütterlichen Liebe Gottes geredet wird,
dann geht es um die fürsorgende, elterliche Liebe, die agape. Die Nächstenliebe,
von der Jesus redet und erst recht die Feindesliebe hat nichts mit Sympathie zu
tun, sondern mit der christlichen Verantwortung, den anderen als Geschöpf
Gottes zu achten. Und wenn Jesus insbesondere seine Jünger und Jüngerinnen
aufruft: „Liebet einander, wie ich euch geliebt habe!“, dann geht
es um die Hingabe und Treue, die Jesus vorgelebt hat und mit der allerengste Freunde
füreinander einstehen. Wenn der auferstandene Christus dann am Schluss des
Johannesevangeliums Petrus dreimal fragt: „Hast du mich lieb?“, dann
geht es da um den vertrauenden Glauben, der in Jesus das
freundliche Angesicht Gottes erkannt hat.
Es gibt eben nicht nur die Liebe als
leidenschaftliches erotisches Gefühl zwischen zwei Verliebten, sondern es gibt
auch die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind, die tiefe Zuneigung unter Freunden
und die barmherzige Liebe Gottes zu den Menschen.
Von dieser Erkenntnis aus - meine ich - ist die
Geschichte von Maria von Magdala und Jesus tatsächlich eine ganz eigene
Liebesgeschichte! Auch wenn das menschliche Sensationsbedürfnis durch Marias
Liebesgeschichte zu Jesus nicht bedient werden kann, so spielen doch
darin Dinge eine Rolle, die wesentliche Bestandteile wirklicher Liebe
sind.
Das erste wichtige Element der Liebe bei Maria
ist die Dankbarkeit. Sie wurde durch Jesus von irgendeiner
wahrscheinlich seelischen Gefangenheit und Qual befreit und geheilt. Geheilt
zu sein war für sie nicht irgendeine Selbstverständlichkeit, sondern sie war Jesus
dafür offensichtlich tief dankbar - so dankbar, dass sich ihre
Dankbarkeit in der Hingabe für seine Sache ausdrückte. Sie hat ihn
materiell unterstützt und wollte mehr wissen von diesem Lehrer. Dass Jesus sie
mit anderen Frauen mitziehen ließ durch Galiläa war eine für uns heute kaum
mehr nachvollziehbare Besonderheit, eine ungeheure Aufwertung und
Gleichstellung dieser Frauen. So geachtet und respektiert zu werden
hat Marias Zuneigung zu Jesus sicher noch besonders gestärkt. Als dann
nach der Gefangennahme Jesu fast alle Jünger flohen und ein Petrus gar Jesus
dreimal verleugnete, hat sie den Mut, nicht zu fliehen, sondern Jesus
auf seinem Weg in die Isolation treu zu begleiten, so gut es möglich war. Sie
steht am Kreuz. Sie folgt zum Grab. Sie möchte ihm auch nach dem Tod einen
letzten Liebesdienst erweisen und wird am Ostermorgen dann zur Auferstehungszeugin,
die nur allmählich begreift, dass ihre Liebe keine verlorene
Liebe ist. Jesus ist für sie da - allerdings nun nicht mehr als der bewunderte
Lehrer, sondern als der Gesalbte Gottes, der endzeitliche Messias, in dem Gottes
Liebe zu ihr und zu allen Menschen Gestalt geworden
ist.
Dankbarkeit, Hingabe, respektiert werden, Mut und Treue -
all das sind ganz wesentliche Bestandteile wirklicher Liebe. Solche Liebe hat
Maria von Magdala gelebt in der Nachfolge Jesu - und mir scheint, sie
wäre darin ein gutes Modell für unser Verständnis von Nachfolge Jesu,
für unsere Liebe zu Gott im Glauben:
Dankbarkeit für von Gott geschenkte Heilungen und Befreiungen im Leben.
Fürsorgliche Hingabe im Tun des Guten.
Freude darüber, von Christus als eigener Mensch
gewürdigt und geliebt zu werden.
Mut, sich zu Christus zu bekennen.
Treue im Festhalten an ihm.
Nachfolgen in diesem Sinn, liebe Gemeinde, heißt:
Jesus lieben! - und Maria von Magdala hat diese
Liebe in der Nachfolge Jesu vorgemacht!
War
es also eine Liebesgeschichte zwischen Jesus und Maria von Magdala? Ja, es war
eine Liebesgeschichte, die viel, wenn auch nicht alles von der
Bandbreite menschlicher Liebe umfasste.
Vielleicht
könnte man Maria am ehesten als eine Freundin Jesu bezeichnen - und zwar
in dem Sinn, in dem Jesus seine Jünger im Johannesevangelium „Freunde“ genannt
hat.
Jesus
unterscheidet dort den Freund vom Knecht, der bloßer
Befehlsempfänger ist. Der Freund aber ist ein Eingeweihter.
Er
hat Anteil an dem, was den anderen ausmacht. In diesem Sinn ist
Maria Jesus in einer freundschaftlichen Liebe verbunden gewesen, die sie
zu einer befreiten, selbstbewussten, mutigen und erwartungsvollen Frau gemacht
hat. Und vielleicht könnte man - im Blick auf Maria - Glauben im christlichen
Sinn ziemlich treffend genau so beschreiben: Das Leben im
Bewusstsein der freundschaftlichen Liebe Jesu, in der ich mich als befreit
und geachtet erlebe und zu einem dankbaren und hingebungsvollen
Menschen verwandelt werde - wie Maria von Magdala!
Amen
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