Sonntag, 31. August 2014

Martin Schultheiß: Die Liebe in furchtbaren Zeiten: Moses Eltern (2. Mose 1ff)

Liebe Gemeinde,
im Rahmen dieser Sommer-Predigtreihe haben Sie nun schon einige Aspekte zum Thema Liebe hören können.
Heute möchte ich Sie gerne mitnehmen auf einen Weg zu Menschen, die den Glauben an die Liebe und an Gott verloren haben, weil ihnen furchtbares Leid geschah.
Vom Nahen Osten hören wir grausige Berichte von Massakern an Jesiden und Kurden, Christen und Muslimen.
Gaza versank in Trümmern, israelische Mütter beklagen ebenfalls ihre Kinder usw.
In Afrika und vielen anderen Regionen der Erde ist es nicht anders.
…. Ebola, 12 Bürgerkriege (!) allein in Afrika derzeit  … und …

Wie denkt wohl ein Mädchen in Indien, das vergewaltigt wurde, schwanger wurde - und-  damit niemand im Dorf solche Schande sehen sollte, weit entfernt auf einer christlichen Missionsstation ihr Kind zur Welt brachte??? –
 Es dann dort ließ, dem Versprechen der Christen dort trauend, dass diese für ein geordnetes Aufwachsen ihrer kleinen Tochter sorgen würden.

Wie hat es das Herz einer Witwe in Kambodscha zerrissen, als sie das letzte ihrer Kinder, welche die Häscher der roten Khmer nicht getötet  hatten, eine Tochter, ins Ausland gibt, als sich die Möglichkeit dazu bietet – nicht wissend, was aus ihr wird und wer sie selbst dann im Alter begleiten wird???

Zwei Kinderschicksale – und das ihrer Mütter - stelle ich heute stellvertretend - für das unzählige Leid das über Menschen kam und - leider immer und immer wieder kommt, - in die Mitte.
Ich erinnere gleichzeitig daran, dass dies leider „schon immer“ so war, wo die Ungerechtigkeit triumphierte.
Das war nicht anders vor über 3000 Jahren im Nil-Delta, als einem hebräischen Sklavenpaar ein Sohn geboren wurde.
Zu der Zeit galt der Befehl des Pharo, - der sich vor einer Überfremdung seines Landes fürchtete-  und deshalb den Hebammen der hebräischen Frauen befohlen hatte – alle Büblein gleich nach der Geburt umzubringen.
 Die Mädchen, ja, die konnte er als Sklavinnen für alles und jedes gebrauchen, denn das waren ja keine künftigen Soldaten des Feindes.
Mit List konnte eine junge Mutter ihr Büblein 3 Monate im Haus verstecken, aber dann blieb nur noch ein Versteck vor den Häschern des Pharao - weit draußen im Schilfgürtel des Nilstromes.
 Miriam, die Schwester, sollte auf ihr kleines. Brüderlein aufpassen.
Einige Zeit ging das gut, bis – ausgerechnet eine Tochter des Pharao mit ihren Gespielinnen – genau dorthin zum Baden kam.
 War das Zufall?
Wir Christen wissen darum, dass es keine Zufälle gibt, sondern dass hinter allem scheinbar zufälligen, immer noch die Hand Gottes wirkt.
Davon wusste das junge Sklavenpaar damals aber nichts.
Sie erlebten nur, dass ihnen ihr Kind weggenommen wurde, gleich nach der Stillphase – sie hofften vielleicht noch, dass es ihrem Kind dort besser gehe, als bei ihnen.
Sogar einen neuen Namen gab die Prinzessin dem Kind und erklärte es damit zu ihrem eigenen Kind: „Moses“- der aus dem Wasser gezogene“
Auch eine Art Leihmutter-Geschäft.
Anders als in Thailand derzeit – aber für  Eltern ist es immer schlimm - ein Kind hergeben zu müssen!!

Wo bleibt da die Liebe?

Das fragen sich auch bei uns Menschen, denen der Tod Kinder nimmt, sei es mit Ansage durch eine schlimme Krankheit – oder von einem Moment auf den anderen-  durch einen Unfall oder gar Mord.

