Montag, 15. September 2014

Karl-Heinz Graf: Verbotene Liebe? Jesus und Maria Magdalena

Liebe Gemeinde,
heute soll es n der Sommerpredigtreihe „Liebesgeschichten“ um eine Beziehung gehen, die wie keine andere im Neuen Testament seit jeher zu geheimnisvollen Spekulationen und raunenden Vermutungen Anlass gegeben hat: Es geht um die Beziehung zwischen Maria Magdalena und Jesus.
Wer war diese Frau, die in den Evangelien im Neuen Testament mehrmals erwähnt wird und ganz offensichtlich zum engeren Umfeld um Jesus gehört hat?
War Maria vielleicht nicht nur eine von vielen Jüngerinnen, sondern Jesu besondere Vertraute, vielleicht sogar die Geliebte Jesu? Hatte Jesus ein Verhältnis mit einer ehemaligen Prostituierten? War Maria Magdalena womöglich eine von den männlichen Aposteln später verdrängte Apostelin, die Jesus als Leiterin der Jüngerschaft eingesetzt hatte?
Oder war sie gar die Frau von Jesus und die Mutter von gemeinsamen Kindern mit Jesus? Der Film „Sakrileg“, der gerade in den Kinos läuft nach dem Buch „Der Da Vinci-Code“ treibt die Vermutungen sogar so weit auf die Spitze, dass darin nahe gelegt wird, über die ganze Kirchengeschichte hinweg seien die leiblichen Nachfahren Jesu von der Kirche totgeschwiegen und verfolgt worden, um auf keinen Fall die Göttlichkeit Jesu zu gefährden.
Viele solcher sensationellen und abenteuerlichen Vermutungen haben zurzeit Konjunktur im Kielwasser dieses Bestsellers von Dan Brown. Ich habe allein 18 neue deutschsprachige Romane und Populärsachbücher gezählt, die zwischen 2004 und 2006 zum Thema Jesus und Maria Magdalena erschienen sind.
Warum bietet gerade die Beziehung zwischen Jesus und Maria Magdalena so viel Anlass für geheimnisumwitterte Verschwörungstheorien?
Ich möchte versuchen, mich mit ihnen auf eine Spurensuche zu begeben, die uns helfen soll, das Wichtige vom Unwichtigen und das Wahrscheinliche vom Unwahrscheinlichen zu trennen.

Eine erste wichtige Wurzel für die Spekulationen um Maria Magdalena ist die Gleichsetzung von Maria Magdalena mit der „großen Sünderin“. Im Lukasevangelium wird von einer Frau berichtet, die Jesu Füße mit ihren Tränen benetzt und seine Füße salbt - und dass die Anwesenden sich darüber ärgern, weil sie als stadtbekannte Sünderin gilt. Man vermutet, dass diese „Sünderin“ vielleicht eine Ehebrecherin oder eine Prostituierte gewesen ist.
Es gibt allerdings in der Bibel keinen Namen von dieser Frau. Und es gibt erst recht  keinerlei Hinweis, dass diese Frau und Maria Magdalena ein und dieselbe Person gewesen wäre.
Erst relativ spät - im Jahr 519 - hatte Papst Gregor der Erste in einer Predigt Maria von Magdala mit dieser anonymen Prostituierten gleichgesetzt - und seitdem hielt sich diese legendäre Verbindung hartnäckig bis heute, obwohl es dafür keinerlei biblischen Beleg gibt. Diese legendäre Sicht von Maria als ehemaliger Dirne hat in gewisser Weise die Beziehung zwischen Jesus und Maria Magdalena erotisch aufgeladen. Jesus und eine Liebesverhältnis - das war spannend für alle, denen sowieso die oft enge moralistische Haltung der Kirche ein Dorn im Auge war. Bestärkt werden konnte das durch eine späte gnostische Schrift, das so genannten Philippus-Evangelium von etwa 150 nach Christus: Dort wird erzählt, dass Jesus Maria wiederholt auf den Mund geküsst habe und sie als seine Gefährtin bezeichnet wurde. Geprägt ist diese spätchristliche Schrift von einer deutlichen sektiererischen Kritik am Hauptkurs der damaligen Christenheit - und da hat man dann eben auch  das traditionelle Verständnis von Jesus kräftig umgedeutet!  
Jesus und Maria Magdalena als seine Geliebte! Eine solche Vorstellung von einer Liebesbeziehung Jesu mit einer Frau, noch dazu mit einer „gefallenen“ Frau, war für die etablierte Kirche immer ein Provokation ersten Ranges.
Hier konnte sich alle Kirchenkritik, alle Kritik am Männerklerus und der Leibfeindlichkeit der Kirche besonders gut anlagern und ausdrücken. Und so ist es bis heute geblieben! Die behauptete verbotene Liebe zwischen Maria Magdalena und Jesus wurde zum Symbol für den Verdacht, dass die Macht und die Lehre der Kirche die Wahrheit immer wieder unterdrückt und verbogen habe.

