Ich lese das
Ende der Geschichte von Tobias und Sara, die gut ausgegangen ist. Der Engel
Rafael, Tobias Reisbegleiter, offenbart sich selbst: …
(zum biblischen Text hier entlang)
(zum biblischen Text hier entlang)
Liebe
Gemeinde,
vielleicht
haben Sie das Buch Tobias oder auch Tobit in Ihrer Lutherbibel erfolglos
gesucht. Es gehört zu den sogenannten Apokryphen, die nur in der katholischen
oder auch in den ökumenischen Bibeln abgedruckt sind.
Apokryphen,
griechisch; sind „verborgene“, von der öffentlichen Verbreitung ausgeschlossene
Schriften, den kanonischen Büchern nicht gleichgestellte jüdische und
christliche Schriften.
Kanon
(Regel, Richtschnur): Die als echt anerkannten Bücher der Bibel.
M. Luther:
„Das sind Bücher, so der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten, doch nützlich
und gut zu lesen sind.“
Im Buch
Tobias geht es um die Geschichte eines jungen Paares, nämlich Tobias und Sara,
die in eine Familiengeschichte eingebettet ist. Die Ehe von Sara und Tobias ist
das Ende eines dramatischen Geschehens. Die Geschichte hat märchenhafte Züge
und geht auch gut aus.
Es ist eine
Beispielerzählung, aber kein historischer Bericht. Absicht dieser Erzählung ist
die religiöse und sittliche Unterweisung. Wie soll sich ein Angehöriger des
Gottesvolkes in der Diaspora, in der Zerstreuung, verhalten, ohne den Schutz
eines eigenen Staates, der Willkür fremder Herrscher ausgeliefert und durch die
Berührung mit der heidnischen Umwelt gefährdet.
Auf die
Frage, wie sich in dieser Lage der einzelne Gläubige verhalten soll, um die
Hilfe seines Gottes zu erlangen, antwortet das Buch Tobias, indem es am
Beispiel eines frommen Israeliten die Voraussetzungen für Gottes Eingreifen
darstellt. Jeder Israelit kann in der Fremde die rettende Hilfe seines Gottes
erfahren, wenn er in Treue zu diesem Gott und den Überlieferungen der Vorfahren
steht. Das Buch Tobias ist also eine Lehrschrift, gekleidet in das Gewand einer
geschichtlichen Erzählung.
Tobias und
Sara sind beide Einzelkinder und leben weit voneinander weg und wissen nichts
voneinander.
Tobias
Eltern leben im Exil in Ninive unter Heiden und sind verarmt. Tobias ist ihr
einziges Kind. Der Vater von Tobias – er heißt Tobit - hat sein ganzes Vermögen
verloren. Zudem ist er blind geworden.
Als er einen
Glaubensgenossen gegen den Befehl des ungläubigen Königs begraben hat, fällt
ihm Vogel Kot in die Augen, dadurch erblindet er.
Seine Frau
Hanna ernährt die Familie und streitet gelegentlich mit ihrem Mann, wenn dieser
hart und ungerecht mit ihr umgeht.
Um die Not
zu lindern, schicken sie ihren einzigen Sohn Tobias in die Fremde, um Geld
zurückzuholen, das sein Vater in guten Tagen einem Verwandten geliehen hat. Die
Mutter möchte ihren Sohn lieber zu Hause behalten, aber der Vater drängt ihn
zur Reise, denn es ist die einzige Hoffnung, um aus der Not herauszukommen.
Für den
frommen Juden Tobit ist es wichtig, dass sein Sohn eine Frau aus
seinem
eigenen Volk und besser noch: aus seiner eigenen Verwandtschaft findet. So kann
der Glaube und die Familie recht bewahrt und erhalten werden. Der Vater schärft
dem Sohn vor der Abreise mehrfach ein, nur eine Frau aus dem eigenen Stamm zu
heiraten.
Auch Sara
ist ein Einzelkind. Auch sie soll einen Mann nur aus ihrer Verwandtschaft
heiraten. Sie wird jedoch von einem bösen Dämon bedroht, der jedes Mal den
Mann, der sie heiraten will, in der Hochzeitsnacht tötet, während Sara selber
unangetastet bleibt.
Das ist
bereits siebenmal geschehen. So hat die
Familie fast schon die Hoffnung aufgegeben, für Sara noch einen Mann zu
finden. Da die Zukunft einzig und allein in der Fortführung der Familie und
damit im Fortbestand des jüdischen Volkes und seiner Glaubensüberlieferungen
gesehen wird, hängt alles daran, ob es noch eine Möglichkeit gibt, Sara von
diesem Dämon zu befreien, der das Weiterbestehen der Familie verhindert.