Liebe ist das Band, das eine Familie zusammenhält. Eltern nehmen viele Opfer und Entbehrung auf sich um ihren Kindern eine geordnete Zukunft zu ermöglichen.
Liebe - ist das Band mit dem Eltern und Kinder verbunden sind und sie zur Familie werden lassen.
Eine Liebe, die nicht berechnet, was kostet mich das und was bringt mir das, - sondern die sich einfach verströmt im Miteinander der Tage, bis die Zeit kommt, da die Kinder das Haus verlassen.
Und auch dann bleibt dieses Band erhalten, wenn es nicht von einer Seite überstrapaziert wird.

Was aber bleibt von dieser Liebe – wenn der Tod dieses Band brutal abschneidet?
Welchen Sinn hatte dann diese Liebe?
Wenn eine grausame Krankheit, - eine schwere Behinderung-  oder gar der Tod - alles an Lebenshoffnungen über den Haufen wirft, - was bleibt dann?

Ich kann nur von mir selbst berichten, - wie mir es ging, als ich und die Meinen diesen Kelch trinken mussten.

Ein Verkehrsunfall riss eines unserer Kinder von einem Moment auf den anderen aus unserer Mitte.
Der Schock zunächst war fast noch eine Gnade – das alles gar nicht bis in die Tiefe zu realisieren, was sich da verändert.
Aber dann kamen große Zeiten der Einsamkeiten.
Die Last der Trauer ist so schwer, - da kann man sich nicht mal als Ehepaar gegenseitig diese Last abnehmen. Viele Ehen scheitern gerade in solchen Zeiten. Auch den anderen Kindern kann man da nicht genug Begleiter sein.
„O Gott, wie kannst Du das zulassen“ – so schrie ich wie alle Todwunden.
Da ist nichts mehr wie es war – auch nicht die Liebe – da ist nur noch „Black-out“ – wie ein Netz ohne Strom. Wir haben nur noch funktioniert, - mechanisch, ohne Antrieb.

Ich meinerseits war innerlich ganz leer. Ich konnte nichts mehr tun.

Und dann habe ich und die Meinen dies Wunder erlebt: Das Mit-leiden und Mit-Tragen unserer Verwandten, vieler Freundinnen und Freunde - und ja, der Gemeinde in der wir gelebt hatten.
 Seither empfinde ich dies Geschenk, das Gott uns mit „Gemeinde“ macht, als eine riesige  Kostbarkeit.
Wir waren nicht allein gelassen worden – das haben wir aber erst so nach und nach gemerkt.
 Und die hilfreichste Beileidsbezeugung war uns nicht mal auf irgendeiner der vielen Kondolenz-Karten begegnet, obwohl da auch viel Liebe drin war, - sondern im Kochtopf einer beherzten Nachbarin, die klingelte und nur sagte: „ich weiß nicht was ich sagen soll, aber ich weiß dass ihr jetzt eine Nudelsuppe braucht!“

In dieser Zeit  ist uns viel Liebe begegnet – durch viele und vielerlei Menschen – über lange Zeit hinweg.

Ja, es hat Zeit gebraucht – lange Zeit – bis ich von der Anklage an Gott weiterkam - und an diese Gesellschaft,- die dem Verkehr auf der Straße so viele Opfer überlässt.

Zeit-  ist ein Bestandteil meiner Heilung geworden – Zeit, in der ich neu entdeckt hatte – ich war ja gar nicht von Gott verlassen gewesen, sondern von Recht und Ordnung auf der Straße.

Wie eine Morgendämmerung ist mir die Liebe Gottes so langsam wieder  neu aufgegangen. Auch weiterhin konnte ich nur sehr verhalten oder unter Tränen die Lieder mitsingen, die Dank und Freude so überschwänglich ausdrücken.

Und dann habe ich plötzlich gemerkt, dass jeder Tag, der vergeht – uns nicht weiter auseinander bringt – meinen Sohn Christoph und mich – sondern dass jeder Tag der vergeht uns näher aufeinander zuführt – dem Reich Gottes entgegen.
Das war mir ein ganz großer Trost – und ist es bis heute – wenn ich mir so vorstelle: - hätte er jetzt wohl auch eine Familie, wenn er noch bei uns lebte?