Was aber wissen wir nun eigentlich wirklich über diese Maria?
Die ältesten und ersten Quellen sind die Evangelien. Aus den Stellen, wo Maria namentlich erwähnt wird, können wir entnehmen:  Maria stammte aus Magdala beim See Genezareth - richtig übersetzt ist ihr Name also eigentlich
„Maria aus Magdala“. Im Lukasevangelium wird erwähnt, dass ihr durch Jesus sieben Dämonen ausgetrieben wurden. Zusammen mit anderen von Jesus geheilten Frauen hat sie Jesus und die 12 Jünger begleitet und mit ihrem Besitz für den Unterhalt Jesu gesorgt. Dabei wird Maria aber in keiner Weise den anderen namentlich genannten Frauen gegenüber - Johanna und Susanna - irgendwie besonders herausgehoben. Sowohl Markus wie Lukas berichten, dass Maria zusammen mit anderen Frauen bei der Kreuzigung Jesu zuschaute und die Frauen auch mitverfolgten, wohin sein Leichnam gelegt wurde. Maria aus Magdala war dann zusammen mit zwei anderen Frauen die erste Osterzeugin, nachdem sie frühmorgens zum Grab gingen, um den toten Jesus zu salben.
Im Johannesevangelium Kapitel 20 wird dann ausführlicher die Begegnung von Maria mit dem auferstandenen Jesus geschildert: Das leere Grab lässt die tief traurige Maria von Magdala zuerst - ganz natürlich - daran denken, dass der Leichnam Jesu irgendwie weggetragen worden sei. Sie erkennt den Auferstandenen nicht, hält ihn für den Gärtner und erst als Jesus sie beim Namen ruft, begreift sie, wer vor ihr steht. Als sie ihn erkennt, ruft sie voll Freude aus: „Rabbuni“ - das heißt übersetzt: „Mein Lehrer!“. Diese Bezeichnung beschreibt im Grunde das Verhältnis Marias zu Jesus: Er ist der von ihr hoch verehrte, vertraute Lehrer, der sie geheilt hat. 
Dafür war sie ihm dankbar und sie hat ihren Dank als Fürsorge für Jesus zurückzugeben versucht. Entgegen aller damaligen Hintansetzung der Frauen ließ Jesus sie zusammen mit anderen Frauen seine Schülerinnen sein, die zusammen mit den männlichen Jüngern ihm nachfolgten.
Dass Maria und Jesus ein durchaus herzliches Verhältnis zueinander hatten, könnte man dem Hinweis entnehmen, dass sie ihn nach dem Bericht des Johannesevangelium gleich umarmen wollte, als sie ihn dann am Ostermorgen erkannte. Es mag wohl auch möglich sein, dass sie für diesen Mann als Frau liebevolle Gefühle empfunden hat. Und es ist nicht einmal völlig auszuschließen, dass auch Jesus zu ihr eine besondere Zuneigung gehabt hat. Immerhin redet das Johannesevangelium auch von dem Jünger, den er besonders lieb gehabt hatte und gibt damit der Möglichkeit Raum, dass es auch bei dem Menschen Jesus Gefühle schwächerer und stärkerer persönlicher Zuneigung gab. Aber - wir wissen es nicht!
Nichts aber deutet darauf hin, dass Maria von Magdala zu Jesus eine intime Liebesbeziehung gehabt hätte.
Jesu Worte zur Ehe, die in allen Evangelien gleich lautend überliefert sind, zeigen, dass er das Gebot: „Du sollst nicht ehebrechen!“ sehr ernst genommen hat. „Jeder, der eine Ehefrau ansieht, um sie zu begehren, hat ihr gegenüber in seinem Herzen schon Ehebruch begangen“, sagt Jesus radikal in der Bergpredigt. Und das schließt nach damaligem Verständnis natürlich selbstverständlich jede außereheliche intime Beziehung sowieso aus. Dass Jesus diesem hohen Ehe-Ideal mit einer intimen Liebesbeziehung mit Maria Magdalena öffentlich völlig selbst widersprochen hätte, das ist einfach ganz unwahrscheinlich und es finden sich dafür in der biblischen Überlieferung tatsächlich auch keinerlei Spuren.