Dass Tobias
am Ende der Geschichte mit einer Ehefrau zurückkommt, war ursprünglich nicht
geplant. Die Schicksale, die
kunstvoll miteinander verschränkt sind, werden am Wendepunkt der Erzählung
deutlich: Tobias Vater Tobit und Sara schicken beide ein bitteres Klagegebet
zum Himmel, beide Gebete kommen gleichzeitig vor Gottes Majestät. Durch die
Vermittlung des Engels Rafael werden nun die Fäden für ein glückliches Ende im
Himmel geknüpft:
Die Reise
führt dazu, dass der Geldschatz zurückgegeben wird, dass Tobias Vater geheilt
und die für Tobias bestimmte Braut Sara vom Dämon befreit wird.
Auf seinem
Reiseweg wird Tobias von einem großen Fisch bedroht, den er aus dem Fluss
Tigris ziehen will.
In diesem
Fisch findet er mit Hilfe seines Begleiters, der sich am Ende als der Engel
Rafael offenbart, die Heilmittel für seinen Vater und für die Verbannung des
Dämons.
Tobias wird
vom Engel sicher über riesige Entfernungen zur Familie seines Verwandten Raguel
geführt, der ihn gastfreundlich aufnimmt.
Bald stellt
sich heraus, dass Tobias aus dem gleichen jüdischen Stamm ist, und er soll Sara
heiraten. Aber die Angst bleibt, dass der Dämon auch diesmal den Bräutigam
töten könnte.
Die Ängste,
die hier sichtbar werden, sind aus manchen Märchen bekannt: Ein Mann muss viele
Hindernisse überwinden, um die ersehnte Frau zu bekommen. Das Hindernis ist
hier der Dämon, der Aschmodai heißt und regelmäßig die Männer tötet; der Frau
geschieht nichts.
Es waren
sieben Männer, die der Dämon getötet hat.
Sieben ist
eine symbolische Zahl, in der Bibel bedeutet sie die Zahl der Vollständigkeit
(sieben Schöpfungstage etc.). Ein achtes Mal soll und wird es nicht geben.
Die
volkstümliche Angst vor der „männermordenden“ Frau findet sich in der
hebräischen Bibel nur hier und in der Geschichte von Juda und Tamar (Genesis
38).
Hinter
dieser Angst vor der Frau, die den Mann umbringt, wenn er am wehrlosesten ist,
steckte eine tiefe Angst vor der Sexualität.
Darum wurden
solche Vorstellungen vor allem in der Hochzeitsnacht angesiedelt, wie es im
Tobiasbuch der Fall ist.
Darin
spiegelt sich eine (männliche) Angst vor der Überlegenheit der Frau in Sachen
Liebe und Sexualität, vielleicht auch die geheime Angst des Mannes vor der
Zeugung, denn mit der Geburt des Sohnes tritt er in das zweite Glied zurück.
Eine Magd in
Saras Familie will diese „Männermorde“ Sara zur Last legen, wohingegen der
biblische Text ausdrücklich Sara als unschuldig darstellt und die Schuld an
diesen Vorgängen einem Dämon zuschreibt.
Unerklärliche
Krankheiten, schreckliche Vorgänge und schwer zu erklärende Unglücksfälle
wurden in der Antike häufig auf Dämonen zurückgeführt.
Wie nun Sara
und Tobias mit diesem „Dämon“ fertig werden, zeigt die Mitte der Geschichte,
die Hochzeitsnacht.
Vorher wird
die Hochzeit im Haus der Braut gefeiert und es wird ein Ehevertrag aufgesetzt.
Hier findet
sich der älteste Beleg eines schriftlichen Ehevertrags im AT.
Edna, die
Mutter Saras, bringt das Schreibzeug herein, der Vater Raguël setzt den Vertrag
auf. Damit ist die Ehe rechtlich geschlossen. Die junge Frau Sara wird nicht
gefragt. Wie in patriarchalischen Gesellschaften üblich, wird die Ehe durch die
Eltern arrangiert. Normalerweise tun dies die Eltern des Bräutigams, in diesem
Fall sind es Saras Eltern, da Tobias schon erwachsen ist und seine Eltern im
weit entfernten Ninive wohnen.
Von der
Hochzeitsnacht hängt es nun ab, ob Tobias mit dem Leben davon kommt und ob die
Erzählung überhaupt weiter geht.
Durch
umsichtiges und frommes Handeln gelingt es dem jungen Ehemann mit Hilfe von
Herz und Leber aus dem getöteten Fisch, den Dämon zu vertreiben.
