Dienstag, 26. August 2014

Evelyn Helle: Gefährliche Liebschaft: Tobias und Sara (Buch Tobit)

Kapitel 12 - Buch Tobit:
Ich lese das Ende der Geschichte von Tobias und Sara, die gut ausgegangen ist. Der Engel Rafael, Tobias Reisbegleiter, offenbart sich selbst: …
(zum biblischen Text hier entlang) 

Liebe Gemeinde,
vielleicht haben Sie das Buch Tobias oder auch Tobit in Ihrer Lutherbibel erfolglos gesucht. Es gehört zu den sogenannten Apokryphen, die nur in der katholischen oder auch in den ökumenischen Bibeln abgedruckt sind.
Apokryphen, griechisch; sind „verborgene“, von der öffentlichen Verbreitung ausgeschlossene Schriften, den kanonischen Büchern nicht gleichgestellte jüdische und christliche Schriften.
Kanon (Regel, Richtschnur): Die als echt anerkannten Bücher der Bibel.
M. Luther: „Das sind Bücher, so der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten, doch nützlich und gut zu lesen sind.“
Im Buch Tobias geht es um die Geschichte eines jungen Paares, nämlich Tobias und Sara, die in eine Familiengeschichte eingebettet ist. Die Ehe von Sara und Tobias ist das Ende eines dramatischen Geschehens. Die Geschichte hat märchenhafte Züge und geht auch gut aus.
Es ist eine Beispielerzählung, aber kein historischer Bericht. Absicht dieser Erzählung ist die religiöse und sittliche Unterweisung. Wie soll sich ein Angehöriger des Gottesvolkes in der Diaspora, in der Zerstreuung, verhalten, ohne den Schutz eines eigenen Staates, der Willkür fremder Herrscher ausgeliefert und durch die Berührung mit der heidnischen Umwelt gefährdet.
Auf die Frage, wie sich in dieser Lage der einzelne Gläubige verhalten soll, um die Hilfe seines Gottes zu erlangen, antwortet das Buch Tobias, indem es am Beispiel eines frommen Israeliten die Voraussetzungen für Gottes Eingreifen darstellt. Jeder Israelit kann in der Fremde die rettende Hilfe seines Gottes erfahren, wenn er in Treue zu diesem Gott und den Überlieferungen der Vorfahren steht. Das Buch Tobias ist also eine Lehrschrift, gekleidet in das Gewand einer geschichtlichen Erzählung.
Tobias und Sara sind beide Einzelkinder und leben weit voneinander weg und wissen nichts voneinander.
Tobias Eltern leben im Exil in Ninive unter Heiden und sind verarmt. Tobias ist ihr einziges Kind. Der Vater von Tobias – er heißt Tobit - hat sein ganzes Vermögen verloren. Zudem ist er blind geworden.
Als er einen Glaubensgenossen gegen den Befehl des ungläubigen Königs begraben hat, fällt ihm Vogel Kot in die Augen, dadurch erblindet er.
Seine Frau Hanna ernährt die Familie und streitet gelegentlich mit ihrem Mann, wenn dieser hart und ungerecht mit ihr umgeht.
Um die Not zu lindern, schicken sie ihren einzigen Sohn Tobias in die Fremde, um Geld zurückzuholen, das sein Vater in guten Tagen einem Verwandten geliehen hat. Die Mutter möchte ihren Sohn lieber zu Hause behalten, aber der Vater drängt ihn zur Reise, denn es ist die einzige Hoffnung, um aus der Not herauszukommen.
Für den frommen Juden Tobit ist es wichtig, dass sein Sohn eine Frau aus
seinem eigenen Volk und besser noch: aus seiner eigenen Verwandtschaft findet. So kann der Glaube und die Familie recht bewahrt und erhalten werden. Der Vater schärft dem Sohn vor der Abreise mehrfach ein, nur eine Frau aus dem eigenen Stamm zu heiraten.

Auch Sara ist ein Einzelkind. Auch sie soll einen Mann nur aus ihrer Verwandtschaft heiraten. Sie wird jedoch von einem bösen Dämon bedroht, der jedes Mal den Mann, der sie heiraten will, in der Hochzeitsnacht tötet, während Sara selber unangetastet bleibt.
Das ist bereits siebenmal geschehen. So hat die  Familie fast schon die Hoffnung aufgegeben, für Sara noch einen Mann zu finden. Da die Zukunft einzig und allein in der Fortführung der Familie und damit im Fortbestand des jüdischen Volkes und seiner Glaubensüberlieferungen gesehen wird, hängt alles daran, ob es noch eine Möglichkeit gibt, Sara von diesem Dämon zu befreien, der das Weiterbestehen der Familie verhindert.