Ist es denn dann überhaupt gar keine Liebesgeschichte - diese Beziehung zwischen Jesus und Maria von Magdala?
Es kommt darauf an, was man unter Liebe versteht!
Dass Liebe sehr viel mehr umfasst, als die erotische Liebe, das macht gerade das biblische Zeugnis klar.
Gerade die griechisch Sprache, in der das Neue Testament verfasst ist, hat für die Liebe nicht nur ein Wort, sondern mehrere Worte. Wenn von der väterlich-mütterlichen Liebe Gottes geredet wird, dann geht es um die fürsorgende, elterliche Liebe, die agape. Die Nächstenliebe, von der Jesus redet und erst recht die Feindesliebe hat nichts mit Sympathie zu tun, sondern mit der christlichen Verantwortung, den anderen als Geschöpf Gottes zu achten. Und wenn Jesus insbesondere seine Jünger und Jüngerinnen aufruft: „Liebet einander, wie ich euch geliebt habe!“, dann geht es um die Hingabe und Treue, die Jesus vorgelebt hat und  mit der allerengste Freunde füreinander einstehen. Wenn der auferstandene Christus dann am Schluss des Johannesevangeliums Petrus dreimal fragt: „Hast du mich lieb?“, dann geht es da um den vertrauenden Glauben, der in Jesus das freundliche Angesicht Gottes erkannt hat.
Es gibt eben nicht nur die Liebe als leidenschaftliches erotisches Gefühl zwischen zwei Verliebten, sondern es gibt auch die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind, die tiefe Zuneigung unter Freunden und die barmherzige Liebe Gottes zu den Menschen.
Von dieser Erkenntnis aus - meine ich - ist die Geschichte von Maria von Magdala und Jesus tatsächlich eine ganz eigene Liebesgeschichte! Auch wenn das menschliche Sensationsbedürfnis durch Marias Liebesgeschichte zu Jesus nicht bedient werden kann, so spielen doch darin Dinge eine Rolle, die wesentliche Bestandteile wirklicher Liebe sind.

Das erste wichtige Element der Liebe bei Maria ist die Dankbarkeit. Sie wurde durch Jesus von irgendeiner wahrscheinlich seelischen Gefangenheit und Qual befreit und geheilt. Geheilt zu sein war für sie nicht irgendeine Selbstverständlichkeit, sondern sie war Jesus dafür offensichtlich tief dankbar - so dankbar, dass sich ihre Dankbarkeit in der Hingabe für seine Sache ausdrückte. Sie hat ihn materiell unterstützt und wollte mehr wissen von diesem Lehrer. Dass Jesus sie mit anderen Frauen mitziehen ließ durch Galiläa war eine für uns heute kaum mehr nachvollziehbare Besonderheit, eine ungeheure Aufwertung und Gleichstellung dieser Frauen. So geachtet und respektiert zu werden hat Marias Zuneigung zu Jesus sicher noch besonders gestärkt. Als dann nach der Gefangennahme Jesu fast alle Jünger flohen und ein Petrus gar Jesus dreimal verleugnete, hat sie den Mut, nicht zu fliehen, sondern Jesus auf seinem Weg in die Isolation treu zu begleiten, so gut es möglich war. Sie steht am Kreuz. Sie folgt zum Grab. Sie möchte ihm auch nach dem Tod einen letzten Liebesdienst erweisen und wird am Ostermorgen dann zur Auferstehungszeugin, die nur allmählich begreift, dass ihre Liebe keine verlorene Liebe ist. Jesus ist für sie da - allerdings nun nicht mehr als der bewunderte Lehrer, sondern als der Gesalbte Gottes, der endzeitliche Messias, in dem Gottes Liebe zu ihr und zu allen Menschen Gestalt geworden ist.
Dankbarkeit, Hingabe, respektiert werden, Mut und Treue - all das sind ganz wesentliche Bestandteile wirklicher Liebe. Solche Liebe hat Maria von Magdala gelebt in der Nachfolge Jesu - und mir scheint, sie wäre darin ein gutes Modell für unser Verständnis von Nachfolge Jesu, für unsere Liebe zu Gott im Glauben:
Dankbarkeit für von Gott geschenkte Heilungen und  Befreiungen im Leben.
Fürsorgliche Hingabe im Tun des Guten.
Freude darüber, von Christus als eigener Mensch gewürdigt und geliebt zu werden.
Mut, sich zu Christus zu bekennen.
Treue im Festhalten an ihm.
Nachfolgen in diesem Sinn, liebe Gemeinde, heißt:
Jesus lieben! - und Maria von Magdala hat diese Liebe in der Nachfolge Jesu vorgemacht!

War es also eine Liebesgeschichte zwischen Jesus und Maria von Magdala? Ja, es war eine Liebesgeschichte, die viel, wenn auch nicht alles von der Bandbreite menschlicher Liebe umfasste.
Vielleicht könnte man Maria am ehesten als eine Freundin Jesu bezeichnen - und zwar in dem Sinn, in dem Jesus seine Jünger im Johannesevangelium „Freunde“ genannt hat.
Jesus unterscheidet dort den Freund vom Knecht, der bloßer Befehlsempfänger ist. Der Freund aber ist ein Eingeweihter.
Er hat Anteil an dem, was den anderen ausmacht. In diesem Sinn ist Maria Jesus in einer freundschaftlichen Liebe verbunden gewesen, die sie zu einer befreiten, selbstbewussten, mutigen und erwartungsvollen Frau gemacht hat. Und vielleicht könnte man - im Blick auf Maria - Glauben im christlichen Sinn ziemlich treffend genau so beschreiben: Das Leben im Bewusstsein der freundschaftlichen Liebe Jesu, in der ich mich als befreit und geachtet erlebe und zu einem dankbaren und hingebungsvollen Menschen verwandelt werde - wie Maria von Magdala!
Amen

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