Ich habe gemerkt: die Liebe kann ich nicht einspannen und gebrauchen oder erzwingen, wie ich will.
Aber von vielen Seiten her kam Liebe zu mir – durch ganz unterschiedliche Menschen, auch solche, von denen ich es nie erwartet hätte.
 Nur der „Frömmste und Bibelfesteste“ damals – wusste nichts anderes als mich zu fragen, ob mein Sohn (mit seinen 6 Jahren) sich wohl schon zu Christus bekehrt gehabt hätte und damit gerettet wäre - oder „verloren“ sei?

„Herr, vergib ihnen – denn sie wissen nicht, was sie da  reden!“

Gerade aus der Bibel habe ich meinen größten Trost gezogen,
 gerade aus den Zusagen Gottes - seiner unaufhörlichen Liebe zu uns!
Der allen um ihr (Lebens-)Recht gebrachten zu ihrem Recht verhilft.
Nicht wir tun das Entscheidende! Was unser Gott geschaffen hat – das wird ER auch erhalten!
Darin habe ich meinen ganz tiefen Frieden gefunden – in der Liebe Gottes zu seiner ganzen Welt.
Wer könnte uns scheiden von der Liebe Gottes ….?
Nichts und niemand.
Nicht einmal der Tod
So brutal er auch an uns kommen kann.

Ich habe erlebt, wie alle menschliche Liebe – erst aus der Liebe Gottes zu uns allen  - seine Kraft bezieht!

Als ich lieb-und leblos war, habe ich erlebt, geliebt zu werden, von vielen, - bis neue Liebe in mir wachsen konnte.

Das will ich zu Gottes Ehre heute bekennen – ja – seine Liebe zu uns ist stärker als der Tod.
Jetzt begreife ich die Wahrheit dieser Aussage!
 Ich wundere mich – dass ich so fröhlich bin! –Getrost bin.
Gott sei Dank!!!
Und ich bleibe dankbar den Vielen gegenüber, die uns damals durchgetragen und begleitet haben und uns Liebe zugeströmt haben, auch wenn wir zunächst kaum etwas davon aufnehmen konnten.

Ein Kind – so brutal entrissen zu bekommen – dieses Los teile ich mit viel zu vielen Menschen – mit Millionen Menschen, wenn ich so auf den Weg der Menschheit zurückschaue. Ich bin nicht der Einzige, dem es so erging.
Aber auch diese Erkenntnis (!) wurde mir wie eine schützende Gemeinschaft, die mich mit einschließt und umfängt.
Es gibt Menschen die mich verstehen.
Die sich gegenseitig, trotz aller Wunden ihrer Seele, mit Liebe und Achtung begegnen.

So sind meine Gedanken jetzt gerade oft bei den Menschen in Nahost, bei allen (!) denen Unrecht und Leid geschah.
Ich bringe sie im Gebet vor unseren himmlischen Vater und bin gewiss, dass er kein einziges Menschenleben, das um sein irdisches Recht gebracht wurde – vergisst. Gott bringt alle zu ihrem Recht!
Und ich will mit meinem Verhalten darauf achten, dass ich nichts unterstütze, das die Gewalttätigen und Rechtsbrecher, wo auch immer, fördern würde.
Im Gegenteil – ich will meine Stimme und mehr für die Rechtlosen einbringen. Und meine Tat.


Als der Prophet Jeremia berufen wurde in sein Amt – erschrak er zunächst: „ich bin zu jung, zu gering, ich kann zu wenig ….“(Jer.1)
Aber dann berichtet er später, wie Gott ihn an der Hand nahm,
wie  die Furcht ihre Macht verlor – als er gemerkt hatte: Das Entscheidende tut immer Gott selbst.
 Nicht er, der kleine Prophet, musste die Welt retten!
Gott verlangte nur von ihm – genau hin zu schauen – was er da sieht.