Dass Tobias am Ende der Geschichte mit einer Ehefrau zurückkommt, war ursprünglich nicht geplant. Die  Schicksale, die kunstvoll miteinander verschränkt sind, werden am Wendepunkt der Erzählung deutlich: Tobias Vater Tobit und Sara schicken beide ein bitteres Klagegebet zum Himmel, beide Gebete kommen gleichzeitig vor Gottes Majestät. Durch die Vermittlung des Engels Rafael werden nun die Fäden für ein glückliches Ende im Himmel geknüpft:
Die Reise führt dazu, dass der Geldschatz zurückgegeben wird, dass Tobias Vater geheilt und die für Tobias bestimmte Braut Sara vom Dämon befreit wird.
Auf seinem Reiseweg wird Tobias von einem großen Fisch bedroht, den er aus dem Fluss Tigris ziehen will.
In diesem Fisch findet er mit Hilfe seines Begleiters, der sich am Ende als der Engel Rafael offenbart, die Heilmittel für seinen Vater und für die Verbannung des Dämons.
Tobias wird vom Engel sicher über riesige Entfernungen zur Familie seines Verwandten Raguel geführt, der ihn gastfreundlich aufnimmt.
Bald stellt sich heraus, dass Tobias aus dem gleichen jüdischen Stamm ist, und er soll Sara heiraten. Aber die Angst bleibt, dass der Dämon auch diesmal den Bräutigam töten könnte.

Die Ängste, die hier sichtbar werden, sind aus manchen Märchen bekannt: Ein Mann muss viele Hindernisse überwinden, um die ersehnte Frau zu bekommen. Das Hindernis ist hier der Dämon, der Aschmodai heißt und regelmäßig die Männer tötet; der Frau geschieht nichts.
Es waren sieben Männer, die der Dämon getötet hat.
Sieben ist eine symbolische Zahl, in der Bibel bedeutet sie die Zahl der Vollständigkeit (sieben Schöpfungstage etc.). Ein achtes Mal soll und wird es nicht geben.

Die volkstümliche Angst vor der „männermordenden“ Frau findet sich in der hebräischen Bibel nur hier und in der Geschichte von Juda und Tamar (Genesis 38).
Hinter dieser Angst vor der Frau, die den Mann umbringt, wenn er am wehrlosesten ist, steckte eine tiefe Angst vor der Sexualität.
Darum wurden solche Vorstellungen vor allem in der Hochzeitsnacht angesiedelt, wie es im Tobiasbuch der Fall ist.
Darin spiegelt sich eine (männliche) Angst vor der Überlegenheit der Frau in Sachen Liebe und Sexualität, vielleicht auch die geheime Angst des Mannes vor der Zeugung, denn mit der Geburt des Sohnes tritt er in das zweite Glied zurück.

Eine Magd in Saras Familie will diese „Männermorde“ Sara zur Last legen, wohingegen der biblische Text ausdrücklich Sara als unschuldig darstellt und die Schuld an diesen Vorgängen einem Dämon zuschreibt.
Unerklärliche Krankheiten, schreckliche Vorgänge und schwer zu erklärende Unglücksfälle wurden in der Antike häufig auf Dämonen zurückgeführt.
Wie nun Sara und Tobias mit diesem „Dämon“ fertig werden, zeigt die Mitte der Geschichte, die Hochzeitsnacht.
Vorher wird die Hochzeit im Haus der Braut gefeiert und es wird ein Ehevertrag aufgesetzt.
Hier findet sich der älteste Beleg eines schriftlichen Ehevertrags im AT.
Edna, die Mutter Saras, bringt das Schreibzeug herein, der Vater Raguël setzt den Vertrag auf. Damit ist die Ehe rechtlich geschlossen. Die junge Frau Sara wird nicht gefragt. Wie in patriarchalischen Gesellschaften üblich, wird die Ehe durch die Eltern arrangiert. Normalerweise tun dies die Eltern des Bräutigams, in diesem Fall sind es Saras Eltern, da Tobias schon erwachsen ist und seine Eltern im weit entfernten Ninive wohnen.
Von der Hochzeitsnacht hängt es nun ab, ob Tobias mit dem Leben davon kommt und ob die Erzählung überhaupt weiter geht.
Durch umsichtiges und frommes Handeln gelingt es dem jungen Ehemann mit Hilfe von Herz und Leber aus dem getöteten Fisch, den Dämon zu vertreiben.
Tobias verbrennt die Bestandteile des Fisches, in denen die Lebenskräfte angesiedelt sind, auf dem Räucheraltärchen und vertreibt damit den Dämon in das oberste Ägypten.
Die magisch anmutende Räucherszene wird begleitet von Gebeten des Tobias, der sich seiner Frau nicht in blinder Gier, sondern in Achtung und Gottesfurcht nähert.
Über die, welche Gott fürchten, hat der Dämon keine Gewalt mehr.
Erst nachdem der Dämon vertrieben und die entsprechenden Gebete gesprochen sind, geht Tobias zu seiner Braut.

Diese Hochzeitsnacht von Tobias und Sara hat eine beträchtliche Wirkungsgeschichte in der christlichen Theologie entfaltet.
Sie wurde unter der Bezeichnung „Tobiasnächte“ abgehandelt und geht auf eine Auslegung des Kirchenlehrers Hieronymus und seiner lateinischen Bibelübersetzung zurück. Hieronymus verlängert das, was in der biblischen Erzählung sich in einer Nacht ereignet, auf drei Nächte. Die christlichen Eheleute werden durch das ganze Mittelalter hindurch zur Sittsamkeit und zu einem keuschen Beginn ihrer Ehe ermahnt nach dem Beispiel des jungen Tobias.
Wie Tobias soll ein junges Paar erst den Segen Gottes anrufen, bevor sie miteinander schlafen. Hinter diesen Ermahnungen stand häufig auch eine große Leibfeindlichkeit, wie sie in der biblischen Erzählung nicht zu finden ist.
In unserer Geschichte finden am Morgen die Eltern Saras die beiden schlafend und am Leben. Sie freuen sich, dass dem jungen Mann nichts passiert ist, und der Vater Saras schaufelt das Grab wieder zu, das er vorsichtshalber bereits in der Nacht hat ausheben lassen.
Die Eltern freuen sich, dass nun ein glückliches Eheleben auf die beiden Einzelkinder wartet und sie die Familie und Tradition der beiden Familien fortsetzen können.
Anders als in der Erzählung von Isaak und Rebekka, die unserer Geschichte als Vorbild gedient hat, wird Sara nicht gefragt, ob sie Tobias heiraten will.
Außer dem Gebet am Anfang des Buches spricht sie nur ein einziges Wort, nämlich das „Amen“ am Ende des Gebetes in der Hochzeitsnacht.
Tobias spricht das Gebet allein, er beginnt darin mit der Schöpfungsgeschichte von Adam und Eva als dem vorbildlichen Paar, und erbittet den Segen für sich und seine Frau bis ins hohe Alter. Sara ist die passivste aller Frauen im Tobiasbuch, ein Objekt, über das die Männer, der Vater und Tobias, verfügen.
Trotzdem ist auch von Liebe die Rede: allerdings wiederum einseitig.
Als der Engel Rafael am Tigris dem jungen Tobias von seiner Verwandten Sara erzählt, heißt es von Tobias: „Er begann sie zu lieben, und sein Herz hängte sich an sie.“
Wir erfahren also von der Zuneigung  des Tobias, bevor er Sara zum ersten Mal gesehen hat, ob Sara diese Liebe erwidert, interessiert den Erzähler nicht. Es wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass sie dem Verwandten, der sie aus ihrer Notlage und vom Dämon befreit hat, die Achtung und Liebe einer Ehefrau entgegen bringt und ihren Ehemann in das entfernte Ninive begleiten wird.
Die Geschichte ist somit ganz aus der Perspektive von Männern erzählt, die aktiv sind, einschließlich des Engels Rafael, der als junger Mann erscheint (Engel sind in der Bibel immer männlich) und der heimlich die Fäden zieht.
Die himmlische Welt, die damit den Gang der Dinge auf Erden lenkt, wirkt hier zum Segen des jungen Paares, das am Schluss in der Lage ist, die Familiengeschichte fortzuführen und damit auch den Glauben Israels weiter zu überliefern.

Was kann uns diese Geschichte heute noch sagen?
Ich möchte nur ein wenig  skizzieren, andeuten: Achtung von Mann und Frau voreinander. Kein vorschnelles Urteil fällen wie die Magd in der Geschichte. Ein Dämon übt Gewalt aus. Auch heute noch Gewalt in der Welt gegen Männer, Frauen und Kinder, die durchaus etwas „Dämonisches“ an sich haben kann. Gebet vertreibt „die Dämonen“. Aufforderung zum Gebet und zum gerechten Handeln, immer wieder.

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