Tobias
verbrennt die Bestandteile des Fisches, in denen die Lebenskräfte angesiedelt
sind, auf dem Räucheraltärchen und vertreibt damit den Dämon in das oberste
Ägypten.
Die magisch
anmutende Räucherszene wird begleitet von Gebeten des Tobias, der sich seiner
Frau nicht in blinder Gier, sondern in Achtung und Gottesfurcht nähert.
Über die,
welche Gott fürchten, hat der Dämon keine Gewalt mehr.
Erst nachdem
der Dämon vertrieben und die entsprechenden Gebete gesprochen sind, geht Tobias
zu seiner Braut.
Diese
Hochzeitsnacht von Tobias und Sara hat eine beträchtliche Wirkungsgeschichte in
der christlichen Theologie entfaltet.
Sie wurde
unter der Bezeichnung „Tobiasnächte“ abgehandelt und geht auf eine Auslegung
des Kirchenlehrers Hieronymus und seiner lateinischen Bibelübersetzung zurück.
Hieronymus verlängert das, was in der biblischen Erzählung sich in einer Nacht
ereignet, auf drei Nächte. Die christlichen Eheleute werden durch das ganze
Mittelalter hindurch zur Sittsamkeit und zu einem keuschen Beginn ihrer Ehe
ermahnt nach dem Beispiel des jungen Tobias.
Wie Tobias
soll ein junges Paar erst den Segen Gottes anrufen, bevor sie miteinander
schlafen. Hinter diesen Ermahnungen stand häufig auch eine große
Leibfeindlichkeit, wie sie in der biblischen Erzählung nicht zu finden ist.
In unserer
Geschichte finden am Morgen die Eltern Saras die beiden schlafend und am Leben.
Sie freuen sich, dass dem jungen Mann nichts passiert ist, und der Vater Saras
schaufelt das Grab wieder zu, das er vorsichtshalber bereits in der Nacht hat
ausheben lassen.
Die Eltern
freuen sich, dass nun ein glückliches Eheleben auf die beiden Einzelkinder
wartet und sie die Familie und Tradition der beiden Familien fortsetzen können.
Anders als
in der Erzählung von Isaak und Rebekka, die unserer Geschichte als Vorbild
gedient hat, wird Sara nicht gefragt, ob sie Tobias heiraten will.
Außer dem
Gebet am Anfang des Buches spricht sie nur ein einziges Wort, nämlich das
„Amen“ am Ende des Gebetes in der Hochzeitsnacht.
Tobias
spricht das Gebet allein, er beginnt darin mit der Schöpfungsgeschichte von
Adam und Eva als dem vorbildlichen Paar, und erbittet den Segen für sich und
seine Frau bis ins hohe Alter. Sara ist die passivste aller Frauen im
Tobiasbuch, ein Objekt, über das die Männer, der Vater und Tobias, verfügen.
Trotzdem ist
auch von Liebe die Rede: allerdings wiederum einseitig.
Als der
Engel Rafael am Tigris dem jungen Tobias von seiner Verwandten Sara erzählt,
heißt es von Tobias: „Er begann sie zu lieben, und sein Herz hängte sich an
sie.“
Wir erfahren
also von der Zuneigung des Tobias,
bevor er Sara zum ersten Mal gesehen hat, ob Sara diese Liebe erwidert,
interessiert den Erzähler nicht. Es wird als selbstverständlich vorausgesetzt,
dass sie dem Verwandten, der sie aus ihrer Notlage und vom Dämon befreit hat,
die Achtung und Liebe einer Ehefrau entgegen bringt und ihren Ehemann in das
entfernte Ninive begleiten wird.
Die
Geschichte ist somit ganz aus der Perspektive von Männern erzählt, die aktiv
sind, einschließlich des Engels Rafael, der als junger Mann erscheint (Engel
sind in der Bibel immer männlich) und der heimlich die Fäden zieht.
Die
himmlische Welt, die damit den Gang der Dinge auf Erden lenkt, wirkt hier zum
Segen des jungen Paares, das am Schluss in der Lage ist, die Familiengeschichte
fortzuführen und damit auch den Glauben Israels weiter zu überliefern.
Was kann uns
diese Geschichte heute noch sagen?
Ich möchte
nur ein wenig skizzieren,
andeuten: Achtung von Mann und Frau voreinander. Kein vorschnelles Urteil
fällen wie die Magd in der Geschichte. Ein Dämon übt Gewalt aus. Auch heute
noch Gewalt in der Welt gegen Männer, Frauen und Kinder, die durchaus etwas „Dämonisches“ an sich haben kann. Gebet vertreibt „die Dämonen“.
Aufforderung zum Gebet und zum gerechten Handeln, immer wieder.
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