Und Jeremia hat plötzlich nicht mehr nur das Negative gesehen, nicht mehr nur die schlimmen Nachrichten gehört, nicht mehr nur gejammert, wie schlecht diese Welt doch ist.
Nein – er hat beides gesehen – sowohl das Bodenlos Böse dieser Welt – aber auch, wie immer wieder neues Leben aufblüht – unzerstörbar.
Die Wahrheit und das Leben und die Liebe – sie sind nicht tot zu kriegen!
Jeremia beschreibt uns das anhand eines knospenden Zweiges – wie aus „scheinbar“ totem Holz neues Leben erblüht.
Und er vertraut der Zusage des lebendigen Gottes, dass dieser selbst darüber wachen wird – das dies in Erfüllung geht.

Auch abgefrorene Blütenzweige können neu ausschlagen und Frucht bringen!

Der indische Säugling, von dem ich eingangs sprach, den seine Mutter loslassen musste und im Unbekannten verschwand – wurde nach Deutschland adoptiert – und lebt heute als Mutter einer glücklichen Familie im Ruhrgebiet.

Die Witwe in Kambodscha – die ihre Tochter loslassen musste, darf heute erleben, wie ihre Tochter, heute ebenfalls mit einer glücklichen Familie in Deutschland gesegnet – durch ihrer Hände Arbeit – und der Hilfe so mancher, die davon wissen und mithelfen - der Mutter in Kambodscha ein würdiges Alter in betreutem Wohnen in einer Familie dort ermöglicht hat.

Und selbst der kleine Mose von einst – ist nach vielem Irren und Wirren, zum großen Segen seines Volkes geworden, dann, als er Gott selbst das letzte Wort überließ.

Das sind für mich –aufknospende Zweige der Liebe, die durch Gott in die Welt kam, von Menschen aufgenommen wurde und nun diese Erde als ein Netzwerk der Liebe umspannen.
Erwachende Zweige des Lebens!
Wegweiser der Treue Gottes!
Liebe gebärende Wunder des Herrn!

Ich weiß aber auch um das namenlose Leid, das auch heute geschieht – und um die Tränen so vieler, die am Leben und an der Liebe verzagen – weil sie nichts aufblühen sehen.

Und dennoch!

Einer dieser Vielen ist Fritz Rosenthal – ein Urmünchner, dem die bayrische Lebensart sehr gefiel. Aber 1933 gefiel er manchem seiner Zeitgenossen dort gar nicht mehr und sie spielten ihm übelst mit.
 Das erkannte er als Zeichen der Zeit - als aufblühen eines giftigen Strauches.
Daraufhin hat er alles zurückgelassen und ist nach Jerusalem gezogen, in die Heimat seiner Vorfahren.
Von dort aus hat er die Schrecken des 2. Weltkrieges miterlebt.
1942 notiert er den Satz:
„Muss man nicht verrückt sein, in dieser Welt an Frieden zu glauben?“
Ja, er war ver-rückt, ab-gerückt, weg-gerückt von der Meinung vieler, das es nur noch Mord und Totschlag gibt. (meschugge)
Er gab sich selbst einen neuen Namen, als Lebensprogramm:
„ Friede, Sohn der Freiheit“ = Schalom Ben Chorin
Und hat seine Generation  an das Erlebnis des Jeremia erinnert:
„Ich sehe bereits den Frieden aufgehen“

Als Journalist hatte Schalom Ben-Chorin die Gabe- solches in gute Worte zu fassen:

„Freunde, dass der Mandelzweig, wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt.

Dass das Leben nicht verging, soviel Blut auch schreit – achtet dieses nicht gering – in der trübsten Zeit!“

 

Ja, auch in furchtbaren Zeiten, die Menschen je durchmachen müssen und mussten – war immer Liebe da, immer um sie herum und einhüllend, auch dort, wo die Liebe als solche zeitenweise nicht mehr wahrgenommen wurde.

Aber sie war da – und sie ist da – und sie bleibt da –

Weil in Jesus Christus die ganze Liebe Gottes zu uns Menschen gekommen ist.  - Und bei uns bleiben wird in Ewigkeit!

Amen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen